Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.daß die rechte Hand den Bausch faßte und hielt. Aber auch dann befriedigt die Wie man sich auch hierüber entscheide, so darf als sicher gelten, daß 12*
daß die rechte Hand den Bausch faßte und hielt. Aber auch dann befriedigt die Wie man sich auch hierüber entscheide, so darf als sicher gelten, daß 12*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117627"/> <p xml:id="ID_307" prev="#ID_306"> daß die rechte Hand den Bausch faßte und hielt. Aber auch dann befriedigt die<lb/> Statue uns nicht. Die Frau oder Jungfrau hemmt im Vorwärtsgehen ihren<lb/> Schritt, mit der Linken erhebt sie ihren Mantel um ihn auszubreiten;<lb/> aber dies geschieht nicht um sich selbst zu schützen, nicht mit ihrer eigenen<lb/> Gefahr ist sie beschäftigt, der sorgliche Blick ihres gesenkten Hauptes ist auf<lb/> den Gegenstand gerichtet, dem sie Schutz bringt, dieser muß vor ihr und tiefer<lb/> als sie gestellt sein, sodaß ihr Gewand ihn schirmen, ihr Blick ihn treffen<lb/> kann. Dieser Gegenstand kann aber nicht fehlen, nicht hinzugedacht werden,<lb/> Ausdruck wie Stellung der weiblichen Gestalt verlangen nothwendig die Er¬<lb/> gänzung durch das Correlat einer zugehörigen Figur, und daß dies nur ein<lb/> vor ihren Augen getroffener Bruder sein kann, liegt auf der Hand. Dem<lb/> Bedürfniß, welches sich hier aus der Betrachtung der einzelnen Figur'ergab,<lb/> kommt ein antiker geschnittener Stein entgegen, welche nicht selten berühmte<lb/> Kunstwerke, wenn auch nicht genau, doch mit kenntlicher Andeutung der<lb/> wesentlichen Motive wiedergeben. Er stellt eine Tochter der Niobe ungefähr<lb/> in der Haltung unserer Figur dar und vor derselben, eng mit ihr verbun¬<lb/> den, einen auf die Kniee gesunkenen Bruder, also eine Gruppe, wie wir sie<lb/> der Statue wegen annehmen mußten. Verschiedene Versuche, durch Heran¬<lb/> ziehen erhaltener Statuen diese Gruppe zu vervollständigen, sind nicht bis zu<lb/> völliger Evidenz gelungen, aber wir wissen nun, daß der Kreis der erhalte¬<lb/> nen Niobidenstatuen kein geschlossener ist, und wie hier der Zufall gewaltet<lb/> hat, wird gleich noch klarer werden. Allein nehmen wir an, diese Gruppe<lb/> sei den wesentlichen, unzweifelhaften Voraussetzungen gemäß befriedigend er¬<lb/> gänzt, so erhebt sich eine neue Schwierigkeit. Die weibliche Gestalt ist ihrer<lb/> Bedeutung, ihrer Haltung nach, für die das mit der Rechten emporgehobene<lb/> Gewand namentlich charakteristisch ist, wesentlich nur das Abbild, aber das<lb/> außerordentlich abgeschwächte Abbild der Niobe selbst. Ist es denkbar, daß ein<lb/> großer Künstler in einer Gruppe, welche ihn einen solchen Reichthum mannig¬<lb/> faltiger, in verschiedenster Art wirksamer Motive entfalten ließ, zwei solche<lb/> Parallelsiguren nebeneinander stellte? Figuren, von denen die eine die Wirkung<lb/> der anderen beeinträchtigen mußte, auch wenn die eine nicht so entschieden<lb/> schwächer wäre. Dazu kommt, daß diese weibliche Gestalt in auffallender<lb/> Weise zwischen der Mutter und den übrigen Töchtern steht. Für eine Schwester<lb/> erscheint sie zu alt, für eine Amme ist sie der Niobidenfamilie in Gestalt und<lb/> Tracht zu gleichartig gehalten. Daß sie einen etwas trockneren, steiferen Ein¬<lb/> druck als die übrigen macht, kann an diesem Exemplar liegen; aber unab¬<lb/> weisbar bleibt die Frage, ob diese Gestalt oder die Gruppe, zu der sie mit<lb/> dem Bruder vereinigt war, einer anderen Reihe von Niobiden angehörte<lb/> und willkürlich erst vom Copisten mit dieser zusammengestellt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_308" next="#ID_309"> Wie man sich auch hierüber entscheide, so darf als sicher gelten, daß</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 12*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
daß die rechte Hand den Bausch faßte und hielt. Aber auch dann befriedigt die
Statue uns nicht. Die Frau oder Jungfrau hemmt im Vorwärtsgehen ihren
Schritt, mit der Linken erhebt sie ihren Mantel um ihn auszubreiten;
aber dies geschieht nicht um sich selbst zu schützen, nicht mit ihrer eigenen
Gefahr ist sie beschäftigt, der sorgliche Blick ihres gesenkten Hauptes ist auf
den Gegenstand gerichtet, dem sie Schutz bringt, dieser muß vor ihr und tiefer
als sie gestellt sein, sodaß ihr Gewand ihn schirmen, ihr Blick ihn treffen
kann. Dieser Gegenstand kann aber nicht fehlen, nicht hinzugedacht werden,
Ausdruck wie Stellung der weiblichen Gestalt verlangen nothwendig die Er¬
gänzung durch das Correlat einer zugehörigen Figur, und daß dies nur ein
vor ihren Augen getroffener Bruder sein kann, liegt auf der Hand. Dem
Bedürfniß, welches sich hier aus der Betrachtung der einzelnen Figur'ergab,
kommt ein antiker geschnittener Stein entgegen, welche nicht selten berühmte
Kunstwerke, wenn auch nicht genau, doch mit kenntlicher Andeutung der
wesentlichen Motive wiedergeben. Er stellt eine Tochter der Niobe ungefähr
in der Haltung unserer Figur dar und vor derselben, eng mit ihr verbun¬
den, einen auf die Kniee gesunkenen Bruder, also eine Gruppe, wie wir sie
der Statue wegen annehmen mußten. Verschiedene Versuche, durch Heran¬
ziehen erhaltener Statuen diese Gruppe zu vervollständigen, sind nicht bis zu
völliger Evidenz gelungen, aber wir wissen nun, daß der Kreis der erhalte¬
nen Niobidenstatuen kein geschlossener ist, und wie hier der Zufall gewaltet
hat, wird gleich noch klarer werden. Allein nehmen wir an, diese Gruppe
sei den wesentlichen, unzweifelhaften Voraussetzungen gemäß befriedigend er¬
gänzt, so erhebt sich eine neue Schwierigkeit. Die weibliche Gestalt ist ihrer
Bedeutung, ihrer Haltung nach, für die das mit der Rechten emporgehobene
Gewand namentlich charakteristisch ist, wesentlich nur das Abbild, aber das
außerordentlich abgeschwächte Abbild der Niobe selbst. Ist es denkbar, daß ein
großer Künstler in einer Gruppe, welche ihn einen solchen Reichthum mannig¬
faltiger, in verschiedenster Art wirksamer Motive entfalten ließ, zwei solche
Parallelsiguren nebeneinander stellte? Figuren, von denen die eine die Wirkung
der anderen beeinträchtigen mußte, auch wenn die eine nicht so entschieden
schwächer wäre. Dazu kommt, daß diese weibliche Gestalt in auffallender
Weise zwischen der Mutter und den übrigen Töchtern steht. Für eine Schwester
erscheint sie zu alt, für eine Amme ist sie der Niobidenfamilie in Gestalt und
Tracht zu gleichartig gehalten. Daß sie einen etwas trockneren, steiferen Ein¬
druck als die übrigen macht, kann an diesem Exemplar liegen; aber unab¬
weisbar bleibt die Frage, ob diese Gestalt oder die Gruppe, zu der sie mit
dem Bruder vereinigt war, einer anderen Reihe von Niobiden angehörte
und willkürlich erst vom Copisten mit dieser zusammengestellt ist.
Wie man sich auch hierüber entscheide, so darf als sicher gelten, daß
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