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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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durfte keine Glocken und Thürme, ja nicht einmal einen öffentlichen Eingang
von der Gasse haben. Jede Religionsübung außerhalb des Bethauses war
verboten, die Prediger durften keine gemischten Ehen einsegnen, die Kinder
aus denselben mußten sämmtlich katholisch erzogen werden. Der katholischen
Kirche sollte nach Joseph's Ansicht der Vorzug der alleinigen öffentlichen Re¬
ligionsübung bleiben, denn seine ganze Anschauungsweise wurzelte zwar in
der Aufklärung, aber er blieb darum doch durchaus katholisch in seiner reli¬
giösen Auffassung und sah jede Ueberredung zu einem anderen Glauben als
Störung des öffentlichen Friedens an. Die Verbesserung der Lage der Pro¬
testanten war keine innere Würdigung des evangelischen Lebens, sondern eine
Dispensation aus kaiserlich königlicher Gnade und Milde. Aber dennoch
athmeten die Protestanten auf nach dem langen, erbarmungslosen Drucke,
unter dem sie gestanden und welcher erst jetzt recht aller Welt bekannt ward.
Gemäß dieser streng katholischen, wie auch liberalen Richtung-mußte Joseph's
Streben hinsichtlich der Schulen dahin gehen, die Alleinherrschaft des Clerus
zu brechen, der das ganze Unterrichtswesen in seine Hand gebracht hatte.
Schon Maria Theresia hatte eine rein weltliche Schulordnung erlassen, welche
von dem Princip des allgemeinen Schulzwangs ausging; der Kaiser schritt in
dieser Richtung weiter vor und ordnete die Schule überall den landesfürst¬
lichen Behörden unter, die Landdechanten wirkten als Schulräthe. Den Geist¬
lichen ward der Besuch des collegium gen-marueuin in Rom verboten und
an seine Stelle ein Collegium in Pavia als höhere Bildungsanstalt ge¬
gründet, nur gallicanisch gesinnte Geistliche erhielten fortan Lehrstühle, die
Priesterseminare standen unter weltlicher Aufsicht. So hoffte Joseph sich
einen Clerus der Zukunft zu erziehen, welcher seine Ideen über die unab¬
hängige Stellung des Staates zur Kirche verwirklichen sollte; aber er stieß
hierbei wie in seinem ganzen rastlosen Neformdrang auf unerwartete Hinder¬
nisse. Seine Richtung war wie die Aufklärung der Mehrzahl nur negirend, aus
das Forträumen, nicht auf das Bauen gerichtet, die jahrhundertlangen Mi߬
bräuche fielen nicht, weil die Wahrheit unwiderstehlich zu ihrer Beseitigung
drängte, sondern weil Joseph sie als Mißbräuche ansah, er griff bald hier
bald dort ein, wo ihm etwas faul erschien, aber der letzte Grund dafür blieb
sein bon Mihir; deshalb bekämpfte er ebensowohl positiv schädliche Aus¬
wüchse und Uebergriffe, als Lebensgewohnheiten, welche tief mit dem Volke ver¬
wachsen waren. Nur das Regiertwerden aller Verhältnisse und Personen sollte
Oestreichs Stärke begründen, jede Provinz, jedes Dorf sollte nur ein Theil
des Reiches sein, die geschichtlich gewordenen Eigenthümlichkeiten, die Ver¬
schiedenheiten von Stand, Nationalität, Landesart wurden ignorirt. Aber
was selbst in dem durch lange königliche Vorbereitung centralisirten Frank¬
reich erst in Folge einer ungeheueren Revolution gelang, das erreichte Joseph


Grenzboten I. 1LS9. 17

durfte keine Glocken und Thürme, ja nicht einmal einen öffentlichen Eingang
von der Gasse haben. Jede Religionsübung außerhalb des Bethauses war
verboten, die Prediger durften keine gemischten Ehen einsegnen, die Kinder
aus denselben mußten sämmtlich katholisch erzogen werden. Der katholischen
Kirche sollte nach Joseph's Ansicht der Vorzug der alleinigen öffentlichen Re¬
ligionsübung bleiben, denn seine ganze Anschauungsweise wurzelte zwar in
der Aufklärung, aber er blieb darum doch durchaus katholisch in seiner reli¬
giösen Auffassung und sah jede Ueberredung zu einem anderen Glauben als
Störung des öffentlichen Friedens an. Die Verbesserung der Lage der Pro¬
testanten war keine innere Würdigung des evangelischen Lebens, sondern eine
Dispensation aus kaiserlich königlicher Gnade und Milde. Aber dennoch
athmeten die Protestanten auf nach dem langen, erbarmungslosen Drucke,
unter dem sie gestanden und welcher erst jetzt recht aller Welt bekannt ward.
Gemäß dieser streng katholischen, wie auch liberalen Richtung-mußte Joseph's
Streben hinsichtlich der Schulen dahin gehen, die Alleinherrschaft des Clerus
zu brechen, der das ganze Unterrichtswesen in seine Hand gebracht hatte.
Schon Maria Theresia hatte eine rein weltliche Schulordnung erlassen, welche
von dem Princip des allgemeinen Schulzwangs ausging; der Kaiser schritt in
dieser Richtung weiter vor und ordnete die Schule überall den landesfürst¬
lichen Behörden unter, die Landdechanten wirkten als Schulräthe. Den Geist¬
lichen ward der Besuch des collegium gen-marueuin in Rom verboten und
an seine Stelle ein Collegium in Pavia als höhere Bildungsanstalt ge¬
gründet, nur gallicanisch gesinnte Geistliche erhielten fortan Lehrstühle, die
Priesterseminare standen unter weltlicher Aufsicht. So hoffte Joseph sich
einen Clerus der Zukunft zu erziehen, welcher seine Ideen über die unab¬
hängige Stellung des Staates zur Kirche verwirklichen sollte; aber er stieß
hierbei wie in seinem ganzen rastlosen Neformdrang auf unerwartete Hinder¬
nisse. Seine Richtung war wie die Aufklärung der Mehrzahl nur negirend, aus
das Forträumen, nicht auf das Bauen gerichtet, die jahrhundertlangen Mi߬
bräuche fielen nicht, weil die Wahrheit unwiderstehlich zu ihrer Beseitigung
drängte, sondern weil Joseph sie als Mißbräuche ansah, er griff bald hier
bald dort ein, wo ihm etwas faul erschien, aber der letzte Grund dafür blieb
sein bon Mihir; deshalb bekämpfte er ebensowohl positiv schädliche Aus¬
wüchse und Uebergriffe, als Lebensgewohnheiten, welche tief mit dem Volke ver¬
wachsen waren. Nur das Regiertwerden aller Verhältnisse und Personen sollte
Oestreichs Stärke begründen, jede Provinz, jedes Dorf sollte nur ein Theil
des Reiches sein, die geschichtlich gewordenen Eigenthümlichkeiten, die Ver¬
schiedenheiten von Stand, Nationalität, Landesart wurden ignorirt. Aber
was selbst in dem durch lange königliche Vorbereitung centralisirten Frank¬
reich erst in Folge einer ungeheueren Revolution gelang, das erreichte Joseph


Grenzboten I. 1LS9. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/142>, abgerufen am 28.09.2024.