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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Stände dem Kurfürsten von Baiern. So drohend erschien die Lage, daß die
Feldmarschälle und Minister der jungen Kaiserin riethen ans das einmal
Verlorne zu verzichten und Oberöstreich, Böhmen, Schlesien und das nördliche
Mähren ihren Feinden zu überlassen. Nur der alte Vertraute ihres Vaters, Barten¬
stein (Perthes giebt ein treffliches Bild dieses merkwürdigen Mannes, der sich vom
Hauslehrer zum einflußreichsten Rath emporgeschwungen), und der böhmische
Kanzler, Graf Kinsky, sprachen dagegen; der Kaiserin-Gemahl war ein wohl¬
wollender aber schwacher Mann. In dieser anscheinend verzweifelten Lage
fand Maria Theresia nur Hilfe bei sich selbst. Obwohl bigott-katholisch und
ohne Erfahrung in Staatsgeschäften, hatte sie doch genug Urtheil und vor
Allem Charakter, um sich der Gefahr gewachsen zu zeigen; ein Gedanke be¬
herrschte sie: sie fühlte sich als Verkörperung Oestreichs. "Ich bin nur eine
arme Frau" sagte sie, "aber ich habe das Herz eines Königs"; sie sah es als
ihre Bestimmung an. nicht zerstückeln zu lassen, was die lange Arbeit der
Habsburger durch Schwert und Unterhandlung zu einem Reiche vereinigt.
Durchdrungen von dieser Aufgabe trat sie ihren zagenden alten Dienern ent¬
schlossen gegenüber und lehnte es entschieden ab. Vieles zu opfern, um We-
niges zu retten : sie wollte vielmehr Alles einsetzen um Nichts zu verlieren
und wollte zu dem Zwecke, eingedenk des Wortes Eugen's, daß eine kampf¬
gerüstete Armee die beste pragmatische Sanction sei, die Kräfte Oestreichs für
Oestreich sammeln und gebrauchen. Diese Willensfestigkeit, getragen von
Würde und Liebreiz der persönlichen Erscheinung, überwand die innern
Hindernisse, die widerstrebenden Stände bewilligten Geld und Truppen, ihr
Muth theilte sich dem Heere mit und erzeugte schließlich eine Gemeinsamkeit
der Stimmung, welche Oestreich einheitlicher als jemals früher erscheinen ließ.
Allerdings mußte die Kaiserin im aachner Frieden Schlesien abtreten, aber
sie erlangte gesicherte Herrschaft über das gesammte sonstige Habsburgische
Besitzthum; sie mußte den Ungarn wieder eine an Unabhängigkeit grenzende
Selbständigkeit zugestehen, aber der böhmisch-deutsche Länderverband erhielt
einen festeren Zusammenhang als je zuvor. Nach Beendigung des Krieges
wandte die Kaiserin, gereift durch die Erfahrungen eines sechsjährigen Kampfes,
nun ihre Aufmerksamkeit den innern Verhältnissen zu, sie hatte erkannt, daß sie,
um ihre königliche Pflicht zu erfüllen, nicht wie bisher auf ihren persönlichen
Einfluß und den guten Willen Anderer bauen dürfe, sie wollte eine Ordnung
der Dinge herstellen durch welche Oestreichs Machtstellung auch ohne einen
bedeutenden Fürsten gesichert ward gegen den aufstrebenden Nebenbuhler im
Norden: dazu waren dauernde staatliche Einrichtungen erforderlich. In dieser
Absicht wurden allmälig die alten unfähigen Räthe bet Seite geschoben und an
die Spitze der Geschäfte trat der Graf, später Fürst Kaunitz als Haus-, Hof-
und Staatskanzler. Die auswärtigen Angelegenheiten lagen ausschließlich in


Stände dem Kurfürsten von Baiern. So drohend erschien die Lage, daß die
Feldmarschälle und Minister der jungen Kaiserin riethen ans das einmal
Verlorne zu verzichten und Oberöstreich, Böhmen, Schlesien und das nördliche
Mähren ihren Feinden zu überlassen. Nur der alte Vertraute ihres Vaters, Barten¬
stein (Perthes giebt ein treffliches Bild dieses merkwürdigen Mannes, der sich vom
Hauslehrer zum einflußreichsten Rath emporgeschwungen), und der böhmische
Kanzler, Graf Kinsky, sprachen dagegen; der Kaiserin-Gemahl war ein wohl¬
wollender aber schwacher Mann. In dieser anscheinend verzweifelten Lage
fand Maria Theresia nur Hilfe bei sich selbst. Obwohl bigott-katholisch und
ohne Erfahrung in Staatsgeschäften, hatte sie doch genug Urtheil und vor
Allem Charakter, um sich der Gefahr gewachsen zu zeigen; ein Gedanke be¬
herrschte sie: sie fühlte sich als Verkörperung Oestreichs. „Ich bin nur eine
arme Frau" sagte sie, „aber ich habe das Herz eines Königs"; sie sah es als
ihre Bestimmung an. nicht zerstückeln zu lassen, was die lange Arbeit der
Habsburger durch Schwert und Unterhandlung zu einem Reiche vereinigt.
Durchdrungen von dieser Aufgabe trat sie ihren zagenden alten Dienern ent¬
schlossen gegenüber und lehnte es entschieden ab. Vieles zu opfern, um We-
niges zu retten : sie wollte vielmehr Alles einsetzen um Nichts zu verlieren
und wollte zu dem Zwecke, eingedenk des Wortes Eugen's, daß eine kampf¬
gerüstete Armee die beste pragmatische Sanction sei, die Kräfte Oestreichs für
Oestreich sammeln und gebrauchen. Diese Willensfestigkeit, getragen von
Würde und Liebreiz der persönlichen Erscheinung, überwand die innern
Hindernisse, die widerstrebenden Stände bewilligten Geld und Truppen, ihr
Muth theilte sich dem Heere mit und erzeugte schließlich eine Gemeinsamkeit
der Stimmung, welche Oestreich einheitlicher als jemals früher erscheinen ließ.
Allerdings mußte die Kaiserin im aachner Frieden Schlesien abtreten, aber
sie erlangte gesicherte Herrschaft über das gesammte sonstige Habsburgische
Besitzthum; sie mußte den Ungarn wieder eine an Unabhängigkeit grenzende
Selbständigkeit zugestehen, aber der böhmisch-deutsche Länderverband erhielt
einen festeren Zusammenhang als je zuvor. Nach Beendigung des Krieges
wandte die Kaiserin, gereift durch die Erfahrungen eines sechsjährigen Kampfes,
nun ihre Aufmerksamkeit den innern Verhältnissen zu, sie hatte erkannt, daß sie,
um ihre königliche Pflicht zu erfüllen, nicht wie bisher auf ihren persönlichen
Einfluß und den guten Willen Anderer bauen dürfe, sie wollte eine Ordnung
der Dinge herstellen durch welche Oestreichs Machtstellung auch ohne einen
bedeutenden Fürsten gesichert ward gegen den aufstrebenden Nebenbuhler im
Norden: dazu waren dauernde staatliche Einrichtungen erforderlich. In dieser
Absicht wurden allmälig die alten unfähigen Räthe bet Seite geschoben und an
die Spitze der Geschäfte trat der Graf, später Fürst Kaunitz als Haus-, Hof-
und Staatskanzler. Die auswärtigen Angelegenheiten lagen ausschließlich in


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[0138] Stände dem Kurfürsten von Baiern. So drohend erschien die Lage, daß die Feldmarschälle und Minister der jungen Kaiserin riethen ans das einmal Verlorne zu verzichten und Oberöstreich, Böhmen, Schlesien und das nördliche Mähren ihren Feinden zu überlassen. Nur der alte Vertraute ihres Vaters, Barten¬ stein (Perthes giebt ein treffliches Bild dieses merkwürdigen Mannes, der sich vom Hauslehrer zum einflußreichsten Rath emporgeschwungen), und der böhmische Kanzler, Graf Kinsky, sprachen dagegen; der Kaiserin-Gemahl war ein wohl¬ wollender aber schwacher Mann. In dieser anscheinend verzweifelten Lage fand Maria Theresia nur Hilfe bei sich selbst. Obwohl bigott-katholisch und ohne Erfahrung in Staatsgeschäften, hatte sie doch genug Urtheil und vor Allem Charakter, um sich der Gefahr gewachsen zu zeigen; ein Gedanke be¬ herrschte sie: sie fühlte sich als Verkörperung Oestreichs. „Ich bin nur eine arme Frau" sagte sie, „aber ich habe das Herz eines Königs"; sie sah es als ihre Bestimmung an. nicht zerstückeln zu lassen, was die lange Arbeit der Habsburger durch Schwert und Unterhandlung zu einem Reiche vereinigt. Durchdrungen von dieser Aufgabe trat sie ihren zagenden alten Dienern ent¬ schlossen gegenüber und lehnte es entschieden ab. Vieles zu opfern, um We- niges zu retten : sie wollte vielmehr Alles einsetzen um Nichts zu verlieren und wollte zu dem Zwecke, eingedenk des Wortes Eugen's, daß eine kampf¬ gerüstete Armee die beste pragmatische Sanction sei, die Kräfte Oestreichs für Oestreich sammeln und gebrauchen. Diese Willensfestigkeit, getragen von Würde und Liebreiz der persönlichen Erscheinung, überwand die innern Hindernisse, die widerstrebenden Stände bewilligten Geld und Truppen, ihr Muth theilte sich dem Heere mit und erzeugte schließlich eine Gemeinsamkeit der Stimmung, welche Oestreich einheitlicher als jemals früher erscheinen ließ. Allerdings mußte die Kaiserin im aachner Frieden Schlesien abtreten, aber sie erlangte gesicherte Herrschaft über das gesammte sonstige Habsburgische Besitzthum; sie mußte den Ungarn wieder eine an Unabhängigkeit grenzende Selbständigkeit zugestehen, aber der böhmisch-deutsche Länderverband erhielt einen festeren Zusammenhang als je zuvor. Nach Beendigung des Krieges wandte die Kaiserin, gereift durch die Erfahrungen eines sechsjährigen Kampfes, nun ihre Aufmerksamkeit den innern Verhältnissen zu, sie hatte erkannt, daß sie, um ihre königliche Pflicht zu erfüllen, nicht wie bisher auf ihren persönlichen Einfluß und den guten Willen Anderer bauen dürfe, sie wollte eine Ordnung der Dinge herstellen durch welche Oestreichs Machtstellung auch ohne einen bedeutenden Fürsten gesichert ward gegen den aufstrebenden Nebenbuhler im Norden: dazu waren dauernde staatliche Einrichtungen erforderlich. In dieser Absicht wurden allmälig die alten unfähigen Räthe bet Seite geschoben und an die Spitze der Geschäfte trat der Graf, später Fürst Kaunitz als Haus-, Hof- und Staatskanzler. Die auswärtigen Angelegenheiten lagen ausschließlich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/138>, abgerufen am 28.09.2024.