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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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vergeht aber nicht, daß ich Euer Kaiser bin, dem Ihr in Wahrheit den Eid
geleistet habt."

.Damit entließ er uns. Nachdem wir uns bis auf die Erde vor ihm
gebückt hatten, zerstreuten wir uns nach allen Seiten; da ich mich als Pugat-
schewscher Unterthan vollständig sicher fühlte, durchwanderte ich das ganze
Lager, welches auf dem Berge, wo die Kanonen standen, aufgeschlagen war.
-Ueberall waren reitende Kosakenpatrouillen sichtbar, die Infanterie, welche
aus allerhand Gesindel, namentlich aus herrschaftlichen Bauern bestand, hatte
sich um die Fleischkessel gesammelt, welche kochten. Fast alle Leute, welche
ich sah, waren betrunken und rauchten aus kurzen Pfeifen, überall waren
Lärm und Schimpfworte zu hören. Hie und da stand ein Bündel zusammen¬
gestellter Flinten. Ich ging weiter und kam an die Stelle, wo der Sokol-
berg an die Wolga stößt. Hier bot sich mir ein durchaus abweichendes
Bild dar: eine Anzahl Galgen war aufgerichtet, an welche man immerfort
Männer und Frauen aufhängte, ohne ihr Jammergeschrei, ihre Thränen und
Bitten zu beachten. Die Leichen der Erhängten wurden den Berg herab¬
geworfen und dann in die Wolga geschleudert. Als ich hinzutrat, war man
eben mit mehreren adeligen Familien beschäftigt, welche sich ihrer Rettung
wegen in Bauerkleider gehüllt und mit Ruß unkenntlich gemacht hatten.
Das half ihnen aber nichts, sie wurden an der Art ihrer Sprache erkannt
und unbarmherzig dem Tode übergeben. Dann wurden sechzig gemeine
Schiffsarbeiter von der Wolga-Seite her auf den Rtchtplatz geführt; sie waren
beschuldigt, den Kaiser Peter III. gelästert zu haben. Sie jammerten, schrien
und baten um Gnade. "Ihr lieben Väterchen, warum wollt Ihr uns um¬
bringen? Wir sind auf unserem Fahrzeuge von Astrachan her gekommen
und haben auf Euren Peter III. nicht gescholten, da wir ihn nicht kennen,
gar nicht wissen von wannen er ist, ihn auch nie gesehen haben."

"Sie haben selbst eingestanden, daß sie unsern Kaiser nicht anerkennen",
brüllten die Henker und das Morden nahm seinen Fortgang. Die Leichen
aber wurden vollständig ausgeplündert.

Ich konnte diese Greuel nicht länger ansehen und kehrte in die Stadt
zurück; hier bot sich mir ein Schauspiel dar, welches nicht besser war, als
das, welches mir soeben zu Theil geworden: Soldaten. Kosaken, städtischer
Pöbel und Gesindel aller Art taumelte betrunken durch die Straßen, sie lärmten
und plünderten alle ihnen begegnenden .Personen; wer sich zur Wehr setzte,
wurde ohne Weiteres niedergemacht, alle Straßen waren mit nackten Leichen
bedeckt. In der Mitte eines dieser Haufen sah ich einen betrunkenen Mann
von riesiger Gestalt, welcher mit einem reichen Priestergewande bekleidet war,
auf dem Haupt aber eine Weibermütze trug.....Alle Läden, Kirchen und
wohlhabenden Häuser wurden rein ausgeplündert."


Grenzboten I. 18K9. 29

vergeht aber nicht, daß ich Euer Kaiser bin, dem Ihr in Wahrheit den Eid
geleistet habt."

.Damit entließ er uns. Nachdem wir uns bis auf die Erde vor ihm
gebückt hatten, zerstreuten wir uns nach allen Seiten; da ich mich als Pugat-
schewscher Unterthan vollständig sicher fühlte, durchwanderte ich das ganze
Lager, welches auf dem Berge, wo die Kanonen standen, aufgeschlagen war.
-Ueberall waren reitende Kosakenpatrouillen sichtbar, die Infanterie, welche
aus allerhand Gesindel, namentlich aus herrschaftlichen Bauern bestand, hatte
sich um die Fleischkessel gesammelt, welche kochten. Fast alle Leute, welche
ich sah, waren betrunken und rauchten aus kurzen Pfeifen, überall waren
Lärm und Schimpfworte zu hören. Hie und da stand ein Bündel zusammen¬
gestellter Flinten. Ich ging weiter und kam an die Stelle, wo der Sokol-
berg an die Wolga stößt. Hier bot sich mir ein durchaus abweichendes
Bild dar: eine Anzahl Galgen war aufgerichtet, an welche man immerfort
Männer und Frauen aufhängte, ohne ihr Jammergeschrei, ihre Thränen und
Bitten zu beachten. Die Leichen der Erhängten wurden den Berg herab¬
geworfen und dann in die Wolga geschleudert. Als ich hinzutrat, war man
eben mit mehreren adeligen Familien beschäftigt, welche sich ihrer Rettung
wegen in Bauerkleider gehüllt und mit Ruß unkenntlich gemacht hatten.
Das half ihnen aber nichts, sie wurden an der Art ihrer Sprache erkannt
und unbarmherzig dem Tode übergeben. Dann wurden sechzig gemeine
Schiffsarbeiter von der Wolga-Seite her auf den Rtchtplatz geführt; sie waren
beschuldigt, den Kaiser Peter III. gelästert zu haben. Sie jammerten, schrien
und baten um Gnade. „Ihr lieben Väterchen, warum wollt Ihr uns um¬
bringen? Wir sind auf unserem Fahrzeuge von Astrachan her gekommen
und haben auf Euren Peter III. nicht gescholten, da wir ihn nicht kennen,
gar nicht wissen von wannen er ist, ihn auch nie gesehen haben."

„Sie haben selbst eingestanden, daß sie unsern Kaiser nicht anerkennen",
brüllten die Henker und das Morden nahm seinen Fortgang. Die Leichen
aber wurden vollständig ausgeplündert.

Ich konnte diese Greuel nicht länger ansehen und kehrte in die Stadt
zurück; hier bot sich mir ein Schauspiel dar, welches nicht besser war, als
das, welches mir soeben zu Theil geworden: Soldaten. Kosaken, städtischer
Pöbel und Gesindel aller Art taumelte betrunken durch die Straßen, sie lärmten
und plünderten alle ihnen begegnenden .Personen; wer sich zur Wehr setzte,
wurde ohne Weiteres niedergemacht, alle Straßen waren mit nackten Leichen
bedeckt. In der Mitte eines dieser Haufen sah ich einen betrunkenen Mann
von riesiger Gestalt, welcher mit einem reichen Priestergewande bekleidet war,
auf dem Haupt aber eine Weibermütze trug.....Alle Läden, Kirchen und
wohlhabenden Häuser wurden rein ausgeplündert."


Grenzboten I. 18K9. 29
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[0237] vergeht aber nicht, daß ich Euer Kaiser bin, dem Ihr in Wahrheit den Eid geleistet habt." .Damit entließ er uns. Nachdem wir uns bis auf die Erde vor ihm gebückt hatten, zerstreuten wir uns nach allen Seiten; da ich mich als Pugat- schewscher Unterthan vollständig sicher fühlte, durchwanderte ich das ganze Lager, welches auf dem Berge, wo die Kanonen standen, aufgeschlagen war. -Ueberall waren reitende Kosakenpatrouillen sichtbar, die Infanterie, welche aus allerhand Gesindel, namentlich aus herrschaftlichen Bauern bestand, hatte sich um die Fleischkessel gesammelt, welche kochten. Fast alle Leute, welche ich sah, waren betrunken und rauchten aus kurzen Pfeifen, überall waren Lärm und Schimpfworte zu hören. Hie und da stand ein Bündel zusammen¬ gestellter Flinten. Ich ging weiter und kam an die Stelle, wo der Sokol- berg an die Wolga stößt. Hier bot sich mir ein durchaus abweichendes Bild dar: eine Anzahl Galgen war aufgerichtet, an welche man immerfort Männer und Frauen aufhängte, ohne ihr Jammergeschrei, ihre Thränen und Bitten zu beachten. Die Leichen der Erhängten wurden den Berg herab¬ geworfen und dann in die Wolga geschleudert. Als ich hinzutrat, war man eben mit mehreren adeligen Familien beschäftigt, welche sich ihrer Rettung wegen in Bauerkleider gehüllt und mit Ruß unkenntlich gemacht hatten. Das half ihnen aber nichts, sie wurden an der Art ihrer Sprache erkannt und unbarmherzig dem Tode übergeben. Dann wurden sechzig gemeine Schiffsarbeiter von der Wolga-Seite her auf den Rtchtplatz geführt; sie waren beschuldigt, den Kaiser Peter III. gelästert zu haben. Sie jammerten, schrien und baten um Gnade. „Ihr lieben Väterchen, warum wollt Ihr uns um¬ bringen? Wir sind auf unserem Fahrzeuge von Astrachan her gekommen und haben auf Euren Peter III. nicht gescholten, da wir ihn nicht kennen, gar nicht wissen von wannen er ist, ihn auch nie gesehen haben." „Sie haben selbst eingestanden, daß sie unsern Kaiser nicht anerkennen", brüllten die Henker und das Morden nahm seinen Fortgang. Die Leichen aber wurden vollständig ausgeplündert. Ich konnte diese Greuel nicht länger ansehen und kehrte in die Stadt zurück; hier bot sich mir ein Schauspiel dar, welches nicht besser war, als das, welches mir soeben zu Theil geworden: Soldaten. Kosaken, städtischer Pöbel und Gesindel aller Art taumelte betrunken durch die Straßen, sie lärmten und plünderten alle ihnen begegnenden .Personen; wer sich zur Wehr setzte, wurde ohne Weiteres niedergemacht, alle Straßen waren mit nackten Leichen bedeckt. In der Mitte eines dieser Haufen sah ich einen betrunkenen Mann von riesiger Gestalt, welcher mit einem reichen Priestergewande bekleidet war, auf dem Haupt aber eine Weibermütze trug.....Alle Läden, Kirchen und wohlhabenden Häuser wurden rein ausgeplündert." Grenzboten I. 18K9. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/237>, abgerufen am 28.09.2024.