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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Zuständen und Einrichtungen entfernte, desto größer wurde die Kluft zwischen
dem historischen ständischen Standpunkt und der fingirten Stellung der Nitter-
und Landschaft als Volks- und Landesvertreter. Und je größer diese Kluft
wurde, desto schiefer wurde die Position der Stände: sie möchten gerne noch
ferner als einzige Vertreter des Landes gelten und können doch ihren wahren,
den ständischen Standpunkt nicht verleugnen, weil sie sich nicht selbst ver¬
leugnen können. Die Stände mögen daher immerhin den Versuch machen,
noch eine Weile den Naturgesetzen der staatlichen Entwickelung zu trotzen,
den Anforderungen des Bundes können sie auf die Dauer nicht gerecht
werden.

Eine Steuerreform im modernen Sinne ohne gleichzeitige Reform der
Landesverfassung ist unmöglich. Letztere hat Mecklenburg bisher dauernd nicht
zu erringen vermocht, die erstere ist jetzt durch die Forderungen des norddeut¬
schen Bundes unumgänglich nöthig geworden. Wenn gleich diesem keine directe
Einwirkung auf die innern Verfassungsverhältnisse der Einzelstaaten einge¬
räumt ist, so darf Mecklenburg doch hoffen, eher, als es sonst geschehen sein
dürfte, bei indirecter Einwirkung des Bundes seine abgelebten Institutionen
durch eine Neuschöpfung ersetzt zu sehen.




Die Verlegung der marburgcr Universität nach Frankfurt a. M.

Vor einiger Zeit ist in Ihren Blättern die Frage der Verlegung der
Universität Kiel nach Hamburg zur Erörterung gekommen. Auf Anlaß der
Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses vom 18. December dürfte
es geeignet sein, auch der Frage einer Verlegung der marburger Universität
nach Frankfurt a. M. kurze Besprechung zu widmen. Denn in jenen Ver¬
handlungen ist eine solche Verlegung von den Abgeordneten v. Patow und
Graf Schwerin warm empfohlen worden und der Cultusminister v. Muster
hat die Möglichkeit eines späteren Zurückkommens der .Regierung auf diesen
von ihr schon einmal erwogenen Plan angedeutet.

Wir sollten meinen, daß man bei Fragen solcher Art zunächst unter¬
suchen muß, ob das Vorhandene unhaltbar ist, bevor man die Gründe
prüft, welche für das an seine Stelle zu Setzende Neue geltend gemacht werden:
in unserm Falle wird es sich also zuvörderst darum handeln müssen, ob
Marburg als Universität nicht erhalten werden kann. In den politischen
Kämpfen des Kurfürstenthums Hessen bildete der traurige Zustand Marburgs


Zuständen und Einrichtungen entfernte, desto größer wurde die Kluft zwischen
dem historischen ständischen Standpunkt und der fingirten Stellung der Nitter-
und Landschaft als Volks- und Landesvertreter. Und je größer diese Kluft
wurde, desto schiefer wurde die Position der Stände: sie möchten gerne noch
ferner als einzige Vertreter des Landes gelten und können doch ihren wahren,
den ständischen Standpunkt nicht verleugnen, weil sie sich nicht selbst ver¬
leugnen können. Die Stände mögen daher immerhin den Versuch machen,
noch eine Weile den Naturgesetzen der staatlichen Entwickelung zu trotzen,
den Anforderungen des Bundes können sie auf die Dauer nicht gerecht
werden.

Eine Steuerreform im modernen Sinne ohne gleichzeitige Reform der
Landesverfassung ist unmöglich. Letztere hat Mecklenburg bisher dauernd nicht
zu erringen vermocht, die erstere ist jetzt durch die Forderungen des norddeut¬
schen Bundes unumgänglich nöthig geworden. Wenn gleich diesem keine directe
Einwirkung auf die innern Verfassungsverhältnisse der Einzelstaaten einge¬
räumt ist, so darf Mecklenburg doch hoffen, eher, als es sonst geschehen sein
dürfte, bei indirecter Einwirkung des Bundes seine abgelebten Institutionen
durch eine Neuschöpfung ersetzt zu sehen.




Die Verlegung der marburgcr Universität nach Frankfurt a. M.

Vor einiger Zeit ist in Ihren Blättern die Frage der Verlegung der
Universität Kiel nach Hamburg zur Erörterung gekommen. Auf Anlaß der
Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses vom 18. December dürfte
es geeignet sein, auch der Frage einer Verlegung der marburger Universität
nach Frankfurt a. M. kurze Besprechung zu widmen. Denn in jenen Ver¬
handlungen ist eine solche Verlegung von den Abgeordneten v. Patow und
Graf Schwerin warm empfohlen worden und der Cultusminister v. Muster
hat die Möglichkeit eines späteren Zurückkommens der .Regierung auf diesen
von ihr schon einmal erwogenen Plan angedeutet.

Wir sollten meinen, daß man bei Fragen solcher Art zunächst unter¬
suchen muß, ob das Vorhandene unhaltbar ist, bevor man die Gründe
prüft, welche für das an seine Stelle zu Setzende Neue geltend gemacht werden:
in unserm Falle wird es sich also zuvörderst darum handeln müssen, ob
Marburg als Universität nicht erhalten werden kann. In den politischen
Kämpfen des Kurfürstenthums Hessen bildete der traurige Zustand Marburgs


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[0107] Zuständen und Einrichtungen entfernte, desto größer wurde die Kluft zwischen dem historischen ständischen Standpunkt und der fingirten Stellung der Nitter- und Landschaft als Volks- und Landesvertreter. Und je größer diese Kluft wurde, desto schiefer wurde die Position der Stände: sie möchten gerne noch ferner als einzige Vertreter des Landes gelten und können doch ihren wahren, den ständischen Standpunkt nicht verleugnen, weil sie sich nicht selbst ver¬ leugnen können. Die Stände mögen daher immerhin den Versuch machen, noch eine Weile den Naturgesetzen der staatlichen Entwickelung zu trotzen, den Anforderungen des Bundes können sie auf die Dauer nicht gerecht werden. Eine Steuerreform im modernen Sinne ohne gleichzeitige Reform der Landesverfassung ist unmöglich. Letztere hat Mecklenburg bisher dauernd nicht zu erringen vermocht, die erstere ist jetzt durch die Forderungen des norddeut¬ schen Bundes unumgänglich nöthig geworden. Wenn gleich diesem keine directe Einwirkung auf die innern Verfassungsverhältnisse der Einzelstaaten einge¬ räumt ist, so darf Mecklenburg doch hoffen, eher, als es sonst geschehen sein dürfte, bei indirecter Einwirkung des Bundes seine abgelebten Institutionen durch eine Neuschöpfung ersetzt zu sehen. Die Verlegung der marburgcr Universität nach Frankfurt a. M. Vor einiger Zeit ist in Ihren Blättern die Frage der Verlegung der Universität Kiel nach Hamburg zur Erörterung gekommen. Auf Anlaß der Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses vom 18. December dürfte es geeignet sein, auch der Frage einer Verlegung der marburger Universität nach Frankfurt a. M. kurze Besprechung zu widmen. Denn in jenen Ver¬ handlungen ist eine solche Verlegung von den Abgeordneten v. Patow und Graf Schwerin warm empfohlen worden und der Cultusminister v. Muster hat die Möglichkeit eines späteren Zurückkommens der .Regierung auf diesen von ihr schon einmal erwogenen Plan angedeutet. Wir sollten meinen, daß man bei Fragen solcher Art zunächst unter¬ suchen muß, ob das Vorhandene unhaltbar ist, bevor man die Gründe prüft, welche für das an seine Stelle zu Setzende Neue geltend gemacht werden: in unserm Falle wird es sich also zuvörderst darum handeln müssen, ob Marburg als Universität nicht erhalten werden kann. In den politischen Kämpfen des Kurfürstenthums Hessen bildete der traurige Zustand Marburgs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/107>, abgerufen am 28.09.2024.