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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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sagen, weiß ich doch selbst nicht, ob ich mein Stell' wieder krieg!" Ein
solcher Fürst konnte nur durch Zwang in liberalen Bahnen erhalten werden,
wie er nur durch Zwang in sie gedrängt war. Dieser dauernde Zwang
fehlte, die Regierungsüberlieferungen vieler Jahrhunderte standen dem neuen
Leben entgegen, aus der Abhängigkeit von Grundherrn und Clerus war das
Volk in die von der Regierung gefallen, die Fähigkeit sich ohne Befehl zu¬
rechtzufinden war ihm verloren gegangen, es war nicht im Stande selbständig
zu handeln. Nur ein Staatsmann von Stein'scher Art hätte hier richtig
eingreifen können, aber ein solcher war Stadion nicht, er war zu sehr Aristokrat
und Diplomat. Als wirklich vornehmer Mann verachtete er zwar den Hof¬
adel wie Stein, aber er sah nicht wie dieser, daß nur durch die Hebung der
Volksmasse ein wirklicher Aufschwung des Staatslebens erzielt werden könne.
Auch hatte er zu lange im Auslande gelebt, wohl seinen Blick erweitert,
aber niemals eigentlich Oestreichs innere Verhältnisse aus eigner Anschauung
kennen gelernt. Er wollte auf seine englischen Ersahrungen gestützt vor
Allem freiere Entwicklung auf materiellem Gebiet, aber das neue Leben
sollte sich doch nur innerhalb der bestehenden Formen bewegen, nicht
einmal einen Versuch zur Umgestaltung der hergebrachten Regierungs--
form machte er. Es blieben die Zusammenhangslosigkeit und die nahe Um¬
grenzung der höchsten Hosstellen, die Unselbständigkeit und der Mecha¬
nismus der Landesstellen. Die Landtage verharren in ihrer Unbedeutendheit,
die Gemeinden wurden nicht reformirt, die Finanzen nicht geordnet. Und
doch lag es am Tage, daß innerhalb dieser verknöcherten Formen das neue
Leben nicht gedeihen konnte, entweder mußte es dieselben sprengen, wenn es
dazu eigene Kraft hatte, oder die Regierung mußte es wieder unterdrücken.
Wäre der neue Kampf gegen Napoleon, auf den Alles berechnet war, glück¬
lich ausgefallen, so wäre vielleicht die erste Alternative eingetreten, aber der
Ausgang war unglücklich. Die Geister, welche man beschworen, hatten nicht
geholfen . so suchte man sie zu bannen; Oestreich schloß sich fortan bis auf unsere
Tage wieder gegen Deutschland ab. blieb aber in dem großen Kampf gegen Napo¬
leon passiv, bis Preußen und Nußland die entscheidendsten Siege erfochten hatten.

Wir schließen hier diese Besprechung des Perthes'schen Buches. Man
muß es eben selbst lesen, um richtig zu schätzen, was daraus zu lernen
ist. namentlich auch über die militärische Seite. Mack, der wider seinen
Willen an die Spitze der Armee gestellt ward, weil er als guter Organi¬
sator galt, erinnert an Benedek's Schicksal. Daneben das merkwürdige
Erzherzogpaar. Karl und Johann. Ersterer "der geographische Feldherr", wie
Clciusewitz ihn nennt. Letzterer voll feurigen Aufschwungs, aber unter dem
Druck des Systems, überwacht von den "Spürengeln" seines kaiserlichen
Bruders, selbst versteckt und argwöhnisch werdend. Besondere Beachtung


sagen, weiß ich doch selbst nicht, ob ich mein Stell' wieder krieg!" Ein
solcher Fürst konnte nur durch Zwang in liberalen Bahnen erhalten werden,
wie er nur durch Zwang in sie gedrängt war. Dieser dauernde Zwang
fehlte, die Regierungsüberlieferungen vieler Jahrhunderte standen dem neuen
Leben entgegen, aus der Abhängigkeit von Grundherrn und Clerus war das
Volk in die von der Regierung gefallen, die Fähigkeit sich ohne Befehl zu¬
rechtzufinden war ihm verloren gegangen, es war nicht im Stande selbständig
zu handeln. Nur ein Staatsmann von Stein'scher Art hätte hier richtig
eingreifen können, aber ein solcher war Stadion nicht, er war zu sehr Aristokrat
und Diplomat. Als wirklich vornehmer Mann verachtete er zwar den Hof¬
adel wie Stein, aber er sah nicht wie dieser, daß nur durch die Hebung der
Volksmasse ein wirklicher Aufschwung des Staatslebens erzielt werden könne.
Auch hatte er zu lange im Auslande gelebt, wohl seinen Blick erweitert,
aber niemals eigentlich Oestreichs innere Verhältnisse aus eigner Anschauung
kennen gelernt. Er wollte auf seine englischen Ersahrungen gestützt vor
Allem freiere Entwicklung auf materiellem Gebiet, aber das neue Leben
sollte sich doch nur innerhalb der bestehenden Formen bewegen, nicht
einmal einen Versuch zur Umgestaltung der hergebrachten Regierungs--
form machte er. Es blieben die Zusammenhangslosigkeit und die nahe Um¬
grenzung der höchsten Hosstellen, die Unselbständigkeit und der Mecha¬
nismus der Landesstellen. Die Landtage verharren in ihrer Unbedeutendheit,
die Gemeinden wurden nicht reformirt, die Finanzen nicht geordnet. Und
doch lag es am Tage, daß innerhalb dieser verknöcherten Formen das neue
Leben nicht gedeihen konnte, entweder mußte es dieselben sprengen, wenn es
dazu eigene Kraft hatte, oder die Regierung mußte es wieder unterdrücken.
Wäre der neue Kampf gegen Napoleon, auf den Alles berechnet war, glück¬
lich ausgefallen, so wäre vielleicht die erste Alternative eingetreten, aber der
Ausgang war unglücklich. Die Geister, welche man beschworen, hatten nicht
geholfen . so suchte man sie zu bannen; Oestreich schloß sich fortan bis auf unsere
Tage wieder gegen Deutschland ab. blieb aber in dem großen Kampf gegen Napo¬
leon passiv, bis Preußen und Nußland die entscheidendsten Siege erfochten hatten.

Wir schließen hier diese Besprechung des Perthes'schen Buches. Man
muß es eben selbst lesen, um richtig zu schätzen, was daraus zu lernen
ist. namentlich auch über die militärische Seite. Mack, der wider seinen
Willen an die Spitze der Armee gestellt ward, weil er als guter Organi¬
sator galt, erinnert an Benedek's Schicksal. Daneben das merkwürdige
Erzherzogpaar. Karl und Johann. Ersterer „der geographische Feldherr", wie
Clciusewitz ihn nennt. Letzterer voll feurigen Aufschwungs, aber unter dem
Druck des Systems, überwacht von den „Spürengeln" seines kaiserlichen
Bruders, selbst versteckt und argwöhnisch werdend. Besondere Beachtung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/148>, abgerufen am 28.09.2024.