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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Von dem praktischen Geschick, mit welchem Savonarola unleugbar in
der Verfassungsfrage eingnff, sticht nun seltsam der sonstige Inhalt seiner
Predigt ab. Ihr visionärer Charakter steigert sich in einer Weise, daß der
Redner völlig die Herrschaft über sich zu verlieren scheint. Anstatt über den
Erfolg seines Werks irgend welche Befriedigung zu äußern, überläßt er sich
vielmehr einer leidenschaftlichen Traurigkeit. Immer wieder kündigt er Ge¬
richt und Stiafen an, Krieg und Zwietracht sieht er über Florenz herein¬
brechen, und schon glaubt er die Axt auf sich selbst gezückt: mit merkwürdiger
Bestimmtheit und Consequenz verkündigt er von da an seinen Märtyrertod.
Auf seine Visionen gründet er die ganze Legitimation seines Berufs, mit
allen Künsten eines in der Scholastik geschulten Sophisten beweist er die
Wirklichkeit seiner Offenbarungen, Es steht ihm fest, daß er am Himmel
da" Schwert des Herrn gesehen. Ueber Rom und Jerusalem sieht er zwei
Kreuze aufgerichtet. Er erzählt, wie er als Abgesandter der Florentiner bei
Christus und bei der Jungfrau Maria erschien und berichtet über seine
Audienzen wie ein Diplomat an seine Regierung berichtet. Er wiederholt
die Worte, die er von Stimmen Unsichtbarer im Himmel vernommen, er hat
keinen Traum, für den er nicht eine Bibelstelle kennt, keinen Einfall, den
er nicht aus Thomas von Aquino zu belegen weiß, er ist der Sclave seiner
Träume.

Dieser prophetische, apokalyptische Charakter ist es nun vor Allem, dem
seine Predigt ihren ungeheuren Erfolg verdankt. Dadurch gewann er
die unbedingte Herrschaft über die Gemüther, die ihn nicht blos zum poli¬
tischen Rathgeber machte, sondern mit welcher er auch seine reformatorischen
Ideen schien verwirklichen zu können. Seit d?n Fastenpredigten des Jahres
1493 tritt die Politik in seinen Predigten zurück. Ihr Thema wird die
Sittenreform, und auch dieses Ziel scheint er zu erreichen. Unglaublich ist
der Zulauf, den seine Predigten finden, der Tom selbst kann die Zuhörer nicht
mehr fassen und die Begeisterung fängt nun wirklich an, sich in Handlungen
umzusetzen. Florenz ist in kurzer Zeit wie verwandelt. Statt der zuchtlosen
Carnevalsgesänge erfüllen heilige Lieder die Stadt. Die Frauen legen den
Schmuck ab und kleiden sich einfach, die Kirchen füllen sich mit Betenden,
selbst die ausgelassene Jugend befleißigt sich ehrbarer Sitten. Allein wie
lange wird dieser gesteigerte Zustand der Frömmigkeit sich erhalten? Wird
sich darauf ein dauerhaftes Gebäude begründen, wird nun von dieser Reform
der Stadt Florenz die Reform Italiens und der ganzen Welt ihren Aus¬
gang nehmen? Dieser Pivphetismus war wie immer ein zweischneidiges
Schwert. Er drang in die Herzen der Gläubigen, aber er war zugleich eine
furchtbare Waffe in der Hand der Feinde. Es stand nicht lange an. so
machte man den Träumer und Traumauslegcr lächerlich: von dieser Seite


Von dem praktischen Geschick, mit welchem Savonarola unleugbar in
der Verfassungsfrage eingnff, sticht nun seltsam der sonstige Inhalt seiner
Predigt ab. Ihr visionärer Charakter steigert sich in einer Weise, daß der
Redner völlig die Herrschaft über sich zu verlieren scheint. Anstatt über den
Erfolg seines Werks irgend welche Befriedigung zu äußern, überläßt er sich
vielmehr einer leidenschaftlichen Traurigkeit. Immer wieder kündigt er Ge¬
richt und Stiafen an, Krieg und Zwietracht sieht er über Florenz herein¬
brechen, und schon glaubt er die Axt auf sich selbst gezückt: mit merkwürdiger
Bestimmtheit und Consequenz verkündigt er von da an seinen Märtyrertod.
Auf seine Visionen gründet er die ganze Legitimation seines Berufs, mit
allen Künsten eines in der Scholastik geschulten Sophisten beweist er die
Wirklichkeit seiner Offenbarungen, Es steht ihm fest, daß er am Himmel
da« Schwert des Herrn gesehen. Ueber Rom und Jerusalem sieht er zwei
Kreuze aufgerichtet. Er erzählt, wie er als Abgesandter der Florentiner bei
Christus und bei der Jungfrau Maria erschien und berichtet über seine
Audienzen wie ein Diplomat an seine Regierung berichtet. Er wiederholt
die Worte, die er von Stimmen Unsichtbarer im Himmel vernommen, er hat
keinen Traum, für den er nicht eine Bibelstelle kennt, keinen Einfall, den
er nicht aus Thomas von Aquino zu belegen weiß, er ist der Sclave seiner
Träume.

Dieser prophetische, apokalyptische Charakter ist es nun vor Allem, dem
seine Predigt ihren ungeheuren Erfolg verdankt. Dadurch gewann er
die unbedingte Herrschaft über die Gemüther, die ihn nicht blos zum poli¬
tischen Rathgeber machte, sondern mit welcher er auch seine reformatorischen
Ideen schien verwirklichen zu können. Seit d?n Fastenpredigten des Jahres
1493 tritt die Politik in seinen Predigten zurück. Ihr Thema wird die
Sittenreform, und auch dieses Ziel scheint er zu erreichen. Unglaublich ist
der Zulauf, den seine Predigten finden, der Tom selbst kann die Zuhörer nicht
mehr fassen und die Begeisterung fängt nun wirklich an, sich in Handlungen
umzusetzen. Florenz ist in kurzer Zeit wie verwandelt. Statt der zuchtlosen
Carnevalsgesänge erfüllen heilige Lieder die Stadt. Die Frauen legen den
Schmuck ab und kleiden sich einfach, die Kirchen füllen sich mit Betenden,
selbst die ausgelassene Jugend befleißigt sich ehrbarer Sitten. Allein wie
lange wird dieser gesteigerte Zustand der Frömmigkeit sich erhalten? Wird
sich darauf ein dauerhaftes Gebäude begründen, wird nun von dieser Reform
der Stadt Florenz die Reform Italiens und der ganzen Welt ihren Aus¬
gang nehmen? Dieser Pivphetismus war wie immer ein zweischneidiges
Schwert. Er drang in die Herzen der Gläubigen, aber er war zugleich eine
furchtbare Waffe in der Hand der Feinde. Es stand nicht lange an. so
machte man den Träumer und Traumauslegcr lächerlich: von dieser Seite


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[0155] Von dem praktischen Geschick, mit welchem Savonarola unleugbar in der Verfassungsfrage eingnff, sticht nun seltsam der sonstige Inhalt seiner Predigt ab. Ihr visionärer Charakter steigert sich in einer Weise, daß der Redner völlig die Herrschaft über sich zu verlieren scheint. Anstatt über den Erfolg seines Werks irgend welche Befriedigung zu äußern, überläßt er sich vielmehr einer leidenschaftlichen Traurigkeit. Immer wieder kündigt er Ge¬ richt und Stiafen an, Krieg und Zwietracht sieht er über Florenz herein¬ brechen, und schon glaubt er die Axt auf sich selbst gezückt: mit merkwürdiger Bestimmtheit und Consequenz verkündigt er von da an seinen Märtyrertod. Auf seine Visionen gründet er die ganze Legitimation seines Berufs, mit allen Künsten eines in der Scholastik geschulten Sophisten beweist er die Wirklichkeit seiner Offenbarungen, Es steht ihm fest, daß er am Himmel da« Schwert des Herrn gesehen. Ueber Rom und Jerusalem sieht er zwei Kreuze aufgerichtet. Er erzählt, wie er als Abgesandter der Florentiner bei Christus und bei der Jungfrau Maria erschien und berichtet über seine Audienzen wie ein Diplomat an seine Regierung berichtet. Er wiederholt die Worte, die er von Stimmen Unsichtbarer im Himmel vernommen, er hat keinen Traum, für den er nicht eine Bibelstelle kennt, keinen Einfall, den er nicht aus Thomas von Aquino zu belegen weiß, er ist der Sclave seiner Träume. Dieser prophetische, apokalyptische Charakter ist es nun vor Allem, dem seine Predigt ihren ungeheuren Erfolg verdankt. Dadurch gewann er die unbedingte Herrschaft über die Gemüther, die ihn nicht blos zum poli¬ tischen Rathgeber machte, sondern mit welcher er auch seine reformatorischen Ideen schien verwirklichen zu können. Seit d?n Fastenpredigten des Jahres 1493 tritt die Politik in seinen Predigten zurück. Ihr Thema wird die Sittenreform, und auch dieses Ziel scheint er zu erreichen. Unglaublich ist der Zulauf, den seine Predigten finden, der Tom selbst kann die Zuhörer nicht mehr fassen und die Begeisterung fängt nun wirklich an, sich in Handlungen umzusetzen. Florenz ist in kurzer Zeit wie verwandelt. Statt der zuchtlosen Carnevalsgesänge erfüllen heilige Lieder die Stadt. Die Frauen legen den Schmuck ab und kleiden sich einfach, die Kirchen füllen sich mit Betenden, selbst die ausgelassene Jugend befleißigt sich ehrbarer Sitten. Allein wie lange wird dieser gesteigerte Zustand der Frömmigkeit sich erhalten? Wird sich darauf ein dauerhaftes Gebäude begründen, wird nun von dieser Reform der Stadt Florenz die Reform Italiens und der ganzen Welt ihren Aus¬ gang nehmen? Dieser Pivphetismus war wie immer ein zweischneidiges Schwert. Er drang in die Herzen der Gläubigen, aber er war zugleich eine furchtbare Waffe in der Hand der Feinde. Es stand nicht lange an. so machte man den Träumer und Traumauslegcr lächerlich: von dieser Seite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/155>, abgerufen am 20.10.2024.