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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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holt und mit steigender Erbitterung erfahren hat. Es ist viel über jene
denkwürdigen Tage geschrieben, aber auch eingehender Darstellung fehlte
die Kenntniß zahlreicher Einzelheiten. Die Schrift des Herrn von Seebach
rechtfertigt nicht nur vollständig das Verhalten des Herzogs, sie ergänzt auch
durch genaue Präcisirung der Thatsachen die anderweitigen officiellen Rela¬
tionen und darf deshalb einen dauernden historischen Werth beanspruchen.
Sie ist als Arbeit ein Muster von klarer Erzählung und feiner Polemik, in
wohlgemessener Haltung und gut geschrieben, durch ruhige Würde und ehr¬
liche Gesinnung vernichtend für den Gegner.

Ein regierender Herr ist gegenüber solchen Angriffen, wie sie in diesem
Falle seit zwei Jahren von befangenen oder unwahrhasten Männern erhoben
worden sind, in weit ungünstigerer Lage, als ein Privatmann. Ihm wird
verdacht, wenn er die gesetzlichen Privilegien seiner Stellung in Anspruch
nimmt; es wird ihm leicht mißdeutet, wenn er selbst die Feder ergreift; einige
der letzten Mittel, durch welche ein Privatmann seine angegriffene Ehre ver¬
theidigt, sind ihm ganz versagt. Und doch ist gerade ihm gegenüber Klatsch
und kleinliche Ausfassung am geschäftigsten. Wenige deutsche Regenten haben
in den verhängnißvollen Wochen vor der Schlacht bei Königgrätz so entschlossen
und völlig ihre Pflicht gegen Deutschland gethan, und keiner hat dafür so
abgeneigte Beurtheilung gefunden, als Gotha. Gerade die Tage, in denen
der Herzog Alles, was ihm irgend möglich war, versuchte, um den blutigen
Conflict des Königs Georg mit den preußischen Truppen zu verhindern,
haben ihm von Seiten der Hannoveraner die größte Feindseligkeit aufgeregt.
Wir wissen jetzt recht genau, daß zwar der Herzog in gutem Glauben und
mit ehrlichem Antheil an den Verhandlungen sich betheiligte, daß aber König
Georg seinerseits gar nicht die Absicht hatte, der Vermittelung des Herzogs
Etwas zu verdanken.

Es wird dem Leser nicht unwillkommen sein, nach Anleitung der Flug¬
schrift noch einmal die Ereignisse der Tage zu betrachten, welche dem Treffen
von Langensalza vorausgingen. Möge zunächst Minister von Seebach selbst
erzählen:

"Am 21. Juni war das hannöversche Hauptquartier in Heiligenstadt, am
22. in Mühlhausen. Man hatte von hier nur noch einen Tagemarsch nach
Eisenach. Zwischen dieser Stadt und Mühlhausen zieht sich das Waldgebirge
des Hainichs. Man nahm, weil nördlich desselben feindliche Truppen gesehen
worden waren, ohne Grund an, daß dasselbe besetzt sei; man verzichtete auf
eine gewaltsame Eröffnung dieses nächsten Weges und beschloß den Umweg
über Langensalza einzuschlagen.

Man erreichte diese Stadt am 23. Die Avantgarde unter dem Obersten
von Bülow besetzte am Nachmittage die Behringsdörfer. welche nur eine


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holt und mit steigender Erbitterung erfahren hat. Es ist viel über jene
denkwürdigen Tage geschrieben, aber auch eingehender Darstellung fehlte
die Kenntniß zahlreicher Einzelheiten. Die Schrift des Herrn von Seebach
rechtfertigt nicht nur vollständig das Verhalten des Herzogs, sie ergänzt auch
durch genaue Präcisirung der Thatsachen die anderweitigen officiellen Rela¬
tionen und darf deshalb einen dauernden historischen Werth beanspruchen.
Sie ist als Arbeit ein Muster von klarer Erzählung und feiner Polemik, in
wohlgemessener Haltung und gut geschrieben, durch ruhige Würde und ehr¬
liche Gesinnung vernichtend für den Gegner.

Ein regierender Herr ist gegenüber solchen Angriffen, wie sie in diesem
Falle seit zwei Jahren von befangenen oder unwahrhasten Männern erhoben
worden sind, in weit ungünstigerer Lage, als ein Privatmann. Ihm wird
verdacht, wenn er die gesetzlichen Privilegien seiner Stellung in Anspruch
nimmt; es wird ihm leicht mißdeutet, wenn er selbst die Feder ergreift; einige
der letzten Mittel, durch welche ein Privatmann seine angegriffene Ehre ver¬
theidigt, sind ihm ganz versagt. Und doch ist gerade ihm gegenüber Klatsch
und kleinliche Ausfassung am geschäftigsten. Wenige deutsche Regenten haben
in den verhängnißvollen Wochen vor der Schlacht bei Königgrätz so entschlossen
und völlig ihre Pflicht gegen Deutschland gethan, und keiner hat dafür so
abgeneigte Beurtheilung gefunden, als Gotha. Gerade die Tage, in denen
der Herzog Alles, was ihm irgend möglich war, versuchte, um den blutigen
Conflict des Königs Georg mit den preußischen Truppen zu verhindern,
haben ihm von Seiten der Hannoveraner die größte Feindseligkeit aufgeregt.
Wir wissen jetzt recht genau, daß zwar der Herzog in gutem Glauben und
mit ehrlichem Antheil an den Verhandlungen sich betheiligte, daß aber König
Georg seinerseits gar nicht die Absicht hatte, der Vermittelung des Herzogs
Etwas zu verdanken.

Es wird dem Leser nicht unwillkommen sein, nach Anleitung der Flug¬
schrift noch einmal die Ereignisse der Tage zu betrachten, welche dem Treffen
von Langensalza vorausgingen. Möge zunächst Minister von Seebach selbst
erzählen:

„Am 21. Juni war das hannöversche Hauptquartier in Heiligenstadt, am
22. in Mühlhausen. Man hatte von hier nur noch einen Tagemarsch nach
Eisenach. Zwischen dieser Stadt und Mühlhausen zieht sich das Waldgebirge
des Hainichs. Man nahm, weil nördlich desselben feindliche Truppen gesehen
worden waren, ohne Grund an, daß dasselbe besetzt sei; man verzichtete auf
eine gewaltsame Eröffnung dieses nächsten Weges und beschloß den Umweg
über Langensalza einzuschlagen.

Man erreichte diese Stadt am 23. Die Avantgarde unter dem Obersten
von Bülow besetzte am Nachmittage die Behringsdörfer. welche nur eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/167>, abgerufen am 20.10.2024.