Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Verhältnisse öfter feindlich mit der Frankreichs zusammen. Es war an sich
zwar durchaus nicht geneigt für die Existenz der kleinen Re-chsstände seine
Macht einzusetzen, aber es wollte seine Besitzungen in den Niederlanden,
Breisgau und Italien nicht Preis geben; nicht der Schutz der Reichsinteressen,
der nur wie zum Hohne erwähnt ward, sondern die Gefährdung seiner Haus¬
interessen brachte Oestreich in Conflict mit Frankreich und sobald es für sich
einen guten Handel abschließen konnte, gab es Deutschland unbedenklich Preis.
Während in Regensburg der Kaiser die Reichsstände aufforderte der Einheit
und der Erhaltung des Reiches treu zu bleiben, räumte er in der Stille das
westliche Rheinufer gegen das Versprechen Venedigs. Wenn es bei den
Mediatisirungen nur Salzburg und Trient erhielt, so war der Grund einzig,
daß keine andern kleinen Reichsstände in seiner Nähe lagen; der Kaiser hatte
seine Stellung als deutscher König vollständig aufgegeben und legte schlie߬
lich auch die äußere Würde nieder. Von Oestreich wie von Preußen ver¬
lassen, verfielen die Reichsstände der Rheinbundspolitik; der Kurfürst Erz-
kanzler Freiherr v. Dalberg ward Napoleon's eifriges Werkzeug um die Fürsten
zu überzeugen, daß sie nur durch Frankreich Schutz und Vergrößerung er¬
halten könnten und der Moniteur meldete: "Baiern, Württemberg und Baden
haben gemeinschaftliche Sache mit Frankreich gemacht, es wird ihnen dadurch
neuer Glanz erwachsen." Bis 18l3 leisteten diese Staaten dem Reichsfeinde
Htntersassendienste, sowohl gegen Preußen wie gegen Oestreich, keins der
beiden könnte auf sie rechnen, aber auch keine der beiden Mächte konnte auf
die andere rechnen, auch dann nicht als schon beide Nichts mehr von Frank¬
reich zu hoffen hatten; Oestreich ließ Preußen bei Jena und Tilsit vernichten.
Preußen sah bet Ulm und Wagram unthätig zu. Wie eine eherne Mauer
hatten sich, nach Gentz' Worten, Mißtrauen, Eifersucht, Erbitterung, streitende
Interessen, feindselige Politik, blutige Kriege und offene oder versteckte Be-
fehdungen eines halben Jahrhunderts zwischen diese beiden Mächte gethürmt.
Nur dieser eine Mann. Friedrich Gentz. erhob sich über alle jene Hindernisse
und predigte überall, daß in der Allianz der beiden deutschen Großmächte
die einzige Möglichkeit liege. Frankreich zu besiegen und der Vereinigung
zwischen Rußland und Frankreich ein immerwährendes Hinderniß entgegen¬
zustellen.

Die Charakteristik dieses merkwürdigen Mannes ist einer der bedeutendsten
Theile des Perthes'schen Buches und scheint uns sein Wesen, dessen Bedeutung
und Mängel, voller gefaßt zu haben, als dies je zuvor geschehen. Der wun¬
derbare Widerspruch eminenter politischer Begabung und unbeugsamer Energie
mit dem Mangel aller sittlichen Haltung und rastloser, raffinirter Genußsucht
tritt schlagend hervor. Ewiges kannte er nicht, mit allen Kräften des Leibes
und der Seele gehörte er dieser Welt an. In derselben bestimmte ein großer


Verhältnisse öfter feindlich mit der Frankreichs zusammen. Es war an sich
zwar durchaus nicht geneigt für die Existenz der kleinen Re-chsstände seine
Macht einzusetzen, aber es wollte seine Besitzungen in den Niederlanden,
Breisgau und Italien nicht Preis geben; nicht der Schutz der Reichsinteressen,
der nur wie zum Hohne erwähnt ward, sondern die Gefährdung seiner Haus¬
interessen brachte Oestreich in Conflict mit Frankreich und sobald es für sich
einen guten Handel abschließen konnte, gab es Deutschland unbedenklich Preis.
Während in Regensburg der Kaiser die Reichsstände aufforderte der Einheit
und der Erhaltung des Reiches treu zu bleiben, räumte er in der Stille das
westliche Rheinufer gegen das Versprechen Venedigs. Wenn es bei den
Mediatisirungen nur Salzburg und Trient erhielt, so war der Grund einzig,
daß keine andern kleinen Reichsstände in seiner Nähe lagen; der Kaiser hatte
seine Stellung als deutscher König vollständig aufgegeben und legte schlie߬
lich auch die äußere Würde nieder. Von Oestreich wie von Preußen ver¬
lassen, verfielen die Reichsstände der Rheinbundspolitik; der Kurfürst Erz-
kanzler Freiherr v. Dalberg ward Napoleon's eifriges Werkzeug um die Fürsten
zu überzeugen, daß sie nur durch Frankreich Schutz und Vergrößerung er¬
halten könnten und der Moniteur meldete: „Baiern, Württemberg und Baden
haben gemeinschaftliche Sache mit Frankreich gemacht, es wird ihnen dadurch
neuer Glanz erwachsen." Bis 18l3 leisteten diese Staaten dem Reichsfeinde
Htntersassendienste, sowohl gegen Preußen wie gegen Oestreich, keins der
beiden könnte auf sie rechnen, aber auch keine der beiden Mächte konnte auf
die andere rechnen, auch dann nicht als schon beide Nichts mehr von Frank¬
reich zu hoffen hatten; Oestreich ließ Preußen bei Jena und Tilsit vernichten.
Preußen sah bet Ulm und Wagram unthätig zu. Wie eine eherne Mauer
hatten sich, nach Gentz' Worten, Mißtrauen, Eifersucht, Erbitterung, streitende
Interessen, feindselige Politik, blutige Kriege und offene oder versteckte Be-
fehdungen eines halben Jahrhunderts zwischen diese beiden Mächte gethürmt.
Nur dieser eine Mann. Friedrich Gentz. erhob sich über alle jene Hindernisse
und predigte überall, daß in der Allianz der beiden deutschen Großmächte
die einzige Möglichkeit liege. Frankreich zu besiegen und der Vereinigung
zwischen Rußland und Frankreich ein immerwährendes Hinderniß entgegen¬
zustellen.

Die Charakteristik dieses merkwürdigen Mannes ist einer der bedeutendsten
Theile des Perthes'schen Buches und scheint uns sein Wesen, dessen Bedeutung
und Mängel, voller gefaßt zu haben, als dies je zuvor geschehen. Der wun¬
derbare Widerspruch eminenter politischer Begabung und unbeugsamer Energie
mit dem Mangel aller sittlichen Haltung und rastloser, raffinirter Genußsucht
tritt schlagend hervor. Ewiges kannte er nicht, mit allen Kräften des Leibes
und der Seele gehörte er dieser Welt an. In derselben bestimmte ein großer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120334"/>
          <p xml:id="ID_424" prev="#ID_423"> Verhältnisse öfter feindlich mit der Frankreichs zusammen. Es war an sich<lb/>
zwar durchaus nicht geneigt für die Existenz der kleinen Re-chsstände seine<lb/>
Macht einzusetzen, aber es wollte seine Besitzungen in den Niederlanden,<lb/>
Breisgau und Italien nicht Preis geben; nicht der Schutz der Reichsinteressen,<lb/>
der nur wie zum Hohne erwähnt ward, sondern die Gefährdung seiner Haus¬<lb/>
interessen brachte Oestreich in Conflict mit Frankreich und sobald es für sich<lb/>
einen guten Handel abschließen konnte, gab es Deutschland unbedenklich Preis.<lb/>
Während in Regensburg der Kaiser die Reichsstände aufforderte der Einheit<lb/>
und der Erhaltung des Reiches treu zu bleiben, räumte er in der Stille das<lb/>
westliche Rheinufer gegen das Versprechen Venedigs. Wenn es bei den<lb/>
Mediatisirungen nur Salzburg und Trient erhielt, so war der Grund einzig,<lb/>
daß keine andern kleinen Reichsstände in seiner Nähe lagen; der Kaiser hatte<lb/>
seine Stellung als deutscher König vollständig aufgegeben und legte schlie߬<lb/>
lich auch die äußere Würde nieder. Von Oestreich wie von Preußen ver¬<lb/>
lassen, verfielen die Reichsstände der Rheinbundspolitik; der Kurfürst Erz-<lb/>
kanzler Freiherr v. Dalberg ward Napoleon's eifriges Werkzeug um die Fürsten<lb/>
zu überzeugen, daß sie nur durch Frankreich Schutz und Vergrößerung er¬<lb/>
halten könnten und der Moniteur meldete: &#x201E;Baiern, Württemberg und Baden<lb/>
haben gemeinschaftliche Sache mit Frankreich gemacht, es wird ihnen dadurch<lb/>
neuer Glanz erwachsen." Bis 18l3 leisteten diese Staaten dem Reichsfeinde<lb/>
Htntersassendienste, sowohl gegen Preußen wie gegen Oestreich, keins der<lb/>
beiden könnte auf sie rechnen, aber auch keine der beiden Mächte konnte auf<lb/>
die andere rechnen, auch dann nicht als schon beide Nichts mehr von Frank¬<lb/>
reich zu hoffen hatten; Oestreich ließ Preußen bei Jena und Tilsit vernichten.<lb/>
Preußen sah bet Ulm und Wagram unthätig zu. Wie eine eherne Mauer<lb/>
hatten sich, nach Gentz' Worten, Mißtrauen, Eifersucht, Erbitterung, streitende<lb/>
Interessen, feindselige Politik, blutige Kriege und offene oder versteckte Be-<lb/>
fehdungen eines halben Jahrhunderts zwischen diese beiden Mächte gethürmt.<lb/>
Nur dieser eine Mann. Friedrich Gentz. erhob sich über alle jene Hindernisse<lb/>
und predigte überall, daß in der Allianz der beiden deutschen Großmächte<lb/>
die einzige Möglichkeit liege. Frankreich zu besiegen und der Vereinigung<lb/>
zwischen Rußland und Frankreich ein immerwährendes Hinderniß entgegen¬<lb/>
zustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_425" next="#ID_426"> Die Charakteristik dieses merkwürdigen Mannes ist einer der bedeutendsten<lb/>
Theile des Perthes'schen Buches und scheint uns sein Wesen, dessen Bedeutung<lb/>
und Mängel, voller gefaßt zu haben, als dies je zuvor geschehen. Der wun¬<lb/>
derbare Widerspruch eminenter politischer Begabung und unbeugsamer Energie<lb/>
mit dem Mangel aller sittlichen Haltung und rastloser, raffinirter Genußsucht<lb/>
tritt schlagend hervor. Ewiges kannte er nicht, mit allen Kräften des Leibes<lb/>
und der Seele gehörte er dieser Welt an. In derselben bestimmte ein großer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Verhältnisse öfter feindlich mit der Frankreichs zusammen. Es war an sich zwar durchaus nicht geneigt für die Existenz der kleinen Re-chsstände seine Macht einzusetzen, aber es wollte seine Besitzungen in den Niederlanden, Breisgau und Italien nicht Preis geben; nicht der Schutz der Reichsinteressen, der nur wie zum Hohne erwähnt ward, sondern die Gefährdung seiner Haus¬ interessen brachte Oestreich in Conflict mit Frankreich und sobald es für sich einen guten Handel abschließen konnte, gab es Deutschland unbedenklich Preis. Während in Regensburg der Kaiser die Reichsstände aufforderte der Einheit und der Erhaltung des Reiches treu zu bleiben, räumte er in der Stille das westliche Rheinufer gegen das Versprechen Venedigs. Wenn es bei den Mediatisirungen nur Salzburg und Trient erhielt, so war der Grund einzig, daß keine andern kleinen Reichsstände in seiner Nähe lagen; der Kaiser hatte seine Stellung als deutscher König vollständig aufgegeben und legte schlie߬ lich auch die äußere Würde nieder. Von Oestreich wie von Preußen ver¬ lassen, verfielen die Reichsstände der Rheinbundspolitik; der Kurfürst Erz- kanzler Freiherr v. Dalberg ward Napoleon's eifriges Werkzeug um die Fürsten zu überzeugen, daß sie nur durch Frankreich Schutz und Vergrößerung er¬ halten könnten und der Moniteur meldete: „Baiern, Württemberg und Baden haben gemeinschaftliche Sache mit Frankreich gemacht, es wird ihnen dadurch neuer Glanz erwachsen." Bis 18l3 leisteten diese Staaten dem Reichsfeinde Htntersassendienste, sowohl gegen Preußen wie gegen Oestreich, keins der beiden könnte auf sie rechnen, aber auch keine der beiden Mächte konnte auf die andere rechnen, auch dann nicht als schon beide Nichts mehr von Frank¬ reich zu hoffen hatten; Oestreich ließ Preußen bei Jena und Tilsit vernichten. Preußen sah bet Ulm und Wagram unthätig zu. Wie eine eherne Mauer hatten sich, nach Gentz' Worten, Mißtrauen, Eifersucht, Erbitterung, streitende Interessen, feindselige Politik, blutige Kriege und offene oder versteckte Be- fehdungen eines halben Jahrhunderts zwischen diese beiden Mächte gethürmt. Nur dieser eine Mann. Friedrich Gentz. erhob sich über alle jene Hindernisse und predigte überall, daß in der Allianz der beiden deutschen Großmächte die einzige Möglichkeit liege. Frankreich zu besiegen und der Vereinigung zwischen Rußland und Frankreich ein immerwährendes Hinderniß entgegen¬ zustellen. Die Charakteristik dieses merkwürdigen Mannes ist einer der bedeutendsten Theile des Perthes'schen Buches und scheint uns sein Wesen, dessen Bedeutung und Mängel, voller gefaßt zu haben, als dies je zuvor geschehen. Der wun¬ derbare Widerspruch eminenter politischer Begabung und unbeugsamer Energie mit dem Mangel aller sittlichen Haltung und rastloser, raffinirter Genußsucht tritt schlagend hervor. Ewiges kannte er nicht, mit allen Kräften des Leibes und der Seele gehörte er dieser Welt an. In derselben bestimmte ein großer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/145>, abgerufen am 28.09.2024.