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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Vincialgeschäfte entfernt, die Bureaukratie, das gehorsame Werkzeug des Kai-
sers, sollte allein regieren. Und wie die Provinzen im Innern nur Ablei¬
tungen der Centralregierung sein sollten, so sollten sie auch trotz ihrer ver¬
schiedenen nationalen Stellung in ein Gesammtöstreich aufgehen; Patrio¬
tismus und Nationalbewußtsein konnten sich in dem vielsprachigen Reiche
nicht decken, Slaven, Deutsche, Ungarn sollten sich nur als Oestreicherfüh¬
len. Von diesem Gesichtspunkte der Alleinberechtigung der kaiserlichen Ge¬
walt trat Joseph auch gegen die Hierarchie sehr viel schroffer aus, als Maria
Theresia. Diese Fürstin suchte den Einfluß der Curie schonend einzuschränken,
er aber wagte derselben offen entgegenzutreten: so war sein Augenmerk, der
Geistlichkeit alle Einwirkung in Dingen zu nehmen, welche mit weltlichen
Beziehungen zusammen hingen. Das Planet ward für alle päpstlichen Bullen
wie für alle vom Papst ertheilten Titel und Würden obligatorisch gemacht,
es durfte kein Geld mehr für Ablässe, Dispense :c. nach Rom gehen, weder
Geistliche noch Laien sollten mit Rom in unmittelbaren Verkehr treten, der
Nuntius in Wien keine andere Stellung einnehmen als der Gesandte jeder
fremden Macht. Aber hiermit nicht zufrieden, faßte er den Gedanken ins
Auge, eine östreichische Nationalkirche zu constituiren, welche im Staat auf¬
gehe, deren Diener zu demselben in gleicher Abhängigkeit stehen sollten wie
andere Unterthanen. Die große Zahl der Festtage und Processionen ward
beschränkt, der Gebrauch der Landessprache für die gottesdienstlichen Hand¬
lungen verfügt, die Bilder und der Wunderkram in den Kirchen beseitigt. Noch
schärfer ging der Kaiser gegen die Orden vor: er fand bei seinem Regierungs¬
antritte 2165 Abteien und Klöster mit "4,000 Mönchen und Nonnen; von
denselben hob er in zwei Jahren ISO in den Erbländer auf und ließ ihr ge-
säumtes Eigenthum meistbietend versteigern. Er fuhr damit fort und vermin¬
derte sie bis auf 1324 mit 27,000 Ordensleuten, eine Zahl, die allerdings
gewiß groß genug blieb, um allen Anforderungen zu genügen. Joseph führte
auch die bürgerliche Eheschließung in seinem Reiche ein und befreite durch die
Toleranzedicte die Protestanten von dem Drucke, unter dem sie bisher geseufzt,
ein Unterschied sollte zwischen katholischen und protestantischen Unterthanen
nicht mehr gemacht werden für alle Verhältnisse des bürgerlichen und politi¬
schen Lebens. Demgemäß ward die Hausvisitation nach lutherischen Büchern
aufgehoben und dieselben der allgemeinen Censur unterworfen, den Priestern
die Angriffe gegen die Protestanten untersagt, welche auch nicht mehr ge¬
zwungen sein sollten, an Processionen Theil zu nehmen. Die Ausübung des
Cultus blieb freilich noch demüthigenden Bedingungen unterworfen und die
Protestanten blieben verpflichtet, ihre Kinder in die katholischen Schulen zu
senden; wo hundert Familien an demselben Orte oder dessen nächstem Um¬
kreis protestantisch waren, konnten sie ein Bethaus errichten, aber dasselbe


Vincialgeschäfte entfernt, die Bureaukratie, das gehorsame Werkzeug des Kai-
sers, sollte allein regieren. Und wie die Provinzen im Innern nur Ablei¬
tungen der Centralregierung sein sollten, so sollten sie auch trotz ihrer ver¬
schiedenen nationalen Stellung in ein Gesammtöstreich aufgehen; Patrio¬
tismus und Nationalbewußtsein konnten sich in dem vielsprachigen Reiche
nicht decken, Slaven, Deutsche, Ungarn sollten sich nur als Oestreicherfüh¬
len. Von diesem Gesichtspunkte der Alleinberechtigung der kaiserlichen Ge¬
walt trat Joseph auch gegen die Hierarchie sehr viel schroffer aus, als Maria
Theresia. Diese Fürstin suchte den Einfluß der Curie schonend einzuschränken,
er aber wagte derselben offen entgegenzutreten: so war sein Augenmerk, der
Geistlichkeit alle Einwirkung in Dingen zu nehmen, welche mit weltlichen
Beziehungen zusammen hingen. Das Planet ward für alle päpstlichen Bullen
wie für alle vom Papst ertheilten Titel und Würden obligatorisch gemacht,
es durfte kein Geld mehr für Ablässe, Dispense :c. nach Rom gehen, weder
Geistliche noch Laien sollten mit Rom in unmittelbaren Verkehr treten, der
Nuntius in Wien keine andere Stellung einnehmen als der Gesandte jeder
fremden Macht. Aber hiermit nicht zufrieden, faßte er den Gedanken ins
Auge, eine östreichische Nationalkirche zu constituiren, welche im Staat auf¬
gehe, deren Diener zu demselben in gleicher Abhängigkeit stehen sollten wie
andere Unterthanen. Die große Zahl der Festtage und Processionen ward
beschränkt, der Gebrauch der Landessprache für die gottesdienstlichen Hand¬
lungen verfügt, die Bilder und der Wunderkram in den Kirchen beseitigt. Noch
schärfer ging der Kaiser gegen die Orden vor: er fand bei seinem Regierungs¬
antritte 2165 Abteien und Klöster mit »4,000 Mönchen und Nonnen; von
denselben hob er in zwei Jahren ISO in den Erbländer auf und ließ ihr ge-
säumtes Eigenthum meistbietend versteigern. Er fuhr damit fort und vermin¬
derte sie bis auf 1324 mit 27,000 Ordensleuten, eine Zahl, die allerdings
gewiß groß genug blieb, um allen Anforderungen zu genügen. Joseph führte
auch die bürgerliche Eheschließung in seinem Reiche ein und befreite durch die
Toleranzedicte die Protestanten von dem Drucke, unter dem sie bisher geseufzt,
ein Unterschied sollte zwischen katholischen und protestantischen Unterthanen
nicht mehr gemacht werden für alle Verhältnisse des bürgerlichen und politi¬
schen Lebens. Demgemäß ward die Hausvisitation nach lutherischen Büchern
aufgehoben und dieselben der allgemeinen Censur unterworfen, den Priestern
die Angriffe gegen die Protestanten untersagt, welche auch nicht mehr ge¬
zwungen sein sollten, an Processionen Theil zu nehmen. Die Ausübung des
Cultus blieb freilich noch demüthigenden Bedingungen unterworfen und die
Protestanten blieben verpflichtet, ihre Kinder in die katholischen Schulen zu
senden; wo hundert Familien an demselben Orte oder dessen nächstem Um¬
kreis protestantisch waren, konnten sie ein Bethaus errichten, aber dasselbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/141>, abgerufen am 28.09.2024.