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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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und behält daher eine Einrichtung bei, welche der kräftigen Ausführung ihrer
Vorschriften fortwährende Hindernisse droht.

Trotz der langen Dauer des Landtags -- vom 13. November 1868 bis
zum 9. Januar 1869 ---, hat derselbe doch nur höchst geringe Ergebnisse aufzu¬
weisen. Die Lösung seiner Hauptaufgabe, die Reform des Steuerwesens, ist,
ohne Hoffnung auf Gelingen, der Zukunft überlassen geblieben und inzwischen
ein Jnterimisticum der Steuereinrichtungen geschaffen worden, welches die
Unverträglichkeit derselben mit dem Zollvereinssteuerwesen nur verhüllt, nicht
beseitigt. Nur das Eine mag an diesen Verhandlungen tröstlich erscheinen,
daß sie es von Neuem der Bevölkerung klar vorführen, wie ein Staat mit
solcher Vertretung und solcher Verfassung den Verpflichtungen nicht mehr ge¬
wachsen ist, welche er nach Außen und gegen sich selbst zu erfüllen hat, und
daß daher durch diesen Landtag ein neues starkes Zeugniß für die Noth¬
wendigkeit und Dringlichkeit einer Verfassungsreform abgelegt worden ist.




Zur Geschichte des Aufstandes von pugatschew.

Zu den Lieblingsgegenständen der modernen russischen Geschichtsforschung
gehört der Pugatschew'sche Aufstand. Allein im verflossenen Jahre ist eine
ganze Reihe von Monographien über den kühnen Kosakenhäuptling erschienen;
bald werden die Verhältnisse geschildert, unter denen er aufgewachsen, bald
werden die einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten seiner Umgebung charak-
terisirt, oder Nachweise dafür gesammelt, daß er nur der Nachfolger einer
langen Reihe russischer nationaler Rebellen*) gewesen, die sich keineswegs mit
ihm schloß, sondern durch das gesammte Jahrhundert der westeuropäischen
Fremdherrschaft ihr Wesen trieb und die nothwendige Reaction gegen die
Mißhandlung der nationalen Traditionen und ihrer Vertreter, der unteren
Volksschichten, bildete. Wie ein rother Faden zieht sich durch all' diese histo¬
rischen und culturgeschichtlichen Arbeiten die Tendenz, die Bedeutung dieses
von der officiellen Historiographie für das Resultat eines Betruges aus¬
gegebenen Aufstandes zu erweitern, aus der Emeute eine nationale, innerlich
berechtigte Revolution des Volksbewußtseins gegen die westlichen Cultur¬
einflüsse zu machen.



") Ueber zwei derselben, Chaillu und Bogomolow, waren schon in den I. 1869 und 186V
interessante Monographien im "Westeck" 1860, H, s und "Paruß 1859" veröffentlicht worden.

und behält daher eine Einrichtung bei, welche der kräftigen Ausführung ihrer
Vorschriften fortwährende Hindernisse droht.

Trotz der langen Dauer des Landtags — vom 13. November 1868 bis
zum 9. Januar 1869 —-, hat derselbe doch nur höchst geringe Ergebnisse aufzu¬
weisen. Die Lösung seiner Hauptaufgabe, die Reform des Steuerwesens, ist,
ohne Hoffnung auf Gelingen, der Zukunft überlassen geblieben und inzwischen
ein Jnterimisticum der Steuereinrichtungen geschaffen worden, welches die
Unverträglichkeit derselben mit dem Zollvereinssteuerwesen nur verhüllt, nicht
beseitigt. Nur das Eine mag an diesen Verhandlungen tröstlich erscheinen,
daß sie es von Neuem der Bevölkerung klar vorführen, wie ein Staat mit
solcher Vertretung und solcher Verfassung den Verpflichtungen nicht mehr ge¬
wachsen ist, welche er nach Außen und gegen sich selbst zu erfüllen hat, und
daß daher durch diesen Landtag ein neues starkes Zeugniß für die Noth¬
wendigkeit und Dringlichkeit einer Verfassungsreform abgelegt worden ist.




Zur Geschichte des Aufstandes von pugatschew.

Zu den Lieblingsgegenständen der modernen russischen Geschichtsforschung
gehört der Pugatschew'sche Aufstand. Allein im verflossenen Jahre ist eine
ganze Reihe von Monographien über den kühnen Kosakenhäuptling erschienen;
bald werden die Verhältnisse geschildert, unter denen er aufgewachsen, bald
werden die einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten seiner Umgebung charak-
terisirt, oder Nachweise dafür gesammelt, daß er nur der Nachfolger einer
langen Reihe russischer nationaler Rebellen*) gewesen, die sich keineswegs mit
ihm schloß, sondern durch das gesammte Jahrhundert der westeuropäischen
Fremdherrschaft ihr Wesen trieb und die nothwendige Reaction gegen die
Mißhandlung der nationalen Traditionen und ihrer Vertreter, der unteren
Volksschichten, bildete. Wie ein rother Faden zieht sich durch all' diese histo¬
rischen und culturgeschichtlichen Arbeiten die Tendenz, die Bedeutung dieses
von der officiellen Historiographie für das Resultat eines Betruges aus¬
gegebenen Aufstandes zu erweitern, aus der Emeute eine nationale, innerlich
berechtigte Revolution des Volksbewußtseins gegen die westlichen Cultur¬
einflüsse zu machen.



") Ueber zwei derselben, Chaillu und Bogomolow, waren schon in den I. 1869 und 186V
interessante Monographien im „Westeck" 1860, H, s und „Paruß 1859" veröffentlicht worden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/230>, abgerufen am 28.09.2024.