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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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einen kleinen Avantgardenstoß dem Feldzeugmeister den geraden Weg nach Wien
zu stören, und näherte sich darauf gemächlich dem Gros der Armee zur eventuellen
Wiedervereinigung; die erste Armee suchte ebenfalls die Verbindungen zwischen
dem k> k. Heere und Wien zu besetzen und machte in den letzten Stunden vor Ab¬
schluß des Waffenstillstandes noch eine gewagte Demonstration gegen Preßburg,
welche zwar nicht mißlang, aber nicht mehr völlig zur Ausführung gebracht wer¬
den konnte. In Wahrheit war seit der Schlacht bei Königgrätz der wichtigste
Theil der Kriegführung der Diplomatie zugefallen. Wie in dem Haupt¬
quartier allmälig den französischen Forderungen die Spitze umgebogen, die
ungeheuerliche Cession Venetiens an Frankreich unschädlich gemacht und der
richtige Satz durchgefochten wurde, daß Preußen die Früchte seiner Siege
durch Erwerbungen in Norddeutschland einzuernten habe, das darzustellen ist
nicht Aufgabe der Kriegsgeschichte. Auch ob durch eine Schlacht bei Wien,
durch darauf folgende Ueberziehung Süddeutschlands, sofortige Einfügung
der Südstaaten in den Bund und Aufstellung des Heeres gegen Frankreich
eine definitive Ordnung der deutschen Verhältnisse und ein dauerhafter Friede
mit Frankreich und Oestreich durchzusetzen gewesen, darf hier nicht erörtert
werden; es ist nicht unmöglich, daß dies eine umfangreiche Streitfrage künf¬
tiger Historiker werden wird, es ist noch heut nicht unmöglich, daß durch den
Erfolg bewiesen wird, wie sehr die Leiter der auswärtigen Politik Preußens
Recht gehabt, im Jahre 1866 den Kampf mit Frankreich zu vermeiden.

Es war ein kurzer Krieg von ungeheuren Resultaten: er hat in
Deutschland selbst zerstört, was die Entwickelung der Nation zu einer Gro߬
macht aufhielt und hat den Deutschen die Stellung unter den politischen
Mächten der Erde wieder gegeben, welche ihnen unter den Nachkommen
Kaiser Karl V., des Habsburgers, verloren wurde. Er hat die Grundlagen
geschaffen, auf denen He politische Arbeit der Zeitgenossen und der nächsten
Generation den einigen deutschen Staat ausbauen wird, welcher uns endlich
vor Uebergriffen der Romanen und Slaven sicher stellt. Er hat auch dem
preußischen Kriegsheer den größten Triumph bereitet; seine Bewaffnung und
seine Organisation werden wieder, wie nach dem siebenjährigen Kriege, um die
Wette von den übrigen Mächten nachgeahmt. Aber die beste Bürgschaft für die
Tüchtigkeit des preußischen Heerwesens ist doch, daß das gerechte Selbstgefühl
der Sieger nach keiner Richtung eine Ueberhebung zur Folge hatte. Hinter den
Zeilen des preußischen Generalstabsberichts ist dasselbe zu lesen, was man
überall von den Führern und Soldaten des preußischen Heeres hören konnte.

Als Neulinge zogen die jungen Soldaten der preußischen Linie, zum
ersten Mal auch die meisten Officiere und Befehlshaber in einen Krieg, welcher
über das Schicksal ihres Staates entscheiden sollte. Die sorgfältige Vorbil¬
dung im Frieden vermochte nicht die Kriegserfahrung zu ersetzen. Fünfzig Jahre


einen kleinen Avantgardenstoß dem Feldzeugmeister den geraden Weg nach Wien
zu stören, und näherte sich darauf gemächlich dem Gros der Armee zur eventuellen
Wiedervereinigung; die erste Armee suchte ebenfalls die Verbindungen zwischen
dem k> k. Heere und Wien zu besetzen und machte in den letzten Stunden vor Ab¬
schluß des Waffenstillstandes noch eine gewagte Demonstration gegen Preßburg,
welche zwar nicht mißlang, aber nicht mehr völlig zur Ausführung gebracht wer¬
den konnte. In Wahrheit war seit der Schlacht bei Königgrätz der wichtigste
Theil der Kriegführung der Diplomatie zugefallen. Wie in dem Haupt¬
quartier allmälig den französischen Forderungen die Spitze umgebogen, die
ungeheuerliche Cession Venetiens an Frankreich unschädlich gemacht und der
richtige Satz durchgefochten wurde, daß Preußen die Früchte seiner Siege
durch Erwerbungen in Norddeutschland einzuernten habe, das darzustellen ist
nicht Aufgabe der Kriegsgeschichte. Auch ob durch eine Schlacht bei Wien,
durch darauf folgende Ueberziehung Süddeutschlands, sofortige Einfügung
der Südstaaten in den Bund und Aufstellung des Heeres gegen Frankreich
eine definitive Ordnung der deutschen Verhältnisse und ein dauerhafter Friede
mit Frankreich und Oestreich durchzusetzen gewesen, darf hier nicht erörtert
werden; es ist nicht unmöglich, daß dies eine umfangreiche Streitfrage künf¬
tiger Historiker werden wird, es ist noch heut nicht unmöglich, daß durch den
Erfolg bewiesen wird, wie sehr die Leiter der auswärtigen Politik Preußens
Recht gehabt, im Jahre 1866 den Kampf mit Frankreich zu vermeiden.

Es war ein kurzer Krieg von ungeheuren Resultaten: er hat in
Deutschland selbst zerstört, was die Entwickelung der Nation zu einer Gro߬
macht aufhielt und hat den Deutschen die Stellung unter den politischen
Mächten der Erde wieder gegeben, welche ihnen unter den Nachkommen
Kaiser Karl V., des Habsburgers, verloren wurde. Er hat die Grundlagen
geschaffen, auf denen He politische Arbeit der Zeitgenossen und der nächsten
Generation den einigen deutschen Staat ausbauen wird, welcher uns endlich
vor Uebergriffen der Romanen und Slaven sicher stellt. Er hat auch dem
preußischen Kriegsheer den größten Triumph bereitet; seine Bewaffnung und
seine Organisation werden wieder, wie nach dem siebenjährigen Kriege, um die
Wette von den übrigen Mächten nachgeahmt. Aber die beste Bürgschaft für die
Tüchtigkeit des preußischen Heerwesens ist doch, daß das gerechte Selbstgefühl
der Sieger nach keiner Richtung eine Ueberhebung zur Folge hatte. Hinter den
Zeilen des preußischen Generalstabsberichts ist dasselbe zu lesen, was man
überall von den Führern und Soldaten des preußischen Heeres hören konnte.

Als Neulinge zogen die jungen Soldaten der preußischen Linie, zum
ersten Mal auch die meisten Officiere und Befehlshaber in einen Krieg, welcher
über das Schicksal ihres Staates entscheiden sollte. Die sorgfältige Vorbil¬
dung im Frieden vermochte nicht die Kriegserfahrung zu ersetzen. Fünfzig Jahre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/22>, abgerufen am 28.09.2024.