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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Trüben zu fischen, während es Venedig einzig um die Herrschaft im Hafen
von Pisa zu thun war. Allein der tiefste, unversöhnlichste Haß von Papst
und Fürsten galt neben diesen selbstsüchtigen Motiven doch der Existenz der
Republik selbst. Nicht nur war hier ein italienisches Fürstenthum durch das
Volk gestürzt, sondern diese Republik trat auch durch den Mund ihres Pro¬
pheten unverhohlen propagandistisch auf: Staat und Kirche sollten auf neuen
Grundlagen aufgebaut, die ganze Welt sollte von Florenz aus erneuert wer¬
den. Es war in der That, als ob der ganze Haß, mit welchem sich die
italienische Tyrannis des Is. Jahrhunderts beladen, hier endlich zum Aus¬
bruch gekommen wäre und sich vorläufig in der Republik Savonarola's eine
Form geschaffen hätte um von da aus die Tyrannis überhaupt aus der
Welt zu schaffen. Das Papstthum aber fühlte sich von diesem Hasse in
zwiefacher Weise getroffen, denn es hatte an den Gräueln des Fürstenthums
Theil wie an den Gräueln der Kirche. Und nun sieht man, wie Savonarola
mitten inne stand in diesem Principienkampfe, den die Republik zu bestehen
hatte. Wenn die Republik das Ziel der allgemeinen Anfeindung war, so
war es in doppeltem Maße derjenige, der die Freiheit gegründet hatte, der
als ein Bote Gottes die Florentiner immer wieder anfeuerte und die Ge¬
beugten aufrichtete, der unausgesetzt wider die Tyrannen und wider die Laster
der Prälaten predigte und der nicht aufhörte, den König von Frankreich zur
Erneuerung der Kirche über die Alpen herbeizurufen. Man wußte: wenn es
gelang, den Mönch zu beseitigen, so hatte man den Nerv der Republik ge-
tödtet. In Florenz fühlte man die Solidarität der Republik mit ihrem
geistigen Haupt. Aber das Gefühl stumpfte sich allmälig ab, als der per.
sömliche Einfluß Savonarola's schwand. Als ihnen der Mönch im Innern
eine Last geworden war, wollten sie ihn auch nicht mehr nach Außen ver¬
treten. Macchiavellt sagt in seiner kühlen Weise: er ging zu Grunde mitten
in seiner neuen Verfassung als das Volk nicht mehr an ihn glaubte.

In diese Verhältnisse muß man sich versetzen, um den Streit Savona¬
rola's mit dem Papste zu verstehen. Es ist das Verdienst Villari's, die poli¬
tischen Motive dieses Streits in ihr volles Licht gesetzt zusahen, auf welche
übrigens Savonarola selbst immer wieder zurückkommt.

Es waren die Arrabiati, welche vom Jahr 1495 an den Mönch wegen
seiner Ausfälle auf die Kirche, auf die Prälaten und Fürsten Italiens beim
Papst und bei Ludovico Moro denuncirten. Ende Januar des genannten
Jahrs befiehlt der Papst dem Mönch nach Lucca zu gehen, dieser will ge¬
horchen, doch legt Borgia der Sache noch keine Wichtigkeit bet und auf
die Bitte der Zehn läßt er sich bewegen, den Befehl zurückzunehmen. Gleich
dieser Vorgang machte auf Savonarola einen tiefen Eindruck. Er gewann
die Ueberzeugung, daß der Papst nur aus politischen Gründen jenen geiht-


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Trüben zu fischen, während es Venedig einzig um die Herrschaft im Hafen
von Pisa zu thun war. Allein der tiefste, unversöhnlichste Haß von Papst
und Fürsten galt neben diesen selbstsüchtigen Motiven doch der Existenz der
Republik selbst. Nicht nur war hier ein italienisches Fürstenthum durch das
Volk gestürzt, sondern diese Republik trat auch durch den Mund ihres Pro¬
pheten unverhohlen propagandistisch auf: Staat und Kirche sollten auf neuen
Grundlagen aufgebaut, die ganze Welt sollte von Florenz aus erneuert wer¬
den. Es war in der That, als ob der ganze Haß, mit welchem sich die
italienische Tyrannis des Is. Jahrhunderts beladen, hier endlich zum Aus¬
bruch gekommen wäre und sich vorläufig in der Republik Savonarola's eine
Form geschaffen hätte um von da aus die Tyrannis überhaupt aus der
Welt zu schaffen. Das Papstthum aber fühlte sich von diesem Hasse in
zwiefacher Weise getroffen, denn es hatte an den Gräueln des Fürstenthums
Theil wie an den Gräueln der Kirche. Und nun sieht man, wie Savonarola
mitten inne stand in diesem Principienkampfe, den die Republik zu bestehen
hatte. Wenn die Republik das Ziel der allgemeinen Anfeindung war, so
war es in doppeltem Maße derjenige, der die Freiheit gegründet hatte, der
als ein Bote Gottes die Florentiner immer wieder anfeuerte und die Ge¬
beugten aufrichtete, der unausgesetzt wider die Tyrannen und wider die Laster
der Prälaten predigte und der nicht aufhörte, den König von Frankreich zur
Erneuerung der Kirche über die Alpen herbeizurufen. Man wußte: wenn es
gelang, den Mönch zu beseitigen, so hatte man den Nerv der Republik ge-
tödtet. In Florenz fühlte man die Solidarität der Republik mit ihrem
geistigen Haupt. Aber das Gefühl stumpfte sich allmälig ab, als der per.
sömliche Einfluß Savonarola's schwand. Als ihnen der Mönch im Innern
eine Last geworden war, wollten sie ihn auch nicht mehr nach Außen ver¬
treten. Macchiavellt sagt in seiner kühlen Weise: er ging zu Grunde mitten
in seiner neuen Verfassung als das Volk nicht mehr an ihn glaubte.

In diese Verhältnisse muß man sich versetzen, um den Streit Savona¬
rola's mit dem Papste zu verstehen. Es ist das Verdienst Villari's, die poli¬
tischen Motive dieses Streits in ihr volles Licht gesetzt zusahen, auf welche
übrigens Savonarola selbst immer wieder zurückkommt.

Es waren die Arrabiati, welche vom Jahr 1495 an den Mönch wegen
seiner Ausfälle auf die Kirche, auf die Prälaten und Fürsten Italiens beim
Papst und bei Ludovico Moro denuncirten. Ende Januar des genannten
Jahrs befiehlt der Papst dem Mönch nach Lucca zu gehen, dieser will ge¬
horchen, doch legt Borgia der Sache noch keine Wichtigkeit bet und auf
die Bitte der Zehn läßt er sich bewegen, den Befehl zurückzunehmen. Gleich
dieser Vorgang machte auf Savonarola einen tiefen Eindruck. Er gewann
die Ueberzeugung, daß der Papst nur aus politischen Gründen jenen geiht-


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[0159] Trüben zu fischen, während es Venedig einzig um die Herrschaft im Hafen von Pisa zu thun war. Allein der tiefste, unversöhnlichste Haß von Papst und Fürsten galt neben diesen selbstsüchtigen Motiven doch der Existenz der Republik selbst. Nicht nur war hier ein italienisches Fürstenthum durch das Volk gestürzt, sondern diese Republik trat auch durch den Mund ihres Pro¬ pheten unverhohlen propagandistisch auf: Staat und Kirche sollten auf neuen Grundlagen aufgebaut, die ganze Welt sollte von Florenz aus erneuert wer¬ den. Es war in der That, als ob der ganze Haß, mit welchem sich die italienische Tyrannis des Is. Jahrhunderts beladen, hier endlich zum Aus¬ bruch gekommen wäre und sich vorläufig in der Republik Savonarola's eine Form geschaffen hätte um von da aus die Tyrannis überhaupt aus der Welt zu schaffen. Das Papstthum aber fühlte sich von diesem Hasse in zwiefacher Weise getroffen, denn es hatte an den Gräueln des Fürstenthums Theil wie an den Gräueln der Kirche. Und nun sieht man, wie Savonarola mitten inne stand in diesem Principienkampfe, den die Republik zu bestehen hatte. Wenn die Republik das Ziel der allgemeinen Anfeindung war, so war es in doppeltem Maße derjenige, der die Freiheit gegründet hatte, der als ein Bote Gottes die Florentiner immer wieder anfeuerte und die Ge¬ beugten aufrichtete, der unausgesetzt wider die Tyrannen und wider die Laster der Prälaten predigte und der nicht aufhörte, den König von Frankreich zur Erneuerung der Kirche über die Alpen herbeizurufen. Man wußte: wenn es gelang, den Mönch zu beseitigen, so hatte man den Nerv der Republik ge- tödtet. In Florenz fühlte man die Solidarität der Republik mit ihrem geistigen Haupt. Aber das Gefühl stumpfte sich allmälig ab, als der per. sömliche Einfluß Savonarola's schwand. Als ihnen der Mönch im Innern eine Last geworden war, wollten sie ihn auch nicht mehr nach Außen ver¬ treten. Macchiavellt sagt in seiner kühlen Weise: er ging zu Grunde mitten in seiner neuen Verfassung als das Volk nicht mehr an ihn glaubte. In diese Verhältnisse muß man sich versetzen, um den Streit Savona¬ rola's mit dem Papste zu verstehen. Es ist das Verdienst Villari's, die poli¬ tischen Motive dieses Streits in ihr volles Licht gesetzt zusahen, auf welche übrigens Savonarola selbst immer wieder zurückkommt. Es waren die Arrabiati, welche vom Jahr 1495 an den Mönch wegen seiner Ausfälle auf die Kirche, auf die Prälaten und Fürsten Italiens beim Papst und bei Ludovico Moro denuncirten. Ende Januar des genannten Jahrs befiehlt der Papst dem Mönch nach Lucca zu gehen, dieser will ge¬ horchen, doch legt Borgia der Sache noch keine Wichtigkeit bet und auf die Bitte der Zehn läßt er sich bewegen, den Befehl zurückzunehmen. Gleich dieser Vorgang machte auf Savonarola einen tiefen Eindruck. Er gewann die Ueberzeugung, daß der Papst nur aus politischen Gründen jenen geiht- 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/159>, abgerufen am 28.09.2024.