Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.eine wissenschaftliche Neuschöpfung in ihrem Gefolge haben müsse, würde darum Aber dieser Gedanke leidet> insofern damit die Neuschöpfung einer Univer¬ 13*
eine wissenschaftliche Neuschöpfung in ihrem Gefolge haben müsse, würde darum Aber dieser Gedanke leidet> insofern damit die Neuschöpfung einer Univer¬ 13*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120299"/> <p xml:id="ID_294" prev="#ID_293"> eine wissenschaftliche Neuschöpfung in ihrem Gefolge haben müsse, würde darum<lb/> durch das angegebene Mittel nicht einmal recht seine Verwirklichung finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_295" next="#ID_296"> Aber dieser Gedanke leidet> insofern damit die Neuschöpfung einer Univer¬<lb/> sität gemeint ist, auch noch an einem andern Mangel-, er entspricht keinem<lb/> realen Bedürfnisse, und nur um eines solchen willen darf der Staat in Thätig¬<lb/> keit gesetzt werden. Als die Universität Berlin gegründet wurde, galt es<lb/> das durch die französischen Siege auf das Tiefste herabgedrückte deutsche Volks¬<lb/> bewußtsein aufzurichten und zu idealem Wollen zu erheben, eine Aufgabe,<lb/> die auf das Glänzendste gelöst worden ist. Als acht Jahre darauf die Uni¬<lb/> versität Bonn in das Leben gerufen wurde, erhielt sie die Bestimmung, eine<lb/> durch die französische Herrschaft und zum Theil schon früher durch die des<lb/> Krummstabes allem nationalen Bewußtsein entfremdete Bevölkerung wieder<lb/> in das deutsche Culturleben einzuführen und dadurch zu einem gesunden Gliede<lb/> des preußischen Staats zu machen: ihre Jubelfeier hat vor Kurzem gezeigt,<lb/> wie sehr sie dieser Aufgabe zu genügen gewußt hat. Allein Aufgaben solcher<lb/> Art liegen gegenwärtig nicht vor. Wohl müssen wir als letzte Spur fremder<lb/> Intervention auf deutschem Boden und als Folge unserer eigenen Zerrissen¬<lb/> heit noch die politische Mainlinie ertragen; aber auf den geistigen Cultur¬<lb/> gebieten, auf denen eine Universität ihre Thätigkeit entfaltet, gibt es keinen<lb/> Main zu überbrücken: an ihnen arbeiten Süddeutsche und norddeutsche ohne<lb/> jeden Unterschied. Während die norddeutschen Städte die aus dem Cotta'-<lb/> schen Verlage hervorgehenden Lieder süddeutscher Dichter vielleicht am meisten<lb/> kaufen, liest man in den württembergischen Stiften die Werke Kant's,<lb/> Hegel's und Schleiermacher's mit einem Eifer, wie es kaum noch in Berlin<lb/> geschieht. Noch weniger kann in dieser Hinsicht von einer auszugleichenden<lb/> Verschiedenheit zwischen den Bewohnern der alten und denen der neuen Pro¬<lb/> vinzen Preußens die Rede sein. Was den letzteren zum großen Theile und<lb/> noch mehr den Süddeutschen fehlt, ist der Staatssinn, das in Fleisch und<lb/> Blut übergegangene Gefühl, daß nicht der Staat der beste ist, der von seinen<lb/> Bürgern die geringsten Opfer verlangt, sondern der, der am meisten ihre<lb/> Kräfte weckt und ihre Thätigkeit spornt. Aber diesem Mangel kann nur<lb/> die Gewöhnung des Lebens, nicht die akademische Bildung abhelfen. Inso¬<lb/> weit aber eine Universität, d. h. eigentlich die Gesammtheit der an ihr wirken-<lb/> den Lehrer des Staatsrechts und der Geschichte, als Mittel betrachtet werden<lb/> kann die nationale Auffassung der Dinge den Süddeutschen näher zu führen<lb/> und den verschwommenen Phantastereien der großdeutschen Theoretiker ent¬<lb/> gegenzuwirken, besitzen wir an Heidelberg einen Vorposten nationaler Ge¬<lb/> sinnung, wie er kaum besser gewünscht werden kann. Dort ist ein neutraler<lb/> Boden gegeben, auf welchem vermöge alter Gewöhnung Lehrende und Ler¬<lb/> nende aus Süd- und aus Norddeutschland in reicher Zahl zusammenströmen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 13*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
eine wissenschaftliche Neuschöpfung in ihrem Gefolge haben müsse, würde darum
durch das angegebene Mittel nicht einmal recht seine Verwirklichung finden.
Aber dieser Gedanke leidet> insofern damit die Neuschöpfung einer Univer¬
sität gemeint ist, auch noch an einem andern Mangel-, er entspricht keinem
realen Bedürfnisse, und nur um eines solchen willen darf der Staat in Thätig¬
keit gesetzt werden. Als die Universität Berlin gegründet wurde, galt es
das durch die französischen Siege auf das Tiefste herabgedrückte deutsche Volks¬
bewußtsein aufzurichten und zu idealem Wollen zu erheben, eine Aufgabe,
die auf das Glänzendste gelöst worden ist. Als acht Jahre darauf die Uni¬
versität Bonn in das Leben gerufen wurde, erhielt sie die Bestimmung, eine
durch die französische Herrschaft und zum Theil schon früher durch die des
Krummstabes allem nationalen Bewußtsein entfremdete Bevölkerung wieder
in das deutsche Culturleben einzuführen und dadurch zu einem gesunden Gliede
des preußischen Staats zu machen: ihre Jubelfeier hat vor Kurzem gezeigt,
wie sehr sie dieser Aufgabe zu genügen gewußt hat. Allein Aufgaben solcher
Art liegen gegenwärtig nicht vor. Wohl müssen wir als letzte Spur fremder
Intervention auf deutschem Boden und als Folge unserer eigenen Zerrissen¬
heit noch die politische Mainlinie ertragen; aber auf den geistigen Cultur¬
gebieten, auf denen eine Universität ihre Thätigkeit entfaltet, gibt es keinen
Main zu überbrücken: an ihnen arbeiten Süddeutsche und norddeutsche ohne
jeden Unterschied. Während die norddeutschen Städte die aus dem Cotta'-
schen Verlage hervorgehenden Lieder süddeutscher Dichter vielleicht am meisten
kaufen, liest man in den württembergischen Stiften die Werke Kant's,
Hegel's und Schleiermacher's mit einem Eifer, wie es kaum noch in Berlin
geschieht. Noch weniger kann in dieser Hinsicht von einer auszugleichenden
Verschiedenheit zwischen den Bewohnern der alten und denen der neuen Pro¬
vinzen Preußens die Rede sein. Was den letzteren zum großen Theile und
noch mehr den Süddeutschen fehlt, ist der Staatssinn, das in Fleisch und
Blut übergegangene Gefühl, daß nicht der Staat der beste ist, der von seinen
Bürgern die geringsten Opfer verlangt, sondern der, der am meisten ihre
Kräfte weckt und ihre Thätigkeit spornt. Aber diesem Mangel kann nur
die Gewöhnung des Lebens, nicht die akademische Bildung abhelfen. Inso¬
weit aber eine Universität, d. h. eigentlich die Gesammtheit der an ihr wirken-
den Lehrer des Staatsrechts und der Geschichte, als Mittel betrachtet werden
kann die nationale Auffassung der Dinge den Süddeutschen näher zu führen
und den verschwommenen Phantastereien der großdeutschen Theoretiker ent¬
gegenzuwirken, besitzen wir an Heidelberg einen Vorposten nationaler Ge¬
sinnung, wie er kaum besser gewünscht werden kann. Dort ist ein neutraler
Boden gegeben, auf welchem vermöge alter Gewöhnung Lehrende und Ler¬
nende aus Süd- und aus Norddeutschland in reicher Zahl zusammenströmen
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