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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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gesandte Truppenabtheilung von der Stadt abgeschnitten hatte, flieht der
Anführer derselben und gehen seine Leute zu dem Sieger über, der die Stadt,
nachdem sie hart beschossen worden, mühelos einnimmt. Kalmykow, der sich
bei den Truppen befunden, entwirft von dem, was sich folgenden Tags be¬
gab, nachstehende Schilderung.

"Wir verließen unsere Schanzen und flohen, zunächst ohne zu wissen
wohin.......Andern Morgens ging ich in die Stadt, in mein Haus.
Aus Furcht vor den Plünderern waren Fenster und Thüren verbarrikadirt.
meine Familie hatte sich im Keller versteckt. Nach Begrüßung derselben be¬
gab ich mich in das Stadthaus, wo bereits eine Menge Volks versammelt
war. Das Stadthaupt und die angesehensten Bürger vereinigten sich darüber,
vor das Thor zu ziehen und sich Pugatschew zu unterwerfen. An 3000
Mann stark begaben wir uns in sein Lager, das er auf dem Sokolberge
aufgeschlagen hatte. Als wir uns ihm näherten, fragte er seine Begleiter:
"Was wollen diese Leute?" Man erwiederte ihm, daß es die Bewohner
Saratow's seien, die sich sammt ihrem Gemeindevorsteher unterwerfen wollten.
"So führt sie zur Eidesleistung."

"Um das Zelt Pugatschew's standen eine Menge Geistlicher; dieselben
waren sämmtlich stark betrunken, nahmen indessen unaufhörlich Eidesleistun¬
gen des Volks entgegen. Nachdem wir geschworen hatten, führte man uns
in das Gemach Pugatschew's, der uns eine Rede hielt. Während er sprach,
konnte ich sein Gesicht, seinen schwarzen Bart und seine dunklen Augen genau
betrachten. Das Zeltgemach war weiß, mit goldenen Verzierungen geschmückt
und hübsch anzusehen. Auf einem mit purpurnem Sammt bekleideten er¬
höhten Sitz saß er da, mit einem Frack bekleidet, den kurzen Degen an der
Seite, auf dem Haupt eine Kosakenmütze, von welcher ein goldenes Kreuz
funkelte; sein Kleid war mit einem Stern und einem breiten Ordensbande
verziert, in den Händen hielt er ein Fernrohr, durch welches er von Zeit zu
Zeit auf die Stadt und deren Umgebung blickte. Die Leute seiner Umgebung
waren mit Kreuzen und Medaillen geschmückt und hatten das Aussehen von
Generalen. Er hielt uns folgende Rede: "Ich bin Euer echter und gesetz¬
licher Kaiser. Meine Frau ist zur Partei der Edelleute übergetreten und ich
habe geschworen, sie Alle bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie hatten
meine Frau beredet, Euch zu Sclaven zu machen, ich widersetzte mich dem;
dann haben sie sich gegen mich verschworen und Mörder ausgesandt, vor
deren Händen Gott mich indessen errettete. Ich floh in die Wälder von
Woronesch, und habe dieselben jetzt verlassen, um das Vaterland von seinen
Feinden zu reinigen und die Freiheit zu vertheidigen, welche jedem russischen
Manne theuer sein muß. Geht jetzt, lebt und erfreut Euch der Freiheit,


gesandte Truppenabtheilung von der Stadt abgeschnitten hatte, flieht der
Anführer derselben und gehen seine Leute zu dem Sieger über, der die Stadt,
nachdem sie hart beschossen worden, mühelos einnimmt. Kalmykow, der sich
bei den Truppen befunden, entwirft von dem, was sich folgenden Tags be¬
gab, nachstehende Schilderung.

„Wir verließen unsere Schanzen und flohen, zunächst ohne zu wissen
wohin.......Andern Morgens ging ich in die Stadt, in mein Haus.
Aus Furcht vor den Plünderern waren Fenster und Thüren verbarrikadirt.
meine Familie hatte sich im Keller versteckt. Nach Begrüßung derselben be¬
gab ich mich in das Stadthaus, wo bereits eine Menge Volks versammelt
war. Das Stadthaupt und die angesehensten Bürger vereinigten sich darüber,
vor das Thor zu ziehen und sich Pugatschew zu unterwerfen. An 3000
Mann stark begaben wir uns in sein Lager, das er auf dem Sokolberge
aufgeschlagen hatte. Als wir uns ihm näherten, fragte er seine Begleiter:
„Was wollen diese Leute?" Man erwiederte ihm, daß es die Bewohner
Saratow's seien, die sich sammt ihrem Gemeindevorsteher unterwerfen wollten.
„So führt sie zur Eidesleistung."

„Um das Zelt Pugatschew's standen eine Menge Geistlicher; dieselben
waren sämmtlich stark betrunken, nahmen indessen unaufhörlich Eidesleistun¬
gen des Volks entgegen. Nachdem wir geschworen hatten, führte man uns
in das Gemach Pugatschew's, der uns eine Rede hielt. Während er sprach,
konnte ich sein Gesicht, seinen schwarzen Bart und seine dunklen Augen genau
betrachten. Das Zeltgemach war weiß, mit goldenen Verzierungen geschmückt
und hübsch anzusehen. Auf einem mit purpurnem Sammt bekleideten er¬
höhten Sitz saß er da, mit einem Frack bekleidet, den kurzen Degen an der
Seite, auf dem Haupt eine Kosakenmütze, von welcher ein goldenes Kreuz
funkelte; sein Kleid war mit einem Stern und einem breiten Ordensbande
verziert, in den Händen hielt er ein Fernrohr, durch welches er von Zeit zu
Zeit auf die Stadt und deren Umgebung blickte. Die Leute seiner Umgebung
waren mit Kreuzen und Medaillen geschmückt und hatten das Aussehen von
Generalen. Er hielt uns folgende Rede: „Ich bin Euer echter und gesetz¬
licher Kaiser. Meine Frau ist zur Partei der Edelleute übergetreten und ich
habe geschworen, sie Alle bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie hatten
meine Frau beredet, Euch zu Sclaven zu machen, ich widersetzte mich dem;
dann haben sie sich gegen mich verschworen und Mörder ausgesandt, vor
deren Händen Gott mich indessen errettete. Ich floh in die Wälder von
Woronesch, und habe dieselben jetzt verlassen, um das Vaterland von seinen
Feinden zu reinigen und die Freiheit zu vertheidigen, welche jedem russischen
Manne theuer sein muß. Geht jetzt, lebt und erfreut Euch der Freiheit,


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[0236] gesandte Truppenabtheilung von der Stadt abgeschnitten hatte, flieht der Anführer derselben und gehen seine Leute zu dem Sieger über, der die Stadt, nachdem sie hart beschossen worden, mühelos einnimmt. Kalmykow, der sich bei den Truppen befunden, entwirft von dem, was sich folgenden Tags be¬ gab, nachstehende Schilderung. „Wir verließen unsere Schanzen und flohen, zunächst ohne zu wissen wohin.......Andern Morgens ging ich in die Stadt, in mein Haus. Aus Furcht vor den Plünderern waren Fenster und Thüren verbarrikadirt. meine Familie hatte sich im Keller versteckt. Nach Begrüßung derselben be¬ gab ich mich in das Stadthaus, wo bereits eine Menge Volks versammelt war. Das Stadthaupt und die angesehensten Bürger vereinigten sich darüber, vor das Thor zu ziehen und sich Pugatschew zu unterwerfen. An 3000 Mann stark begaben wir uns in sein Lager, das er auf dem Sokolberge aufgeschlagen hatte. Als wir uns ihm näherten, fragte er seine Begleiter: „Was wollen diese Leute?" Man erwiederte ihm, daß es die Bewohner Saratow's seien, die sich sammt ihrem Gemeindevorsteher unterwerfen wollten. „So führt sie zur Eidesleistung." „Um das Zelt Pugatschew's standen eine Menge Geistlicher; dieselben waren sämmtlich stark betrunken, nahmen indessen unaufhörlich Eidesleistun¬ gen des Volks entgegen. Nachdem wir geschworen hatten, führte man uns in das Gemach Pugatschew's, der uns eine Rede hielt. Während er sprach, konnte ich sein Gesicht, seinen schwarzen Bart und seine dunklen Augen genau betrachten. Das Zeltgemach war weiß, mit goldenen Verzierungen geschmückt und hübsch anzusehen. Auf einem mit purpurnem Sammt bekleideten er¬ höhten Sitz saß er da, mit einem Frack bekleidet, den kurzen Degen an der Seite, auf dem Haupt eine Kosakenmütze, von welcher ein goldenes Kreuz funkelte; sein Kleid war mit einem Stern und einem breiten Ordensbande verziert, in den Händen hielt er ein Fernrohr, durch welches er von Zeit zu Zeit auf die Stadt und deren Umgebung blickte. Die Leute seiner Umgebung waren mit Kreuzen und Medaillen geschmückt und hatten das Aussehen von Generalen. Er hielt uns folgende Rede: „Ich bin Euer echter und gesetz¬ licher Kaiser. Meine Frau ist zur Partei der Edelleute übergetreten und ich habe geschworen, sie Alle bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie hatten meine Frau beredet, Euch zu Sclaven zu machen, ich widersetzte mich dem; dann haben sie sich gegen mich verschworen und Mörder ausgesandt, vor deren Händen Gott mich indessen errettete. Ich floh in die Wälder von Woronesch, und habe dieselben jetzt verlassen, um das Vaterland von seinen Feinden zu reinigen und die Freiheit zu vertheidigen, welche jedem russischen Manne theuer sein muß. Geht jetzt, lebt und erfreut Euch der Freiheit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/236>, abgerufen am 28.09.2024.