Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mann sich zu schließen, der wie ein sicherer Gebieter in dieser allgemeinen
Unsicherheit der Dinge steht. Und schon naht auch der Retter, der nach dem
Gericht die Kirche aus ihrem Fall erheben wird. Schon ist der neue Cyrus
im Anmarsch, der Italien als Sieger durchziehen wird, ohne auf Widerstand
zu stoßen. Es war in den Fasten 1494. als er den neuen Cyrus zuerst an¬
kündigte, und er fuhr mit dieser Ankündigung fort, indem er im September
bleich Jahrs seine Predigten über die Arche Noah's begann. Wie er nun
aber am 21. September wieder auf der Kanzel stelzt und mit gewaltiger Be¬
tonung die Worte wiederholt: "Siehe, ich will eine Wasserflut!) kommen
lassen über die Erde", da war die Wirkung "me ganz erschütternde, den Zu¬
hörern sträubten sich die Haare, ein Scyauder ging durch alle Gemüther;
denn eben in diesen Tagen War die Kunde nach Florenz gekommen, daß ein
fremdes Heer, von einem jugendlichen König geführt, über die Alpen ge¬
zogen sei und sich in unzählbaren Schaaren über Italiens Gefilde wälze.
Savonarola hatte den Sturm vorausgesagt, er mußte ihn auch beschwören
können. Aengstlich richteten sich alle Blicke auf den Propheten, an ihn
wandten sich die Staatsmänner um Rath, der Mönch war eine politische
Peisönlichkeit geworden.

Es warxn gemischte Empfindungen, mit welchen man in Florenz der
Ankunft Karl's VIII. entgegensah. Pietro von Medici. Lorenzo's verhaßter
Sohn, stand auf Seite Neapels, das der französische König zu erobern ge¬
dachte; man mußte sich also auf einen feindlichen Durchzug gefaßt machen.
Allein die Bevölkerung der Stadt war dem König entschieden günstig ge¬
sinnt. Das guelfische Florenz hatte immer zu Frankreich gehalten; man
hoffre jetzt mit keiner Hilfe das Joch des verhaßten Pietro abschütteln zu
können und Savonarola hatte diese günstige Stimmung genährt, indem er
ihn im Voraus ankündigte und anrief, als Erneuerer der Kirche von den
Alpen herabzusteigen. Von diesen Hoffnungen, die sich an das Kommen der
Franzosen knüpften, ging die eine in Erfüllung: Florenz erlangte seine
Freiheit wieder. Allein auch an der anderen Hoffnung, daß Karl's Schwert
die Kirche erneuern werde, hielt Savonarola seltsamer Weise noch lange fest.
Karl selbst, dieser schwache, unbeständige, aber ehrgeizige Fürst war durch
Savonarola's Anreden und Predigten so berückt, daß er selbst eine Zeitlang
sich als ein Werkzeug der Vorsehung vorkam und seinen abenteuerlichen
Kriegszug als eine göttliche Mission betrachtete.

Nicht das erste Mal war es, daß der Alpenübergang eines französischen
Heeres auf lange Zeiten das Schicksal der Halbinsel bestimmte. Zwei Jahr¬
hunderte zuvor war jener andere Karl gekommen, vom Papst mit dem König¬
reich Sicilien belehnt, zum ersten Mal jene Ansprüche erhebend, welche eben
jetzt Karl VIII. erneuerte. Auch damals hatte es geheißen, es gelte einen


Mann sich zu schließen, der wie ein sicherer Gebieter in dieser allgemeinen
Unsicherheit der Dinge steht. Und schon naht auch der Retter, der nach dem
Gericht die Kirche aus ihrem Fall erheben wird. Schon ist der neue Cyrus
im Anmarsch, der Italien als Sieger durchziehen wird, ohne auf Widerstand
zu stoßen. Es war in den Fasten 1494. als er den neuen Cyrus zuerst an¬
kündigte, und er fuhr mit dieser Ankündigung fort, indem er im September
bleich Jahrs seine Predigten über die Arche Noah's begann. Wie er nun
aber am 21. September wieder auf der Kanzel stelzt und mit gewaltiger Be¬
tonung die Worte wiederholt: „Siehe, ich will eine Wasserflut!) kommen
lassen über die Erde", da war die Wirkung «me ganz erschütternde, den Zu¬
hörern sträubten sich die Haare, ein Scyauder ging durch alle Gemüther;
denn eben in diesen Tagen War die Kunde nach Florenz gekommen, daß ein
fremdes Heer, von einem jugendlichen König geführt, über die Alpen ge¬
zogen sei und sich in unzählbaren Schaaren über Italiens Gefilde wälze.
Savonarola hatte den Sturm vorausgesagt, er mußte ihn auch beschwören
können. Aengstlich richteten sich alle Blicke auf den Propheten, an ihn
wandten sich die Staatsmänner um Rath, der Mönch war eine politische
Peisönlichkeit geworden.

Es warxn gemischte Empfindungen, mit welchen man in Florenz der
Ankunft Karl's VIII. entgegensah. Pietro von Medici. Lorenzo's verhaßter
Sohn, stand auf Seite Neapels, das der französische König zu erobern ge¬
dachte; man mußte sich also auf einen feindlichen Durchzug gefaßt machen.
Allein die Bevölkerung der Stadt war dem König entschieden günstig ge¬
sinnt. Das guelfische Florenz hatte immer zu Frankreich gehalten; man
hoffre jetzt mit keiner Hilfe das Joch des verhaßten Pietro abschütteln zu
können und Savonarola hatte diese günstige Stimmung genährt, indem er
ihn im Voraus ankündigte und anrief, als Erneuerer der Kirche von den
Alpen herabzusteigen. Von diesen Hoffnungen, die sich an das Kommen der
Franzosen knüpften, ging die eine in Erfüllung: Florenz erlangte seine
Freiheit wieder. Allein auch an der anderen Hoffnung, daß Karl's Schwert
die Kirche erneuern werde, hielt Savonarola seltsamer Weise noch lange fest.
Karl selbst, dieser schwache, unbeständige, aber ehrgeizige Fürst war durch
Savonarola's Anreden und Predigten so berückt, daß er selbst eine Zeitlang
sich als ein Werkzeug der Vorsehung vorkam und seinen abenteuerlichen
Kriegszug als eine göttliche Mission betrachtete.

Nicht das erste Mal war es, daß der Alpenübergang eines französischen
Heeres auf lange Zeiten das Schicksal der Halbinsel bestimmte. Zwei Jahr¬
hunderte zuvor war jener andere Karl gekommen, vom Papst mit dem König¬
reich Sicilien belehnt, zum ersten Mal jene Ansprüche erhebend, welche eben
jetzt Karl VIII. erneuerte. Auch damals hatte es geheißen, es gelte einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120339"/>
            <p xml:id="ID_437" prev="#ID_436"> Mann sich zu schließen, der wie ein sicherer Gebieter in dieser allgemeinen<lb/>
Unsicherheit der Dinge steht. Und schon naht auch der Retter, der nach dem<lb/>
Gericht die Kirche aus ihrem Fall erheben wird. Schon ist der neue Cyrus<lb/>
im Anmarsch, der Italien als Sieger durchziehen wird, ohne auf Widerstand<lb/>
zu stoßen. Es war in den Fasten 1494. als er den neuen Cyrus zuerst an¬<lb/>
kündigte, und er fuhr mit dieser Ankündigung fort, indem er im September<lb/>
bleich Jahrs seine Predigten über die Arche Noah's begann. Wie er nun<lb/>
aber am 21. September wieder auf der Kanzel stelzt und mit gewaltiger Be¬<lb/>
tonung die Worte wiederholt: &#x201E;Siehe, ich will eine Wasserflut!) kommen<lb/>
lassen über die Erde", da war die Wirkung «me ganz erschütternde, den Zu¬<lb/>
hörern sträubten sich die Haare, ein Scyauder ging durch alle Gemüther;<lb/>
denn eben in diesen Tagen War die Kunde nach Florenz gekommen, daß ein<lb/>
fremdes Heer, von einem jugendlichen König geführt, über die Alpen ge¬<lb/>
zogen sei und sich in unzählbaren Schaaren über Italiens Gefilde wälze.<lb/>
Savonarola hatte den Sturm vorausgesagt, er mußte ihn auch beschwören<lb/>
können. Aengstlich richteten sich alle Blicke auf den Propheten, an ihn<lb/>
wandten sich die Staatsmänner um Rath, der Mönch war eine politische<lb/>
Peisönlichkeit geworden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_438"> Es warxn gemischte Empfindungen, mit welchen man in Florenz der<lb/>
Ankunft Karl's VIII. entgegensah. Pietro von Medici. Lorenzo's verhaßter<lb/>
Sohn, stand auf Seite Neapels, das der französische König zu erobern ge¬<lb/>
dachte; man mußte sich also auf einen feindlichen Durchzug gefaßt machen.<lb/>
Allein die Bevölkerung der Stadt war dem König entschieden günstig ge¬<lb/>
sinnt. Das guelfische Florenz hatte immer zu Frankreich gehalten; man<lb/>
hoffre jetzt mit keiner Hilfe das Joch des verhaßten Pietro abschütteln zu<lb/>
können und Savonarola hatte diese günstige Stimmung genährt, indem er<lb/>
ihn im Voraus ankündigte und anrief, als Erneuerer der Kirche von den<lb/>
Alpen herabzusteigen. Von diesen Hoffnungen, die sich an das Kommen der<lb/>
Franzosen knüpften, ging die eine in Erfüllung: Florenz erlangte seine<lb/>
Freiheit wieder. Allein auch an der anderen Hoffnung, daß Karl's Schwert<lb/>
die Kirche erneuern werde, hielt Savonarola seltsamer Weise noch lange fest.<lb/>
Karl selbst, dieser schwache, unbeständige, aber ehrgeizige Fürst war durch<lb/>
Savonarola's Anreden und Predigten so berückt, daß er selbst eine Zeitlang<lb/>
sich als ein Werkzeug der Vorsehung vorkam und seinen abenteuerlichen<lb/>
Kriegszug als eine göttliche Mission betrachtete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_439"> Nicht das erste Mal war es, daß der Alpenübergang eines französischen<lb/>
Heeres auf lange Zeiten das Schicksal der Halbinsel bestimmte. Zwei Jahr¬<lb/>
hunderte zuvor war jener andere Karl gekommen, vom Papst mit dem König¬<lb/>
reich Sicilien belehnt, zum ersten Mal jene Ansprüche erhebend, welche eben<lb/>
jetzt Karl VIII. erneuerte.  Auch damals hatte es geheißen, es gelte einen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Mann sich zu schließen, der wie ein sicherer Gebieter in dieser allgemeinen Unsicherheit der Dinge steht. Und schon naht auch der Retter, der nach dem Gericht die Kirche aus ihrem Fall erheben wird. Schon ist der neue Cyrus im Anmarsch, der Italien als Sieger durchziehen wird, ohne auf Widerstand zu stoßen. Es war in den Fasten 1494. als er den neuen Cyrus zuerst an¬ kündigte, und er fuhr mit dieser Ankündigung fort, indem er im September bleich Jahrs seine Predigten über die Arche Noah's begann. Wie er nun aber am 21. September wieder auf der Kanzel stelzt und mit gewaltiger Be¬ tonung die Worte wiederholt: „Siehe, ich will eine Wasserflut!) kommen lassen über die Erde", da war die Wirkung «me ganz erschütternde, den Zu¬ hörern sträubten sich die Haare, ein Scyauder ging durch alle Gemüther; denn eben in diesen Tagen War die Kunde nach Florenz gekommen, daß ein fremdes Heer, von einem jugendlichen König geführt, über die Alpen ge¬ zogen sei und sich in unzählbaren Schaaren über Italiens Gefilde wälze. Savonarola hatte den Sturm vorausgesagt, er mußte ihn auch beschwören können. Aengstlich richteten sich alle Blicke auf den Propheten, an ihn wandten sich die Staatsmänner um Rath, der Mönch war eine politische Peisönlichkeit geworden. Es warxn gemischte Empfindungen, mit welchen man in Florenz der Ankunft Karl's VIII. entgegensah. Pietro von Medici. Lorenzo's verhaßter Sohn, stand auf Seite Neapels, das der französische König zu erobern ge¬ dachte; man mußte sich also auf einen feindlichen Durchzug gefaßt machen. Allein die Bevölkerung der Stadt war dem König entschieden günstig ge¬ sinnt. Das guelfische Florenz hatte immer zu Frankreich gehalten; man hoffre jetzt mit keiner Hilfe das Joch des verhaßten Pietro abschütteln zu können und Savonarola hatte diese günstige Stimmung genährt, indem er ihn im Voraus ankündigte und anrief, als Erneuerer der Kirche von den Alpen herabzusteigen. Von diesen Hoffnungen, die sich an das Kommen der Franzosen knüpften, ging die eine in Erfüllung: Florenz erlangte seine Freiheit wieder. Allein auch an der anderen Hoffnung, daß Karl's Schwert die Kirche erneuern werde, hielt Savonarola seltsamer Weise noch lange fest. Karl selbst, dieser schwache, unbeständige, aber ehrgeizige Fürst war durch Savonarola's Anreden und Predigten so berückt, daß er selbst eine Zeitlang sich als ein Werkzeug der Vorsehung vorkam und seinen abenteuerlichen Kriegszug als eine göttliche Mission betrachtete. Nicht das erste Mal war es, daß der Alpenübergang eines französischen Heeres auf lange Zeiten das Schicksal der Halbinsel bestimmte. Zwei Jahr¬ hunderte zuvor war jener andere Karl gekommen, vom Papst mit dem König¬ reich Sicilien belehnt, zum ersten Mal jene Ansprüche erhebend, welche eben jetzt Karl VIII. erneuerte. Auch damals hatte es geheißen, es gelte einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/150>, abgerufen am 28.09.2024.