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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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und mit welcher er eine Zeitlang das neue Staatswesen erfüllt zu haben
schien. Hier ist vollends die Kluft in die Augen springend, die den italieni¬
schen von den deutschen Reformatoren trennt. Diese wandten sich an das
Erlösungsbedürfniß des menschlichen Herzens, Savonarola an die Phantasie
eines leicht entzündlichen Volks. Es ist ein Gegensatz, der auf die tiefste
Eigenthümlichkeit der Nationalitäten zurückgeht. Denn der Südländer scheint
für die Religion überhaupt schwer zugänglich zu sein, außer von Seiten der
Phantasie und noch in unsern Tagen zeigen die Zustände in Italien, daß
es einen phantasieloser Gottesdienst nicht erträgt. Darin lag nun die Stärke
der reformatorischen Predigt Savonarola's, wie ihre Schwäche. Es erklärt
sich daraus die dämonische Gewalt, die er über die Gemüther besaß, die
wunderbare Raschheit der sichtbaren Erfolge, der glühende Enthusiasmus,
der im Lauf weniger Monate das ganze Aussehen der Stadt verändert.
Aber ein heimlicher Verehrer der alten Götter mag wohl den Processionen
der Piagnonen spöttisch nachgeblickt haben mit dem Wort: es hat Alles seine
Zeit. Auch der Enthusiasmus hat seine Zeit. Nicht lange vermag er sich
auf künstlicher Höhe zu halten, die Flamme verzehrt sich rasch in sich selbst,
die Mittel, so wirksam einen Augenblick, nützen sich ab, unaufhörlich müssen
sie erneuert werden, sie steigern sich zum Fanatismus, zum Wahnsinn; schließ,
lich tritt doch der unvermeidliche Rückschlag ein und der Vergötterte selbst
muß erfahren, welche Kraft der durch ihn geweckten Flamme innewohnt.

Die Predigten Savonarola's sind selbst ein untrüglicher Maßstab für
die Tiefe der religiösen Bewegung in Florenz. Schon im Januar 1495
klagt er über Anfeindungen, über den Undank der Florentiner. Im Juli
d- I. donnert er gegen die Laster der Stadt, gegen die Tänze, das Spiel
das Fluchen, den Ehebruch, als ob sich Nichts geändert hätte. Immer wieder
dieselben Strafgerichte ruft er über die sündige Stadt herab. Im Jahr
1497, als die Gegenpartei ans Ruder kommt, scheint der sittliche Zustand
der Stadt ziemlich derselbe wie zuvor und was von Frömmigkeit bei der
zusammenschmelzenden Partei vorhanden ist, beginnt jetzt seine innerste Natur
Zu zeigen. Man glaubte an den Wundermann -- wie, wenn ihm die
Wunder versagen? Er selbst verliert sich, als sein Schicksal sich verwickelt,
in die letzten Consequenzen des religiösen Fanatismus. Er schreibt sich zwar
mit der Gabe übernatürlicher Gesichte nicht auch die Gabe zu, Wunder zu
thun, aber er ist doch überzeugt, daß Gott, um die Sache seines Propheten
zu bezeugen, erforderlichen Falls ein Zeichen thun wird. Er ruft ein sicht¬
bares Strafgericht vom Himmel auf sich herab, wenn seine Lehre nicht von
Gott sei. Er fordert damit seine Gegner heraus, ein Wunder, wo nicht
von ihm, doch an ihm zu erwarten, und die Folge ist jener Versuch der
Feuerprobe, der sein Schicksal beschleunigt. Die Seinigen selbst werden von


und mit welcher er eine Zeitlang das neue Staatswesen erfüllt zu haben
schien. Hier ist vollends die Kluft in die Augen springend, die den italieni¬
schen von den deutschen Reformatoren trennt. Diese wandten sich an das
Erlösungsbedürfniß des menschlichen Herzens, Savonarola an die Phantasie
eines leicht entzündlichen Volks. Es ist ein Gegensatz, der auf die tiefste
Eigenthümlichkeit der Nationalitäten zurückgeht. Denn der Südländer scheint
für die Religion überhaupt schwer zugänglich zu sein, außer von Seiten der
Phantasie und noch in unsern Tagen zeigen die Zustände in Italien, daß
es einen phantasieloser Gottesdienst nicht erträgt. Darin lag nun die Stärke
der reformatorischen Predigt Savonarola's, wie ihre Schwäche. Es erklärt
sich daraus die dämonische Gewalt, die er über die Gemüther besaß, die
wunderbare Raschheit der sichtbaren Erfolge, der glühende Enthusiasmus,
der im Lauf weniger Monate das ganze Aussehen der Stadt verändert.
Aber ein heimlicher Verehrer der alten Götter mag wohl den Processionen
der Piagnonen spöttisch nachgeblickt haben mit dem Wort: es hat Alles seine
Zeit. Auch der Enthusiasmus hat seine Zeit. Nicht lange vermag er sich
auf künstlicher Höhe zu halten, die Flamme verzehrt sich rasch in sich selbst,
die Mittel, so wirksam einen Augenblick, nützen sich ab, unaufhörlich müssen
sie erneuert werden, sie steigern sich zum Fanatismus, zum Wahnsinn; schließ,
lich tritt doch der unvermeidliche Rückschlag ein und der Vergötterte selbst
muß erfahren, welche Kraft der durch ihn geweckten Flamme innewohnt.

Die Predigten Savonarola's sind selbst ein untrüglicher Maßstab für
die Tiefe der religiösen Bewegung in Florenz. Schon im Januar 1495
klagt er über Anfeindungen, über den Undank der Florentiner. Im Juli
d- I. donnert er gegen die Laster der Stadt, gegen die Tänze, das Spiel
das Fluchen, den Ehebruch, als ob sich Nichts geändert hätte. Immer wieder
dieselben Strafgerichte ruft er über die sündige Stadt herab. Im Jahr
1497, als die Gegenpartei ans Ruder kommt, scheint der sittliche Zustand
der Stadt ziemlich derselbe wie zuvor und was von Frömmigkeit bei der
zusammenschmelzenden Partei vorhanden ist, beginnt jetzt seine innerste Natur
Zu zeigen. Man glaubte an den Wundermann — wie, wenn ihm die
Wunder versagen? Er selbst verliert sich, als sein Schicksal sich verwickelt,
in die letzten Consequenzen des religiösen Fanatismus. Er schreibt sich zwar
mit der Gabe übernatürlicher Gesichte nicht auch die Gabe zu, Wunder zu
thun, aber er ist doch überzeugt, daß Gott, um die Sache seines Propheten
zu bezeugen, erforderlichen Falls ein Zeichen thun wird. Er ruft ein sicht¬
bares Strafgericht vom Himmel auf sich herab, wenn seine Lehre nicht von
Gott sei. Er fordert damit seine Gegner heraus, ein Wunder, wo nicht
von ihm, doch an ihm zu erwarten, und die Folge ist jener Versuch der
Feuerprobe, der sein Schicksal beschleunigt. Die Seinigen selbst werden von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/163>, abgerufen am 28.09.2024.