Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in dem Wahn ihrer Sicherheit bestärken. Die Regierungen fordern für mo¬
derne Staatszwecke moderne Steuern von mittelalterlich organisirten Stän¬
den und wollen dieselben nach dem mittelalterlichen Pauschal- und Aversio-
nalshstem bemessen wissen. Wohl sind Stimmen laut geworden, die auf den
darin liegenden inneren Widerspruch hinweisen. Einzelne beherzte Kämpen aus
der Reihe der bürgerlichen Gutsbesitzer haben den durch eine geheime Vereins?
ante von 1793 verbundenen Rittern den Fehdehandschuh hingeworfen und
positiv den Uebergang zur modernen Staatsform durch Befürwortung des
Budgetsystems gefordert; und der Deputirte für Schwerin hat in negativem
Bilde die Unmöglichkeit einer Steuerreform, wie sie der Eintritt Mecklenburgs
in den norddeutschen Bund fordert, vom ständischen Standpunkt aus gezeigt.
Kann eine Staatsverfassung den Ansprüchen des Bundes gerecht werden,
die nach den Ausführungen des schwenner Bürgermeisters als einziges und -
doch nicht zutreffendes Analogon für die Möglichkeit einer Besteuerung des
Landes zu Bundeszwecken die Nömermonate des heiligen deutschen Reichs
kennt? Wollen die Stände auf der Basis dieser Verfassung stehen bleiben,
so können sie den Regierungen die geforderten Steuern nicht bewilligen, denn
die Bundeslasten haben die Landesherren nach dem klaren Wortlaut des
LGGEV,, der dieselben nicht kennt und alle nicht ausdrücklich von den Stän¬
den übernommenen Staatslasten auf die landesherrlichen Cassen anweist, allein
zu tragen. Wollen die Stände aber den Regierungen die zum Staatshaus¬
halt nöthigen Gelder bewilligen, so müssen sie auch darnach streben, das
Recht der Steuerzahler auf Mitwirkung bei Feststellung dieses Staatshaus¬
haltes zur Anerkennung zu bringen. Die Ritter haben zu dem Einen so
wenig Lust, wie zu dem Andern- Den ständischen Standpunkt möchten sie
nicht verlassen, denn das hieße ihrer bevorzugten Stellung entsagen, und das
Budget möchten sie nicht fordern, weil das Budgetsystem unfehlbar zum Con-
stitutionalismus, also wiederum zum Verlust ihrer Standesrechte führen
würde. Daher haben sie die Vorlagen der Regierungen bereitwilliger, als
diese selbst erwarten mochten, gutgeheißen; in einer Sitzung von wenigen
Stunden war die Sache abgemacht, nachdem das Comite vorgearbeitet hatte,
indem es dem umfangreichen Steuergesetzentwurf einen umfangreicheren Be¬
richt hinzufügte. Die Landschaft, d. h. die Vertreter der Städte, zeigten sich
schon schwieriger. Ihnen fehlte der Impuls, der, abgesehen von dem Wunsche
die durch die nothwendige Steuerreform heraufbeschworene Frage einer Ver-
fassungsresorm im Keime zu ersticken, die ritterschaftlichen Beschlüsse zu Stande
brachte. Die von der Negierung proponirte Steuerreform belastet den in den
Händen der Ritterschaft befindlichen großen Grundbesitz weit weniger als die
Städte, zu geschweige" des dem kleinen Mann aus dem Lande zugemutheten
Steuerdrucks. Daher beanstandete die Landschaft wenigstens Einzelheiten des


in dem Wahn ihrer Sicherheit bestärken. Die Regierungen fordern für mo¬
derne Staatszwecke moderne Steuern von mittelalterlich organisirten Stän¬
den und wollen dieselben nach dem mittelalterlichen Pauschal- und Aversio-
nalshstem bemessen wissen. Wohl sind Stimmen laut geworden, die auf den
darin liegenden inneren Widerspruch hinweisen. Einzelne beherzte Kämpen aus
der Reihe der bürgerlichen Gutsbesitzer haben den durch eine geheime Vereins?
ante von 1793 verbundenen Rittern den Fehdehandschuh hingeworfen und
positiv den Uebergang zur modernen Staatsform durch Befürwortung des
Budgetsystems gefordert; und der Deputirte für Schwerin hat in negativem
Bilde die Unmöglichkeit einer Steuerreform, wie sie der Eintritt Mecklenburgs
in den norddeutschen Bund fordert, vom ständischen Standpunkt aus gezeigt.
Kann eine Staatsverfassung den Ansprüchen des Bundes gerecht werden,
die nach den Ausführungen des schwenner Bürgermeisters als einziges und -
doch nicht zutreffendes Analogon für die Möglichkeit einer Besteuerung des
Landes zu Bundeszwecken die Nömermonate des heiligen deutschen Reichs
kennt? Wollen die Stände auf der Basis dieser Verfassung stehen bleiben,
so können sie den Regierungen die geforderten Steuern nicht bewilligen, denn
die Bundeslasten haben die Landesherren nach dem klaren Wortlaut des
LGGEV,, der dieselben nicht kennt und alle nicht ausdrücklich von den Stän¬
den übernommenen Staatslasten auf die landesherrlichen Cassen anweist, allein
zu tragen. Wollen die Stände aber den Regierungen die zum Staatshaus¬
halt nöthigen Gelder bewilligen, so müssen sie auch darnach streben, das
Recht der Steuerzahler auf Mitwirkung bei Feststellung dieses Staatshaus¬
haltes zur Anerkennung zu bringen. Die Ritter haben zu dem Einen so
wenig Lust, wie zu dem Andern- Den ständischen Standpunkt möchten sie
nicht verlassen, denn das hieße ihrer bevorzugten Stellung entsagen, und das
Budget möchten sie nicht fordern, weil das Budgetsystem unfehlbar zum Con-
stitutionalismus, also wiederum zum Verlust ihrer Standesrechte führen
würde. Daher haben sie die Vorlagen der Regierungen bereitwilliger, als
diese selbst erwarten mochten, gutgeheißen; in einer Sitzung von wenigen
Stunden war die Sache abgemacht, nachdem das Comite vorgearbeitet hatte,
indem es dem umfangreichen Steuergesetzentwurf einen umfangreicheren Be¬
richt hinzufügte. Die Landschaft, d. h. die Vertreter der Städte, zeigten sich
schon schwieriger. Ihnen fehlte der Impuls, der, abgesehen von dem Wunsche
die durch die nothwendige Steuerreform heraufbeschworene Frage einer Ver-
fassungsresorm im Keime zu ersticken, die ritterschaftlichen Beschlüsse zu Stande
brachte. Die von der Negierung proponirte Steuerreform belastet den in den
Händen der Ritterschaft befindlichen großen Grundbesitz weit weniger als die
Städte, zu geschweige« des dem kleinen Mann aus dem Lande zugemutheten
Steuerdrucks. Daher beanstandete die Landschaft wenigstens Einzelheiten des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120292"/>
          <p xml:id="ID_279" prev="#ID_278" next="#ID_280"> in dem Wahn ihrer Sicherheit bestärken. Die Regierungen fordern für mo¬<lb/>
derne Staatszwecke moderne Steuern von mittelalterlich organisirten Stän¬<lb/>
den und wollen dieselben nach dem mittelalterlichen Pauschal- und Aversio-<lb/>
nalshstem bemessen wissen. Wohl sind Stimmen laut geworden, die auf den<lb/>
darin liegenden inneren Widerspruch hinweisen. Einzelne beherzte Kämpen aus<lb/>
der Reihe der bürgerlichen Gutsbesitzer haben den durch eine geheime Vereins?<lb/>
ante von 1793 verbundenen Rittern den Fehdehandschuh hingeworfen und<lb/>
positiv den Uebergang zur modernen Staatsform durch Befürwortung des<lb/>
Budgetsystems gefordert; und der Deputirte für Schwerin hat in negativem<lb/>
Bilde die Unmöglichkeit einer Steuerreform, wie sie der Eintritt Mecklenburgs<lb/>
in den norddeutschen Bund fordert, vom ständischen Standpunkt aus gezeigt.<lb/>
Kann eine Staatsverfassung den Ansprüchen des Bundes gerecht werden,<lb/>
die nach den Ausführungen des schwenner Bürgermeisters als einziges und -<lb/>
doch nicht zutreffendes Analogon für die Möglichkeit einer Besteuerung des<lb/>
Landes zu Bundeszwecken die Nömermonate des heiligen deutschen Reichs<lb/>
kennt? Wollen die Stände auf der Basis dieser Verfassung stehen bleiben,<lb/>
so können sie den Regierungen die geforderten Steuern nicht bewilligen, denn<lb/>
die Bundeslasten haben die Landesherren nach dem klaren Wortlaut des<lb/>
LGGEV,, der dieselben nicht kennt und alle nicht ausdrücklich von den Stän¬<lb/>
den übernommenen Staatslasten auf die landesherrlichen Cassen anweist, allein<lb/>
zu tragen. Wollen die Stände aber den Regierungen die zum Staatshaus¬<lb/>
halt nöthigen Gelder bewilligen, so müssen sie auch darnach streben, das<lb/>
Recht der Steuerzahler auf Mitwirkung bei Feststellung dieses Staatshaus¬<lb/>
haltes zur Anerkennung zu bringen. Die Ritter haben zu dem Einen so<lb/>
wenig Lust, wie zu dem Andern- Den ständischen Standpunkt möchten sie<lb/>
nicht verlassen, denn das hieße ihrer bevorzugten Stellung entsagen, und das<lb/>
Budget möchten sie nicht fordern, weil das Budgetsystem unfehlbar zum Con-<lb/>
stitutionalismus, also wiederum zum Verlust ihrer Standesrechte führen<lb/>
würde. Daher haben sie die Vorlagen der Regierungen bereitwilliger, als<lb/>
diese selbst erwarten mochten, gutgeheißen; in einer Sitzung von wenigen<lb/>
Stunden war die Sache abgemacht, nachdem das Comite vorgearbeitet hatte,<lb/>
indem es dem umfangreichen Steuergesetzentwurf einen umfangreicheren Be¬<lb/>
richt hinzufügte. Die Landschaft, d. h. die Vertreter der Städte, zeigten sich<lb/>
schon schwieriger. Ihnen fehlte der Impuls, der, abgesehen von dem Wunsche<lb/>
die durch die nothwendige Steuerreform heraufbeschworene Frage einer Ver-<lb/>
fassungsresorm im Keime zu ersticken, die ritterschaftlichen Beschlüsse zu Stande<lb/>
brachte. Die von der Negierung proponirte Steuerreform belastet den in den<lb/>
Händen der Ritterschaft befindlichen großen Grundbesitz weit weniger als die<lb/>
Städte, zu geschweige« des dem kleinen Mann aus dem Lande zugemutheten<lb/>
Steuerdrucks. Daher beanstandete die Landschaft wenigstens Einzelheiten des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] in dem Wahn ihrer Sicherheit bestärken. Die Regierungen fordern für mo¬ derne Staatszwecke moderne Steuern von mittelalterlich organisirten Stän¬ den und wollen dieselben nach dem mittelalterlichen Pauschal- und Aversio- nalshstem bemessen wissen. Wohl sind Stimmen laut geworden, die auf den darin liegenden inneren Widerspruch hinweisen. Einzelne beherzte Kämpen aus der Reihe der bürgerlichen Gutsbesitzer haben den durch eine geheime Vereins? ante von 1793 verbundenen Rittern den Fehdehandschuh hingeworfen und positiv den Uebergang zur modernen Staatsform durch Befürwortung des Budgetsystems gefordert; und der Deputirte für Schwerin hat in negativem Bilde die Unmöglichkeit einer Steuerreform, wie sie der Eintritt Mecklenburgs in den norddeutschen Bund fordert, vom ständischen Standpunkt aus gezeigt. Kann eine Staatsverfassung den Ansprüchen des Bundes gerecht werden, die nach den Ausführungen des schwenner Bürgermeisters als einziges und - doch nicht zutreffendes Analogon für die Möglichkeit einer Besteuerung des Landes zu Bundeszwecken die Nömermonate des heiligen deutschen Reichs kennt? Wollen die Stände auf der Basis dieser Verfassung stehen bleiben, so können sie den Regierungen die geforderten Steuern nicht bewilligen, denn die Bundeslasten haben die Landesherren nach dem klaren Wortlaut des LGGEV,, der dieselben nicht kennt und alle nicht ausdrücklich von den Stän¬ den übernommenen Staatslasten auf die landesherrlichen Cassen anweist, allein zu tragen. Wollen die Stände aber den Regierungen die zum Staatshaus¬ halt nöthigen Gelder bewilligen, so müssen sie auch darnach streben, das Recht der Steuerzahler auf Mitwirkung bei Feststellung dieses Staatshaus¬ haltes zur Anerkennung zu bringen. Die Ritter haben zu dem Einen so wenig Lust, wie zu dem Andern- Den ständischen Standpunkt möchten sie nicht verlassen, denn das hieße ihrer bevorzugten Stellung entsagen, und das Budget möchten sie nicht fordern, weil das Budgetsystem unfehlbar zum Con- stitutionalismus, also wiederum zum Verlust ihrer Standesrechte führen würde. Daher haben sie die Vorlagen der Regierungen bereitwilliger, als diese selbst erwarten mochten, gutgeheißen; in einer Sitzung von wenigen Stunden war die Sache abgemacht, nachdem das Comite vorgearbeitet hatte, indem es dem umfangreichen Steuergesetzentwurf einen umfangreicheren Be¬ richt hinzufügte. Die Landschaft, d. h. die Vertreter der Städte, zeigten sich schon schwieriger. Ihnen fehlte der Impuls, der, abgesehen von dem Wunsche die durch die nothwendige Steuerreform heraufbeschworene Frage einer Ver- fassungsresorm im Keime zu ersticken, die ritterschaftlichen Beschlüsse zu Stande brachte. Die von der Negierung proponirte Steuerreform belastet den in den Händen der Ritterschaft befindlichen großen Grundbesitz weit weniger als die Städte, zu geschweige« des dem kleinen Mann aus dem Lande zugemutheten Steuerdrucks. Daher beanstandete die Landschaft wenigstens Einzelheiten des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/103>, abgerufen am 28.09.2024.