Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Rom die Niobegruppe eines der ersten Künstler, in Rom kommen Statuen Die wichtigste, eigentlich entscheidende Frage war die, ob die Statuen eine Rom die Niobegruppe eines der ersten Künstler, in Rom kommen Statuen Die wichtigste, eigentlich entscheidende Frage war die, ob die Statuen eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117623"/> <p xml:id="ID_297" prev="#ID_296"> Rom die Niobegruppe eines der ersten Künstler, in Rom kommen Statuen<lb/> einer vortrefflichen Niobegruppe zum Vorschein, also sind beide identisch.<lb/> Bei ruhiger Betrachtung mußten sich dagegen Bedenken erheben, welche durch<lb/> neue Entdeckungen stets verstärkt wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_298"> Die wichtigste, eigentlich entscheidende Frage war die, ob die Statuen eine<lb/> Vollendung auch der technischen Ausführung zeigen, wie man sie bei Skopas<lb/> oder Praxiteles voraussetzen muß; die Frage, welche Mengs so entschieden<lb/> verneinte. Allmählich kamen nun fast von allen einzelnen Statuen Wieder¬<lb/> holungen zum Vorschein, bald vollständig bald theilweise erhalten, aber den<lb/> schon bekannten so genau entsprechend, daß nicht zweifelhaft bleiben konnte, es<lb/> handele sich um Wiederholung derselben Conception. Dadurch war nun freilich<lb/> eine erfreuliche Bestätigung der Voraussetzung eines berühmten Originals<lb/> gewonnen, da nur ein solches so vielfach copirt wurde; allein die neu auf¬<lb/> gefundenen Statuen und Bruchstücke standen den früheren in technischer Hinsicht<lb/> keineswegs nach, manche übertrafen sie eher, wenigstens schwankte bei der Ent¬<lb/> scheidung, wo Original, wo Copie zu erkennen sei, in n.icht wenigen Fällen das<lb/> Urtheil. Neuerdings ist man aber auf eine Wiederholung der zweiten eilig fliehen¬<lb/> den Tochter aufmerksam geworden, welche diese Frage entscheidet. Es ist ein<lb/> Torso im vatikanischen Museum, dem leider der Kopf und zum Theil die<lb/> Arme fehlen, indeß zeigt die Uebereinstimmung mit der besser erhaltenen flo-<lb/> rentiner Statue völlige Uebereinstimmung in der Conception und den Mo¬<lb/> tiven. Aber welch ein Unterschied in der Ausführung! Hier im Faltenwurf<lb/> des von der stürmischen Flucht gepeitschten Gewandes, in den Formen des<lb/> klar hervortretenden Körpers, im ganzen Zuge der von Todesangst getrie¬<lb/> benen Bewegung, lebendige Wahrheit, Kraft und Fülle, Einfachheit und<lb/> Größe, die unmittelbar ergreift und durch steigende Bewunderung fesselt,<lb/> dort Sorgfalt im kleinen, zierliche Eleganz ohne Leben und Schwung: kurz,<lb/> hier griechische Kunst, dort römische Technik. Gilt es hier die Frage, wo<lb/> der berechtigte Anspruch, für ein Original zu gelten, erhoben werde, so ist<lb/> die Entscheidung nicht schwer. Und diese Überlegenheit, welche den durch¬<lb/> schlagenden Unterschied zwischen griechischer und römischer Kunst deutlich vor<lb/> Augen stellt, auch nur einer Statue der Niobegruppe gegenüber, stellt es un-<lb/> widersprechlich fest, daß bei diesem ganzen Statuenverein von einem Anspruch<lb/> auf Originalität, von unmittelbarer Herleitung aus der Zeit des Skopas<lb/> und Praxiteles nicht die Rede sein kann. Und bei der Anschauung, welche<lb/> wir von griechischer Kunst allmählich gewonnen haben, kann man auch den<lb/> vaticanischen Torso nicht als ein Original jener Zeit und jener Künstler an¬<lb/> sehen; auch er kann nur als eine Copie gelten, allein als eine Copie, die<lb/> wahrscheinlich der Zeit, gewiß dem Geist und der Ausführung nach dem<lb/> Original unendlich viel näher steht als die florentinische Statue.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Rom die Niobegruppe eines der ersten Künstler, in Rom kommen Statuen
einer vortrefflichen Niobegruppe zum Vorschein, also sind beide identisch.
Bei ruhiger Betrachtung mußten sich dagegen Bedenken erheben, welche durch
neue Entdeckungen stets verstärkt wurden.
Die wichtigste, eigentlich entscheidende Frage war die, ob die Statuen eine
Vollendung auch der technischen Ausführung zeigen, wie man sie bei Skopas
oder Praxiteles voraussetzen muß; die Frage, welche Mengs so entschieden
verneinte. Allmählich kamen nun fast von allen einzelnen Statuen Wieder¬
holungen zum Vorschein, bald vollständig bald theilweise erhalten, aber den
schon bekannten so genau entsprechend, daß nicht zweifelhaft bleiben konnte, es
handele sich um Wiederholung derselben Conception. Dadurch war nun freilich
eine erfreuliche Bestätigung der Voraussetzung eines berühmten Originals
gewonnen, da nur ein solches so vielfach copirt wurde; allein die neu auf¬
gefundenen Statuen und Bruchstücke standen den früheren in technischer Hinsicht
keineswegs nach, manche übertrafen sie eher, wenigstens schwankte bei der Ent¬
scheidung, wo Original, wo Copie zu erkennen sei, in n.icht wenigen Fällen das
Urtheil. Neuerdings ist man aber auf eine Wiederholung der zweiten eilig fliehen¬
den Tochter aufmerksam geworden, welche diese Frage entscheidet. Es ist ein
Torso im vatikanischen Museum, dem leider der Kopf und zum Theil die
Arme fehlen, indeß zeigt die Uebereinstimmung mit der besser erhaltenen flo-
rentiner Statue völlige Uebereinstimmung in der Conception und den Mo¬
tiven. Aber welch ein Unterschied in der Ausführung! Hier im Faltenwurf
des von der stürmischen Flucht gepeitschten Gewandes, in den Formen des
klar hervortretenden Körpers, im ganzen Zuge der von Todesangst getrie¬
benen Bewegung, lebendige Wahrheit, Kraft und Fülle, Einfachheit und
Größe, die unmittelbar ergreift und durch steigende Bewunderung fesselt,
dort Sorgfalt im kleinen, zierliche Eleganz ohne Leben und Schwung: kurz,
hier griechische Kunst, dort römische Technik. Gilt es hier die Frage, wo
der berechtigte Anspruch, für ein Original zu gelten, erhoben werde, so ist
die Entscheidung nicht schwer. Und diese Überlegenheit, welche den durch¬
schlagenden Unterschied zwischen griechischer und römischer Kunst deutlich vor
Augen stellt, auch nur einer Statue der Niobegruppe gegenüber, stellt es un-
widersprechlich fest, daß bei diesem ganzen Statuenverein von einem Anspruch
auf Originalität, von unmittelbarer Herleitung aus der Zeit des Skopas
und Praxiteles nicht die Rede sein kann. Und bei der Anschauung, welche
wir von griechischer Kunst allmählich gewonnen haben, kann man auch den
vaticanischen Torso nicht als ein Original jener Zeit und jener Künstler an¬
sehen; auch er kann nur als eine Copie gelten, allein als eine Copie, die
wahrscheinlich der Zeit, gewiß dem Geist und der Ausführung nach dem
Original unendlich viel näher steht als die florentinische Statue.
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