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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Reiße zu erhalten und daraus auf eine Concentration der zweiten Armee
an der glatzer Grenze zu schließen. Aber diese Nachrichten vermochten nicht
dem kaiserlichen Hauptquartier die Ansicht zu nehmen, daß der Hauptstoß
des Gegners von der Lausitz her drohe. Die Anhäufung preußischer Truppen
bei Görlitz, die schnelle Occupation Sachsens hielten dort die Phantasie über¬
mächtig gefangen; man scheint angenommen zu haben, daß der preußische
Vorstoß aus der Grafschaft Glatz nicht viel mehr als eine Demonstration
sei, um der ersten Armee den Einmarsch zu sichern, und daß mäßige Streit¬
kräfte genügen würden, die glatzer Corps in das Gebirge zurückzutreiben.

Andererseits nahm die erste preußische Armee sich nach ihrer Vereinigung
mit der Elbarmee bei ihrem Vormarsch in Böhmen weit mehr Zeit als die
Verhältnisse erlaubten. Sie verlor durch unnöthiges Zusammenziehen und
umständliche Vorbereitungen einer Umgehung, welcher sich der schwächere Feind
doch entzog, zwei werthvolle Tage. Statt mit unwiderstehlicher Kraft das
1. östreichische Corps (Clam-Gallas) und die Sachsen vor sich her zu stoßen,
setzte sie zögernd und vorsichtig Schritt um Schritt. Die Schrift des östrei¬
chischen Generalstabes verschärft das Urtheil über die Bedächtigkeit dieses
preußischen Vorrückens; man erfährt, daß dem östreichischen Corps schon am
Tage des feindlichen Einmarsches der Befehl zugegangen war, nicht zu viel
aufs Spiel zu setzen und sich auf das Gros des Heeres zurückzuziehen; und
wenn dieser Auftrag auch durch Schwankungen in den Absichten des kaiser¬
lichen Oberbefehls auf einzelne Tage suspendirt wurde, so war doch ein
entschlossener Widerstand bis zum Aeußersten selbst vor dem Tage von Gitschin
nicht befohlen. Auch die Annahme bei der ersten preußischen Armee, daß
drei Armeecorps ihr gegenüber stünden, konnte nach mehrfachem Zusammen¬
stoß mit dem Feinde nicht mehr als Grund des langsamen Vorrückens an¬
geführt werden. Jedenfalls war die zweite Armee bei ihrem Einmarsch unter
den schwierigsten Verhältnissen dem Angriff von sechs östreichischen Corps
ausgesetzt.

Auf drei Straßen betraten die preußischen Corps der zweiten Armee am
27. Juni -- die Garde am 25. -- den böhmischen Boden, auf der Straße
von Nachod, welche durch die Anmarschlinie des östreichischen Corps zuerst
betroffen werden mußte, das 5. Corps (Steinmetz), dahinter als Verstärkung
das schwache sechste. Im Centrum über Eipel das Gardecorps, auf dem rechten
Flügel über Trautenau das erste (Bonin). Fast zu gleicher Zeit nahte die
östreichische Armee den DeWen, das 10. Corps (Gablenz) auf der Straße
nach Trautenau, das 6. (Ramming) gegen Nachod; von der Existenz des
Gardecorps in der Mitte scheinen die Oestreicher am 27. Nichts gewußt zu
haben. Am Abend des 27ten nach den Treffen bet Trautenau und Nachod
hatten die Oestreicher das Gefühl eines erfolgreichen Kampfes. Das erste


Reiße zu erhalten und daraus auf eine Concentration der zweiten Armee
an der glatzer Grenze zu schließen. Aber diese Nachrichten vermochten nicht
dem kaiserlichen Hauptquartier die Ansicht zu nehmen, daß der Hauptstoß
des Gegners von der Lausitz her drohe. Die Anhäufung preußischer Truppen
bei Görlitz, die schnelle Occupation Sachsens hielten dort die Phantasie über¬
mächtig gefangen; man scheint angenommen zu haben, daß der preußische
Vorstoß aus der Grafschaft Glatz nicht viel mehr als eine Demonstration
sei, um der ersten Armee den Einmarsch zu sichern, und daß mäßige Streit¬
kräfte genügen würden, die glatzer Corps in das Gebirge zurückzutreiben.

Andererseits nahm die erste preußische Armee sich nach ihrer Vereinigung
mit der Elbarmee bei ihrem Vormarsch in Böhmen weit mehr Zeit als die
Verhältnisse erlaubten. Sie verlor durch unnöthiges Zusammenziehen und
umständliche Vorbereitungen einer Umgehung, welcher sich der schwächere Feind
doch entzog, zwei werthvolle Tage. Statt mit unwiderstehlicher Kraft das
1. östreichische Corps (Clam-Gallas) und die Sachsen vor sich her zu stoßen,
setzte sie zögernd und vorsichtig Schritt um Schritt. Die Schrift des östrei¬
chischen Generalstabes verschärft das Urtheil über die Bedächtigkeit dieses
preußischen Vorrückens; man erfährt, daß dem östreichischen Corps schon am
Tage des feindlichen Einmarsches der Befehl zugegangen war, nicht zu viel
aufs Spiel zu setzen und sich auf das Gros des Heeres zurückzuziehen; und
wenn dieser Auftrag auch durch Schwankungen in den Absichten des kaiser¬
lichen Oberbefehls auf einzelne Tage suspendirt wurde, so war doch ein
entschlossener Widerstand bis zum Aeußersten selbst vor dem Tage von Gitschin
nicht befohlen. Auch die Annahme bei der ersten preußischen Armee, daß
drei Armeecorps ihr gegenüber stünden, konnte nach mehrfachem Zusammen¬
stoß mit dem Feinde nicht mehr als Grund des langsamen Vorrückens an¬
geführt werden. Jedenfalls war die zweite Armee bei ihrem Einmarsch unter
den schwierigsten Verhältnissen dem Angriff von sechs östreichischen Corps
ausgesetzt.

Auf drei Straßen betraten die preußischen Corps der zweiten Armee am
27. Juni — die Garde am 25. — den böhmischen Boden, auf der Straße
von Nachod, welche durch die Anmarschlinie des östreichischen Corps zuerst
betroffen werden mußte, das 5. Corps (Steinmetz), dahinter als Verstärkung
das schwache sechste. Im Centrum über Eipel das Gardecorps, auf dem rechten
Flügel über Trautenau das erste (Bonin). Fast zu gleicher Zeit nahte die
östreichische Armee den DeWen, das 10. Corps (Gablenz) auf der Straße
nach Trautenau, das 6. (Ramming) gegen Nachod; von der Existenz des
Gardecorps in der Mitte scheinen die Oestreicher am 27. Nichts gewußt zu
haben. Am Abend des 27ten nach den Treffen bet Trautenau und Nachod
hatten die Oestreicher das Gefühl eines erfolgreichen Kampfes. Das erste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/16>, abgerufen am 28.09.2024.