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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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lichen Befehl ertheilt habe, und wenn nun dieser seine eigenen Anordnungen
so leicht nahm, daß er sich nicht lange bitten ließ, sie selbst wieder zurück¬
zunehmen, so begann sich Savonarola die Frage vorzulegen, ob er ver¬
pflichter sei, solchen Befehlen überhaupt unbedingten Grhorsam zu leisten.

Diese Frage sollte in kurzer Zeit praktisch werden. Die Arrabiati er¬
neuern ihre übertreibender Denunciationen und ein Breve vom Juli lädt
mit hinterlistiger Freundlichkeit Savonarola bei der Pflicht des Gehorsams
nach Rom ein. Dieser entschuldigt sich mit schweren körperlichen Leiden, die
ihm die Reise, aber auch ferneres Predigen verbieten, und er verspricht somit
Schweigen. Der Papst nimmt die Entschuldigung an, wiederholt aber im
September die Einladung nach Rom, diesmal unter der Anklage falscher
Lehren, die jedoch nicht näher bezeichnet sind. Savonarola ist fest entschlossen,
nicht zu gehorchen, er fährt fort zu predigen und er faßt jetzt den bestimm¬
teren Gedanken, daß nur durch die Absetzung dieses Papstes, der sein Amt
durch die schmählichste-Simonie erschlichen, die Erneuerung der Kirche herbei¬
geführt werden könne. Dabei wußte er sich unterstützt durch eine starke
Partei im Cardinalscollegium, die, den Cardinal Giuliano della Rovere, den
nachmaligen Papst Julius II., an der Spitze, bei Karl VIII. die Berufung
eines Concils zu diesem Zweck betreibt. Savonarola redet noch nicht öffent¬
lich davon, aber er wendet sich gleichfalls wiederholt an den König von
Frankreich, um ihn zu diesem Schritt zu bewegen. Ein drittes Breve vom
November legt dem Mönch Stillschweigen auf, der durch heftiges Predigen
gegen Pietro von Medici den Papst abermals aufs Aeußerste aufgebracht hatte.
Ein Gutachten, das sich dieser inzwischen über Savonarola's Lehren erstatten
ließ, fiel jedoch ganz zu dessen Gunsten aus und so ließ sich der Papst durch
erneute Bitten aus Florenz bewegen, Savonarola die Erlaubniß zum Pre¬
digen für die Fasten von 1496 wieder zu ertheilen.

Von nun an bringt Savonarola seinen Streit mit dem Papst offen aus
die Kanzel. Er betheuert seine Rechtgläubigkeit, behauptet aber, daß, wenn
die Kirche im Dogma unfehlbar sei. doch Niemand deshalb die Verpflichtung
habe, jedem beliebigen Befehl, der vom Papst komme, zu gehorchen. "Der
Papst kann mir Nichts befehlen, was der christlichen Liebe oder dem Evan¬
gelium widerspricht. Ich glaube nicht, daß er es jemals wird thun wollen;
aber wenn er es thäte, so würde ich zu ihm sagen: in diesem Augenblick bist
Du nicht Hirt, nicht römische Kirche, sondern Du irrst." Und der Fall ist
bereits eingetreten, wo der Widerstand zur christlichen Pflicht wird. Denn
Savonarola ist sich bewußt, daß er nur aus politischen Hasse verfolgt wird,
daß man in ihm nur die Republik tödten will, daß seine Entfernung aus
Florenz der Freiheit und der Religion selbst zum Schaden gereichen würde.

So geht der Streit weiter, mit immer größerer Bitterkeit auf beiden


lichen Befehl ertheilt habe, und wenn nun dieser seine eigenen Anordnungen
so leicht nahm, daß er sich nicht lange bitten ließ, sie selbst wieder zurück¬
zunehmen, so begann sich Savonarola die Frage vorzulegen, ob er ver¬
pflichter sei, solchen Befehlen überhaupt unbedingten Grhorsam zu leisten.

Diese Frage sollte in kurzer Zeit praktisch werden. Die Arrabiati er¬
neuern ihre übertreibender Denunciationen und ein Breve vom Juli lädt
mit hinterlistiger Freundlichkeit Savonarola bei der Pflicht des Gehorsams
nach Rom ein. Dieser entschuldigt sich mit schweren körperlichen Leiden, die
ihm die Reise, aber auch ferneres Predigen verbieten, und er verspricht somit
Schweigen. Der Papst nimmt die Entschuldigung an, wiederholt aber im
September die Einladung nach Rom, diesmal unter der Anklage falscher
Lehren, die jedoch nicht näher bezeichnet sind. Savonarola ist fest entschlossen,
nicht zu gehorchen, er fährt fort zu predigen und er faßt jetzt den bestimm¬
teren Gedanken, daß nur durch die Absetzung dieses Papstes, der sein Amt
durch die schmählichste-Simonie erschlichen, die Erneuerung der Kirche herbei¬
geführt werden könne. Dabei wußte er sich unterstützt durch eine starke
Partei im Cardinalscollegium, die, den Cardinal Giuliano della Rovere, den
nachmaligen Papst Julius II., an der Spitze, bei Karl VIII. die Berufung
eines Concils zu diesem Zweck betreibt. Savonarola redet noch nicht öffent¬
lich davon, aber er wendet sich gleichfalls wiederholt an den König von
Frankreich, um ihn zu diesem Schritt zu bewegen. Ein drittes Breve vom
November legt dem Mönch Stillschweigen auf, der durch heftiges Predigen
gegen Pietro von Medici den Papst abermals aufs Aeußerste aufgebracht hatte.
Ein Gutachten, das sich dieser inzwischen über Savonarola's Lehren erstatten
ließ, fiel jedoch ganz zu dessen Gunsten aus und so ließ sich der Papst durch
erneute Bitten aus Florenz bewegen, Savonarola die Erlaubniß zum Pre¬
digen für die Fasten von 1496 wieder zu ertheilen.

Von nun an bringt Savonarola seinen Streit mit dem Papst offen aus
die Kanzel. Er betheuert seine Rechtgläubigkeit, behauptet aber, daß, wenn
die Kirche im Dogma unfehlbar sei. doch Niemand deshalb die Verpflichtung
habe, jedem beliebigen Befehl, der vom Papst komme, zu gehorchen. „Der
Papst kann mir Nichts befehlen, was der christlichen Liebe oder dem Evan¬
gelium widerspricht. Ich glaube nicht, daß er es jemals wird thun wollen;
aber wenn er es thäte, so würde ich zu ihm sagen: in diesem Augenblick bist
Du nicht Hirt, nicht römische Kirche, sondern Du irrst." Und der Fall ist
bereits eingetreten, wo der Widerstand zur christlichen Pflicht wird. Denn
Savonarola ist sich bewußt, daß er nur aus politischen Hasse verfolgt wird,
daß man in ihm nur die Republik tödten will, daß seine Entfernung aus
Florenz der Freiheit und der Religion selbst zum Schaden gereichen würde.

So geht der Streit weiter, mit immer größerer Bitterkeit auf beiden


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[0160] lichen Befehl ertheilt habe, und wenn nun dieser seine eigenen Anordnungen so leicht nahm, daß er sich nicht lange bitten ließ, sie selbst wieder zurück¬ zunehmen, so begann sich Savonarola die Frage vorzulegen, ob er ver¬ pflichter sei, solchen Befehlen überhaupt unbedingten Grhorsam zu leisten. Diese Frage sollte in kurzer Zeit praktisch werden. Die Arrabiati er¬ neuern ihre übertreibender Denunciationen und ein Breve vom Juli lädt mit hinterlistiger Freundlichkeit Savonarola bei der Pflicht des Gehorsams nach Rom ein. Dieser entschuldigt sich mit schweren körperlichen Leiden, die ihm die Reise, aber auch ferneres Predigen verbieten, und er verspricht somit Schweigen. Der Papst nimmt die Entschuldigung an, wiederholt aber im September die Einladung nach Rom, diesmal unter der Anklage falscher Lehren, die jedoch nicht näher bezeichnet sind. Savonarola ist fest entschlossen, nicht zu gehorchen, er fährt fort zu predigen und er faßt jetzt den bestimm¬ teren Gedanken, daß nur durch die Absetzung dieses Papstes, der sein Amt durch die schmählichste-Simonie erschlichen, die Erneuerung der Kirche herbei¬ geführt werden könne. Dabei wußte er sich unterstützt durch eine starke Partei im Cardinalscollegium, die, den Cardinal Giuliano della Rovere, den nachmaligen Papst Julius II., an der Spitze, bei Karl VIII. die Berufung eines Concils zu diesem Zweck betreibt. Savonarola redet noch nicht öffent¬ lich davon, aber er wendet sich gleichfalls wiederholt an den König von Frankreich, um ihn zu diesem Schritt zu bewegen. Ein drittes Breve vom November legt dem Mönch Stillschweigen auf, der durch heftiges Predigen gegen Pietro von Medici den Papst abermals aufs Aeußerste aufgebracht hatte. Ein Gutachten, das sich dieser inzwischen über Savonarola's Lehren erstatten ließ, fiel jedoch ganz zu dessen Gunsten aus und so ließ sich der Papst durch erneute Bitten aus Florenz bewegen, Savonarola die Erlaubniß zum Pre¬ digen für die Fasten von 1496 wieder zu ertheilen. Von nun an bringt Savonarola seinen Streit mit dem Papst offen aus die Kanzel. Er betheuert seine Rechtgläubigkeit, behauptet aber, daß, wenn die Kirche im Dogma unfehlbar sei. doch Niemand deshalb die Verpflichtung habe, jedem beliebigen Befehl, der vom Papst komme, zu gehorchen. „Der Papst kann mir Nichts befehlen, was der christlichen Liebe oder dem Evan¬ gelium widerspricht. Ich glaube nicht, daß er es jemals wird thun wollen; aber wenn er es thäte, so würde ich zu ihm sagen: in diesem Augenblick bist Du nicht Hirt, nicht römische Kirche, sondern Du irrst." Und der Fall ist bereits eingetreten, wo der Widerstand zur christlichen Pflicht wird. Denn Savonarola ist sich bewußt, daß er nur aus politischen Hasse verfolgt wird, daß man in ihm nur die Republik tödten will, daß seine Entfernung aus Florenz der Freiheit und der Religion selbst zum Schaden gereichen würde. So geht der Streit weiter, mit immer größerer Bitterkeit auf beiden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/160>, abgerufen am 28.09.2024.