Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.hat Thorwaldsen in einem auf die Kniee gestürzten Jüngling, der im Ließe es sich durch äußere Gründe zur Evidenz bringen, daß der unter Auch ohne daß wir diese Fragen zu beantworten brauchen, bietet uns hat Thorwaldsen in einem auf die Kniee gestürzten Jüngling, der im Ließe es sich durch äußere Gründe zur Evidenz bringen, daß der unter Auch ohne daß wir diese Fragen zu beantworten brauchen, bietet uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117626"/> <p xml:id="ID_304" prev="#ID_303"> hat Thorwaldsen in einem auf die Kniee gestürzten Jüngling, der im<lb/> Rücken getroffen ist und mit der Linken nach der Wunde greift, — der ehe¬<lb/> mals erhobene Arm und der etwas gesenkte Kopf fehlen — die Niobiden-<lb/> situation und die Verwandtschaft mit den übrigen Statuen so überzeugend<lb/> aufgewiesen, daß trotz des verschiedenen Fundorts die Zusammengehörigkeit<lb/> nicht leicht bezweifelt werden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_305"> Ließe es sich durch äußere Gründe zur Evidenz bringen, daß der unter<lb/> dem Namen Jlioneus bekannte wunderschöne Torso der Glyptothek in<lb/> München, ein Werk der edelsten und schönsten griechischen Kunst, den Niobi-<lb/> den beizuzählen sei, so würden wir einen neuen Aufschluß-mit einer neuen<lb/> Schwierigkeit zu erkaufen haben. Der Jüngling ist auf beide Kniee gestürzt,<lb/> und mit einer Wendung des Körpers, die bei den reinsten Umrissen ein<lb/> wunderbar belebtes Muskelspiel hervorrruft, wendete er den leider nicht vor¬<lb/> handenen Kopf nach oben und streckte zugleich die nur im Ansatz erhaltenen<lb/> Arme wie zur Abwehr empor. Die Situation entspricht den Boraussetzungen<lb/> einer Niobidendarstellung vollkommen, allein nicht nothwendig'diesen allein;<lb/> es sind andere mythische Vorgänge überliefert, aus denen sich die Stellung<lb/> kaum -minder befriedigend erklären läßt. Wäre dieser schöne Jüngling ein<lb/> Niobide, so hätten wir freilich in ihm ein Zeugniß von ganz anderer künst¬<lb/> lerischer Bedeutung für die Leistungen eines Meisters wie Skopas und Praxi¬<lb/> teles, und auf die Copistenarbeit aller sonst zur Niobidengruppe gezogenen<lb/> Sculpturen würde ein noch schärferes Licht fallen. Aber das würde mit<lb/> Sicherheit zu behaupten sein, daß diese Statue auch mit den Originalen<lb/> der Florentiner nie zu einer Gruppe vereinigt gewesen war; denn sie ist ganz<lb/> nackt, während bei allen der bisher angenommnen Gruppe zugesprochenen<lb/> Statuen das Gewand eine so bedeutsame Rolle spielt, daß eine Ausnahme<lb/> von dieser Darstellungswetse bei einer einzelnen Figur undenkbar wäre. Wir<lb/> müßten also eine zweite Niobegruppe aus der Blüthezeit der griechischen<lb/> Kunst annehmen, und sofort würden sich die Fragen aufdrängen: war dies<lb/> nun die Gruppe des Skopas oder Praxiteles, welche Plinius in Rom sah?<lb/> in welchem Verhältniß stand sie zu jener anderen, deren Existenz und Beliebt¬<lb/> heit in Rom durch die große Zahl von Copieen jedenfalls erwiesen ist?s</p><lb/> <p xml:id="ID_306" next="#ID_307"> Auch ohne daß wir diese Fragen zu beantworten brauchen, bietet uns<lb/> die Gruppe noch manche Zweifel zu lösen. Die gewöhnlich sogenannte älteste<lb/> Tochter, welche den Größenverhältnissen nach der Niobe am nächsten steht,<lb/> ruft bei aufmerksamer Betrachtung mehr als ein Bedenken hervor. Offenbar<lb/> ist es mit dem Faltenbausch des Gewands auf dem rechten Oberschenkel nicht<lb/> richtig; man sieht weder, wie er so zu Stande gebracht ist, noch wie sich<lb/> das Gewand in dieser Lage halten konnte. Doch dies kann die Folge man¬<lb/> gelhafter Restauration sein, der rechte fehlende Arm kann so ergänzt werden,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
hat Thorwaldsen in einem auf die Kniee gestürzten Jüngling, der im
Rücken getroffen ist und mit der Linken nach der Wunde greift, — der ehe¬
mals erhobene Arm und der etwas gesenkte Kopf fehlen — die Niobiden-
situation und die Verwandtschaft mit den übrigen Statuen so überzeugend
aufgewiesen, daß trotz des verschiedenen Fundorts die Zusammengehörigkeit
nicht leicht bezweifelt werden wird.
Ließe es sich durch äußere Gründe zur Evidenz bringen, daß der unter
dem Namen Jlioneus bekannte wunderschöne Torso der Glyptothek in
München, ein Werk der edelsten und schönsten griechischen Kunst, den Niobi-
den beizuzählen sei, so würden wir einen neuen Aufschluß-mit einer neuen
Schwierigkeit zu erkaufen haben. Der Jüngling ist auf beide Kniee gestürzt,
und mit einer Wendung des Körpers, die bei den reinsten Umrissen ein
wunderbar belebtes Muskelspiel hervorrruft, wendete er den leider nicht vor¬
handenen Kopf nach oben und streckte zugleich die nur im Ansatz erhaltenen
Arme wie zur Abwehr empor. Die Situation entspricht den Boraussetzungen
einer Niobidendarstellung vollkommen, allein nicht nothwendig'diesen allein;
es sind andere mythische Vorgänge überliefert, aus denen sich die Stellung
kaum -minder befriedigend erklären läßt. Wäre dieser schöne Jüngling ein
Niobide, so hätten wir freilich in ihm ein Zeugniß von ganz anderer künst¬
lerischer Bedeutung für die Leistungen eines Meisters wie Skopas und Praxi¬
teles, und auf die Copistenarbeit aller sonst zur Niobidengruppe gezogenen
Sculpturen würde ein noch schärferes Licht fallen. Aber das würde mit
Sicherheit zu behaupten sein, daß diese Statue auch mit den Originalen
der Florentiner nie zu einer Gruppe vereinigt gewesen war; denn sie ist ganz
nackt, während bei allen der bisher angenommnen Gruppe zugesprochenen
Statuen das Gewand eine so bedeutsame Rolle spielt, daß eine Ausnahme
von dieser Darstellungswetse bei einer einzelnen Figur undenkbar wäre. Wir
müßten also eine zweite Niobegruppe aus der Blüthezeit der griechischen
Kunst annehmen, und sofort würden sich die Fragen aufdrängen: war dies
nun die Gruppe des Skopas oder Praxiteles, welche Plinius in Rom sah?
in welchem Verhältniß stand sie zu jener anderen, deren Existenz und Beliebt¬
heit in Rom durch die große Zahl von Copieen jedenfalls erwiesen ist?s
Auch ohne daß wir diese Fragen zu beantworten brauchen, bietet uns
die Gruppe noch manche Zweifel zu lösen. Die gewöhnlich sogenannte älteste
Tochter, welche den Größenverhältnissen nach der Niobe am nächsten steht,
ruft bei aufmerksamer Betrachtung mehr als ein Bedenken hervor. Offenbar
ist es mit dem Faltenbausch des Gewands auf dem rechten Oberschenkel nicht
richtig; man sieht weder, wie er so zu Stande gebracht ist, noch wie sich
das Gewand in dieser Lage halten konnte. Doch dies kann die Folge man¬
gelhafter Restauration sein, der rechte fehlende Arm kann so ergänzt werden,
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