Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Niobe mit der jüngsten Tochter nicht die einzige Gruppe in der größeren Eine neue Ueberraschung brachte eine im Jahre 1826 bei Soissons Niobe mit der jüngsten Tochter nicht die einzige Gruppe in der größeren Eine neue Ueberraschung brachte eine im Jahre 1826 bei Soissons <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117628"/> <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308"> Niobe mit der jüngsten Tochter nicht die einzige Gruppe in der größeren<lb/> Reihe war. Und diese Beobachtung führt uns weiter. Canova entdeckte<lb/> im Vatican das Bruchstück einer rührend schönen Gruppe, ein junges Mäd¬<lb/> chen im Sterben zusammensinkend, welche sich mit dem rechten Arm auf das<lb/> vortretende Bein eines heranschreitenden Jünglings stützt, der die Rechte<lb/> hilfreich an ihre Schulter legt. Bon diesem Jüngling ist zwar außer der-<lb/> linken Hand nur das vorgestellte linke Bein mit dem darüber fallenden Ge¬<lb/> wand erhalten, allein Canova erkannte, wie dieses Bruchstück bis aufs ge¬<lb/> ringste Detail so genau mit einem der florentinischen Niobiden übereinstimmt,<lb/> daß über die Ergänzung der Gruppe gar kein Zweifel sein kann. Der Jüng¬<lb/> ling schreitet vor, um die sinkende Schwester zu unterstützen und breitet mit<lb/> der Rechten sein Gewand über seinen Kopf weg schützend aus, indem er gen<lb/> Himmel blickt. Nun erst ist dies Motiv in seiner Bedeutung klar geworden;<lb/> nicht sich zu schützen ist er bedacht, sondern der Schwester eine Hilfe zu brin¬<lb/> gen, die sie freilich nicht mehr zu retten vermag. Eine genaue Unter¬<lb/> suchung ergab nun auch am Knie des Florentiner Niobiden die Spuren eines<lb/> ursprünglich damit zusammenhänden Gegenstandes/ dessen Reste abgemeißelt<lb/> waren, offenbar, weil man mit denselben gar nichts zu machen wußte. So<lb/> hat denn auch dieser schöne Gewinn einer neuen ausdrucksvollen Gruppe<lb/> darüber neue Gewißheit gegeben, wie unzulänglich die florentinischen Statuen<lb/> für die Herstellung der vollständigen Gruppe seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_310" next="#ID_311"> Eine neue Ueberraschung brachte eine im Jahre 1826 bei Soissons<lb/> gefundene Gruppe. Unter den Florentiner Statuen fällt der durch die eigen¬<lb/> thümliche Tracht und Körperbildung charakterisirte Pädagog auf; daß der<lb/> mit umgewendetem Haupt und erhobener Rechten fliehende jüngste Sohn un¬<lb/> mittelbar zu demselben gehörte, ging ebensowohl aus der Stellung der<lb/> Pädagogen in der Familie als aus der künstlerischen Anordnung der<lb/> beiden Figuren hervor. Allein in der Gruppe von Soissons sind beide<lb/> so genau wiederholt, als es unter den gegebenen Verhältnissen nur<lb/> möglich war, nicht nebeneinander gestellt, sondern zu einer geschlossenen<lb/> Gruppe so eng mit einander verbunden, wie die Mutter mit der jüngsten<lb/> Tochter. Und auch bei dieser wiederholt sich dieselbe Erscheinung. Von der<lb/> jüngsten Tochter hat sich das Bruchstück einer frei gearbeiteten Statue er¬<lb/> halten, welche mithin eine Statue der Niobe selbst voraussetzt, mit der sie in<lb/> eine ähnliche losere Verbindung gesetzt werden konnte, wie der jüngste Bru¬<lb/> der mit dem Pädagogen. Also die Copisten lösten geschlossene Gruppen in<lb/> einzelne freistehende Figuren auf, oder setzten aus frei einander genäherten<lb/> Statuen wirkliche Gruppen zusammen. Welche Compositionsweise war die<lb/> ursprüngliche? war der Urheber der Gruppe einem Gesetz ausschließlich ge¬<lb/> folgt? wie weit ging die Freiheit oder die Willkür der Copisten bei solcher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
Niobe mit der jüngsten Tochter nicht die einzige Gruppe in der größeren
Reihe war. Und diese Beobachtung führt uns weiter. Canova entdeckte
im Vatican das Bruchstück einer rührend schönen Gruppe, ein junges Mäd¬
chen im Sterben zusammensinkend, welche sich mit dem rechten Arm auf das
vortretende Bein eines heranschreitenden Jünglings stützt, der die Rechte
hilfreich an ihre Schulter legt. Bon diesem Jüngling ist zwar außer der-
linken Hand nur das vorgestellte linke Bein mit dem darüber fallenden Ge¬
wand erhalten, allein Canova erkannte, wie dieses Bruchstück bis aufs ge¬
ringste Detail so genau mit einem der florentinischen Niobiden übereinstimmt,
daß über die Ergänzung der Gruppe gar kein Zweifel sein kann. Der Jüng¬
ling schreitet vor, um die sinkende Schwester zu unterstützen und breitet mit
der Rechten sein Gewand über seinen Kopf weg schützend aus, indem er gen
Himmel blickt. Nun erst ist dies Motiv in seiner Bedeutung klar geworden;
nicht sich zu schützen ist er bedacht, sondern der Schwester eine Hilfe zu brin¬
gen, die sie freilich nicht mehr zu retten vermag. Eine genaue Unter¬
suchung ergab nun auch am Knie des Florentiner Niobiden die Spuren eines
ursprünglich damit zusammenhänden Gegenstandes/ dessen Reste abgemeißelt
waren, offenbar, weil man mit denselben gar nichts zu machen wußte. So
hat denn auch dieser schöne Gewinn einer neuen ausdrucksvollen Gruppe
darüber neue Gewißheit gegeben, wie unzulänglich die florentinischen Statuen
für die Herstellung der vollständigen Gruppe seien.
Eine neue Ueberraschung brachte eine im Jahre 1826 bei Soissons
gefundene Gruppe. Unter den Florentiner Statuen fällt der durch die eigen¬
thümliche Tracht und Körperbildung charakterisirte Pädagog auf; daß der
mit umgewendetem Haupt und erhobener Rechten fliehende jüngste Sohn un¬
mittelbar zu demselben gehörte, ging ebensowohl aus der Stellung der
Pädagogen in der Familie als aus der künstlerischen Anordnung der
beiden Figuren hervor. Allein in der Gruppe von Soissons sind beide
so genau wiederholt, als es unter den gegebenen Verhältnissen nur
möglich war, nicht nebeneinander gestellt, sondern zu einer geschlossenen
Gruppe so eng mit einander verbunden, wie die Mutter mit der jüngsten
Tochter. Und auch bei dieser wiederholt sich dieselbe Erscheinung. Von der
jüngsten Tochter hat sich das Bruchstück einer frei gearbeiteten Statue er¬
halten, welche mithin eine Statue der Niobe selbst voraussetzt, mit der sie in
eine ähnliche losere Verbindung gesetzt werden konnte, wie der jüngste Bru¬
der mit dem Pädagogen. Also die Copisten lösten geschlossene Gruppen in
einzelne freistehende Figuren auf, oder setzten aus frei einander genäherten
Statuen wirkliche Gruppen zusammen. Welche Compositionsweise war die
ursprüngliche? war der Urheber der Gruppe einem Gesetz ausschließlich ge¬
folgt? wie weit ging die Freiheit oder die Willkür der Copisten bei solcher
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