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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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zinslichen Schuldverschreibungen der Grund zu der östreichischen Staatsschuld
und der Reihe der Staatsbankerotte gelegt.

Dieses Ringen nach einer staatlicheren Gestaltung des Reiches erhielt
einen neuen Charakter als Joseph II 1765 römischer Kaiser ward; seine
Mutter blieb zwar in Oestreich Herrscherin, aber durch den Tod ihres Ge¬
mahls in der besten Kraft gebrochen, konnte sie sich, dem Einflüsse ihres leb¬
haften Sohnes so wenig entziehen, daß derselbe bald zur Mitregentschaft auch
für die Erdtaube berufen ward. Freilich ward dieselbe eine Quelle von Mi߬
Helligkeiten, denn die stolze Habsburgerin wollte wohl eine Hilfe, aber doch
die Herrschaft nicht aus der Hand geben, Joseph als römischer Kaiser nicht
eine untergeordnete Rolle in Oestreich spielen; bei dem bairischen Erbfolgerkrieg
brach dieser Zwist in offnen Kampf aus. Aber Josephs Gestirn war im
Steigen, so oft auch Maria Theresia richtiger urtheilte als er und bald
öffnete ihm ihr Tod die unbestritten oberste Stellung. -- Joseph's Thron¬
besteigung bildet einen großen Wendepunkt in Oestreichs Geschichte; er hatte
von selner Mutter das ganze Selbstgefühl seiner Stellung geerbt und hielt
seine Krone für das erste Diadem der Welt; aber der erste Lothringer hatte
mit den kirchlichen Traditionen des Hauses Habsburg gebrochen, er war
ein Sohn des Zeitalters der Aufklärung, er wollte die Philosophie zur Ge¬
setzgeberin seines Reiches machen. Der erleuchtete Despotismus, wie er von
Friedrich dem Großen, Aranda und Pombal geübt ward, sollte nun auch
in Oestreich sein Werk thun, die Staatsgewalt die allein geltende, überall
eingreifende Macht werden. Perthes faßt die Aufgabe, welche Joseph sich
gestellt, folgendermaßen zusammen.

1) Innerhalb der einzelnen Erdtaube sollte jede Macht, jedes Leben und
jedes Recht, welches sich nicht von der Regierung ableitete, möglichst zurück¬
gedrängt werden.

2) Gesammtöstreich sollte durch Beseitigung nicht allein der Unab¬
hängigkeit, sondern auch der Selbständigkeit seiner Erdtaube in ein Ganzes
umgewandelt werden, dessen Centralgewalt jede andere politische Gewalt mög¬
lichst zu unterdrücken habe.

3) Kirche und Schule sollten zu Mitteln für die Zwecke des Staates
gestaltet und in möglichst unbedingte Abhängigkeit von demselben gebracht
werden.

Joseph schritt entschieden gegen die Rechte der Grundherren ein: die Leib¬
eigenschaft ward aufgehoben, die Frohnden und Zinsen zu Gunsten der
Staatsgrundsteuer beschränkt, der gutsherrlichen Gewalt über die Gutseinge-
sessenen enge Grenzen gezogen; die Städte wurden in völlige Abhängigkeit
von dem Landesfürsten gebracht. Demgemäß wurden die Landtage auch bald
zu einem reinen Schattenbilde, die Stände von allem Einfluß auf die Pro-


zinslichen Schuldverschreibungen der Grund zu der östreichischen Staatsschuld
und der Reihe der Staatsbankerotte gelegt.

Dieses Ringen nach einer staatlicheren Gestaltung des Reiches erhielt
einen neuen Charakter als Joseph II 1765 römischer Kaiser ward; seine
Mutter blieb zwar in Oestreich Herrscherin, aber durch den Tod ihres Ge¬
mahls in der besten Kraft gebrochen, konnte sie sich, dem Einflüsse ihres leb¬
haften Sohnes so wenig entziehen, daß derselbe bald zur Mitregentschaft auch
für die Erdtaube berufen ward. Freilich ward dieselbe eine Quelle von Mi߬
Helligkeiten, denn die stolze Habsburgerin wollte wohl eine Hilfe, aber doch
die Herrschaft nicht aus der Hand geben, Joseph als römischer Kaiser nicht
eine untergeordnete Rolle in Oestreich spielen; bei dem bairischen Erbfolgerkrieg
brach dieser Zwist in offnen Kampf aus. Aber Josephs Gestirn war im
Steigen, so oft auch Maria Theresia richtiger urtheilte als er und bald
öffnete ihm ihr Tod die unbestritten oberste Stellung. — Joseph's Thron¬
besteigung bildet einen großen Wendepunkt in Oestreichs Geschichte; er hatte
von selner Mutter das ganze Selbstgefühl seiner Stellung geerbt und hielt
seine Krone für das erste Diadem der Welt; aber der erste Lothringer hatte
mit den kirchlichen Traditionen des Hauses Habsburg gebrochen, er war
ein Sohn des Zeitalters der Aufklärung, er wollte die Philosophie zur Ge¬
setzgeberin seines Reiches machen. Der erleuchtete Despotismus, wie er von
Friedrich dem Großen, Aranda und Pombal geübt ward, sollte nun auch
in Oestreich sein Werk thun, die Staatsgewalt die allein geltende, überall
eingreifende Macht werden. Perthes faßt die Aufgabe, welche Joseph sich
gestellt, folgendermaßen zusammen.

1) Innerhalb der einzelnen Erdtaube sollte jede Macht, jedes Leben und
jedes Recht, welches sich nicht von der Regierung ableitete, möglichst zurück¬
gedrängt werden.

2) Gesammtöstreich sollte durch Beseitigung nicht allein der Unab¬
hängigkeit, sondern auch der Selbständigkeit seiner Erdtaube in ein Ganzes
umgewandelt werden, dessen Centralgewalt jede andere politische Gewalt mög¬
lichst zu unterdrücken habe.

3) Kirche und Schule sollten zu Mitteln für die Zwecke des Staates
gestaltet und in möglichst unbedingte Abhängigkeit von demselben gebracht
werden.

Joseph schritt entschieden gegen die Rechte der Grundherren ein: die Leib¬
eigenschaft ward aufgehoben, die Frohnden und Zinsen zu Gunsten der
Staatsgrundsteuer beschränkt, der gutsherrlichen Gewalt über die Gutseinge-
sessenen enge Grenzen gezogen; die Städte wurden in völlige Abhängigkeit
von dem Landesfürsten gebracht. Demgemäß wurden die Landtage auch bald
zu einem reinen Schattenbilde, die Stände von allem Einfluß auf die Pro-


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[0140] zinslichen Schuldverschreibungen der Grund zu der östreichischen Staatsschuld und der Reihe der Staatsbankerotte gelegt. Dieses Ringen nach einer staatlicheren Gestaltung des Reiches erhielt einen neuen Charakter als Joseph II 1765 römischer Kaiser ward; seine Mutter blieb zwar in Oestreich Herrscherin, aber durch den Tod ihres Ge¬ mahls in der besten Kraft gebrochen, konnte sie sich, dem Einflüsse ihres leb¬ haften Sohnes so wenig entziehen, daß derselbe bald zur Mitregentschaft auch für die Erdtaube berufen ward. Freilich ward dieselbe eine Quelle von Mi߬ Helligkeiten, denn die stolze Habsburgerin wollte wohl eine Hilfe, aber doch die Herrschaft nicht aus der Hand geben, Joseph als römischer Kaiser nicht eine untergeordnete Rolle in Oestreich spielen; bei dem bairischen Erbfolgerkrieg brach dieser Zwist in offnen Kampf aus. Aber Josephs Gestirn war im Steigen, so oft auch Maria Theresia richtiger urtheilte als er und bald öffnete ihm ihr Tod die unbestritten oberste Stellung. — Joseph's Thron¬ besteigung bildet einen großen Wendepunkt in Oestreichs Geschichte; er hatte von selner Mutter das ganze Selbstgefühl seiner Stellung geerbt und hielt seine Krone für das erste Diadem der Welt; aber der erste Lothringer hatte mit den kirchlichen Traditionen des Hauses Habsburg gebrochen, er war ein Sohn des Zeitalters der Aufklärung, er wollte die Philosophie zur Ge¬ setzgeberin seines Reiches machen. Der erleuchtete Despotismus, wie er von Friedrich dem Großen, Aranda und Pombal geübt ward, sollte nun auch in Oestreich sein Werk thun, die Staatsgewalt die allein geltende, überall eingreifende Macht werden. Perthes faßt die Aufgabe, welche Joseph sich gestellt, folgendermaßen zusammen. 1) Innerhalb der einzelnen Erdtaube sollte jede Macht, jedes Leben und jedes Recht, welches sich nicht von der Regierung ableitete, möglichst zurück¬ gedrängt werden. 2) Gesammtöstreich sollte durch Beseitigung nicht allein der Unab¬ hängigkeit, sondern auch der Selbständigkeit seiner Erdtaube in ein Ganzes umgewandelt werden, dessen Centralgewalt jede andere politische Gewalt mög¬ lichst zu unterdrücken habe. 3) Kirche und Schule sollten zu Mitteln für die Zwecke des Staates gestaltet und in möglichst unbedingte Abhängigkeit von demselben gebracht werden. Joseph schritt entschieden gegen die Rechte der Grundherren ein: die Leib¬ eigenschaft ward aufgehoben, die Frohnden und Zinsen zu Gunsten der Staatsgrundsteuer beschränkt, der gutsherrlichen Gewalt über die Gutseinge- sessenen enge Grenzen gezogen; die Städte wurden in völlige Abhängigkeit von dem Landesfürsten gebracht. Demgemäß wurden die Landtage auch bald zu einem reinen Schattenbilde, die Stände von allem Einfluß auf die Pro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/140>, abgerufen am 28.09.2024.