Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Also Mengs behält Recht, die florentiner Niobidengruppe kann keinen Also Mengs behält Recht, die florentiner Niobidengruppe kann keinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117624"/> <p xml:id="ID_299" next="#ID_300"> Also Mengs behält Recht, die florentiner Niobidengruppe kann keinen<lb/> Anspruch auf Originalität machen. Haben wir aber dafür durch die vatica-<lb/> nische Niobide eine um so zuverlässigere Garantie gewonnen, daß sie aus ein<lb/> Original der besten Zeit zurückgeht, so kann man ja mit um so größerer<lb/> Zuversicht die einzelnen Bestandtheile als schätzbares Material benutzen, um<lb/> die ursprüngliche Composition nach ihren wesentlichen Motiven zu recon-<lb/> struiren. Freilich ist dabei Vorsicht zu üben. Beim Copiren einer figuren¬<lb/> reichen Gruppe konnten die Mittel oder auch die Laune des Bestellers, die<lb/> Beschaffenheit des neuen Loeals, wofür die Copien bestimmt waren, leicht<lb/> veranlassen, daß man nur eine Auswahl traf, während es dagegen passend<lb/> scheinen konnte, wenn die Integrität der Gruppe einmal zerstört war, fremde<lb/> Bestandtheile, die aus mancherlei Gründen in den neuen Zusammenhang zu<lb/> passen schienen, anderswoher zu entlehnen. Es konnten endlich auch im ein¬<lb/> zelnen mit Absicht für die neue Aufstellung berechnete Veränderungen vor¬<lb/> genommen werden, ganz abgesehen von unwillkürlichen Abweichungen, welche<lb/> in der Auffassung und Fertigkeit des Copisten begründet waren; wiewohl<lb/> die Uebereinstimmung mehrerer Exemplare der einzelnen Statuen unterein¬<lb/> ander voraussetzen läßt, daß diese das Original im wesentlichen treu wieder¬<lb/> geben sollten. Die durch diese und ähnliche Betrachtungen angerathene Vor¬<lb/> sicht wird nur gesteigert durch eine genauere Betrachtung der in Rom zu¬<lb/> sammengefundenen Statuen. Daß sie nicht, wie man in der ersten Freude<lb/> wohl angenommen hatte, alle so ohne weiteres in der Niobidengruppe Platz<lb/> finden konnten, mußte bald einleuchten. Die Figur eines neben einem Fels¬<lb/> block aufwärts schreitenden, auf der Flucht sich umsehenden Knaben ist dop¬<lb/> pelt vorhanden, und die Annahme, daß beide in umgekehrter Ansicht in der¬<lb/> selben Gruppe aufgestellt gewesen wären, ist, wenn man auch dem Künstler<lb/> eine solche Dürftigkeit der Erfindung zutrauen wollte, schon deshalb unmög¬<lb/> lich, weil dann das einemal der rohe Felsblock die menschliche Gestalt so'<lb/> unschicklich als unschön verdecken würde. Das eine Exemplar hat also dieser<lb/> Gruppe nicht angehört. Aber auch andere Statuen sind ihr offenbar fremd.<lb/> Von dem schönen Paar jugendlicher Ringer, die auf der Erde knieend den<lb/> Kampf fortsetzen, hat man dies bald eingesehen. Ein Dichter konnte schildern,<lb/> wie die Niobiden in mannigfaltigen Uebungen der Palästra begriffen von den<lb/> tödtlichen Geschossen des Gottes überrascht wurden; der bildende Künstler<lb/> konnte einer Gruppe, welche den Untergang der Familie in verschiedenen<lb/> Nuancirungen des höchsten Pathos darstellte, nicht einzelne Glieder dersel¬<lb/> ben ganz unberührt von diesem Pathos, völlig von einer indifferenten Thätig¬<lb/> keit in Anspruch genommen, einverleiben, ohne die Einheit derselben aufzu¬<lb/> heben. Eine weibliche Gestalt ferner ist durch wohlerhaltene, nicht zu bezwei-<lb/> lelnde Wiederholungen als ein Mädchen, welches ein Wasserbecken vor sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
Also Mengs behält Recht, die florentiner Niobidengruppe kann keinen
Anspruch auf Originalität machen. Haben wir aber dafür durch die vatica-
nische Niobide eine um so zuverlässigere Garantie gewonnen, daß sie aus ein
Original der besten Zeit zurückgeht, so kann man ja mit um so größerer
Zuversicht die einzelnen Bestandtheile als schätzbares Material benutzen, um
die ursprüngliche Composition nach ihren wesentlichen Motiven zu recon-
struiren. Freilich ist dabei Vorsicht zu üben. Beim Copiren einer figuren¬
reichen Gruppe konnten die Mittel oder auch die Laune des Bestellers, die
Beschaffenheit des neuen Loeals, wofür die Copien bestimmt waren, leicht
veranlassen, daß man nur eine Auswahl traf, während es dagegen passend
scheinen konnte, wenn die Integrität der Gruppe einmal zerstört war, fremde
Bestandtheile, die aus mancherlei Gründen in den neuen Zusammenhang zu
passen schienen, anderswoher zu entlehnen. Es konnten endlich auch im ein¬
zelnen mit Absicht für die neue Aufstellung berechnete Veränderungen vor¬
genommen werden, ganz abgesehen von unwillkürlichen Abweichungen, welche
in der Auffassung und Fertigkeit des Copisten begründet waren; wiewohl
die Uebereinstimmung mehrerer Exemplare der einzelnen Statuen unterein¬
ander voraussetzen läßt, daß diese das Original im wesentlichen treu wieder¬
geben sollten. Die durch diese und ähnliche Betrachtungen angerathene Vor¬
sicht wird nur gesteigert durch eine genauere Betrachtung der in Rom zu¬
sammengefundenen Statuen. Daß sie nicht, wie man in der ersten Freude
wohl angenommen hatte, alle so ohne weiteres in der Niobidengruppe Platz
finden konnten, mußte bald einleuchten. Die Figur eines neben einem Fels¬
block aufwärts schreitenden, auf der Flucht sich umsehenden Knaben ist dop¬
pelt vorhanden, und die Annahme, daß beide in umgekehrter Ansicht in der¬
selben Gruppe aufgestellt gewesen wären, ist, wenn man auch dem Künstler
eine solche Dürftigkeit der Erfindung zutrauen wollte, schon deshalb unmög¬
lich, weil dann das einemal der rohe Felsblock die menschliche Gestalt so'
unschicklich als unschön verdecken würde. Das eine Exemplar hat also dieser
Gruppe nicht angehört. Aber auch andere Statuen sind ihr offenbar fremd.
Von dem schönen Paar jugendlicher Ringer, die auf der Erde knieend den
Kampf fortsetzen, hat man dies bald eingesehen. Ein Dichter konnte schildern,
wie die Niobiden in mannigfaltigen Uebungen der Palästra begriffen von den
tödtlichen Geschossen des Gottes überrascht wurden; der bildende Künstler
konnte einer Gruppe, welche den Untergang der Familie in verschiedenen
Nuancirungen des höchsten Pathos darstellte, nicht einzelne Glieder dersel¬
ben ganz unberührt von diesem Pathos, völlig von einer indifferenten Thätig¬
keit in Anspruch genommen, einverleiben, ohne die Einheit derselben aufzu¬
heben. Eine weibliche Gestalt ferner ist durch wohlerhaltene, nicht zu bezwei-
lelnde Wiederholungen als ein Mädchen, welches ein Wasserbecken vor sich
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