Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.blicke an, daß Oestreich nicht mehr der Concordatsstaat geschimpft werden blicke an, daß Oestreich nicht mehr der Concordatsstaat geschimpft werden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117612"/> <p xml:id="ID_263" prev="#ID_262" next="#ID_264"> blicke an, daß Oestreich nicht mehr der Concordatsstaat geschimpft werden<lb/> kann, den Beginn einer neuen ruhmreichen Zeit rechnet. Daher auch die<lb/> leidenschaftliche Opposition der Bischöfe und ihrer Verbündeten, welchen der<lb/> gesetzliche Boden ihrer unbeschränkten Macht entzogen wird. Aber thatsächlich<lb/> wird doch nur eine Bestimmung des Concordats verändert, genießt die Wohlthat<lb/> des neuen Gesetzes nur ein verhältnißmäßig kleiner Bruchtheil der Bevölkerung,<lb/> der Mischehen schließt oder in Ehesachen eine gerichtliche Entscheidung anrufen<lb/> muß. Die unbedingte Unterwerfung der ehelichen Verhältnisse unter die<lb/> Satzungen der Kirche widersprach den herrschenden Anschauungen, verletzte<lb/> da und dort das sittliche Gefühl, den eigentlichen Nothstand bildet aber die<lb/> Herrschaft der Kirche in der Schule, ihre absolute Gewalt über ihre unterge¬<lb/> ordneten Glieder und Diener. Nichts ist dringender als eine Reform der Schul¬<lb/> verfassung, aber auch nichts schwieriger. Bei der jetzt in Oestreich dominiren-<lb/> den Stimmung und Strömung wird es Mühe kosten, die radicalen Halb-<lb/> wisser unter den Schullehrern, die den einen und den andren Brocken aus<lb/> der modernen Wissenschaft aufgegriffen haben, nicht die Kraft besitzen sich<lb/> fortzubilden, aber nur desto hochmüthiger auf die Welt herabsehen, bei Seite<lb/> zu schieben. Sie werden sich in hellen Haufen herandrängen, um das Ho¬<lb/> norar für das unter dem Joche des Concordats erlittene Martyrium zu em¬<lb/> pfangen. Das Verhältniß der Lehrer zu den Ortspfarrern war nicht überall<lb/> ein herzliches gewesen. Es steht aber zu fürchten, daß dasselbe auf dem Lande<lb/> in den entlegenen Provinzen zu den Gemeinderäthen sich nicht viel freund¬<lb/> licher gestalten werde. Haben Pfarrer und Kaplan den Lehrer moralisch ge¬<lb/> drückt, so wird der Gemeinderath ihn häufig materielle Noth dulden lassen,<lb/> nicht in Wien, nicht in Graz und in Brunn, wohl aber in den Districten,<lb/> in welchen das Schulgeld als die lästigste und überflüssigste Ausgabe, die ein<lb/> ehrlicher Bauer zu zahlen habe, erachtet wird. Der Unterrichtsminister<lb/> Hafner ist kein Himmelsstürmer, seine frühere Vorliebe für Hegel machte sich<lb/> mehr in seiner Ausdrucksweise als in seinem Denksystem geltend. Er wird<lb/> der Behauptung schwerlich widersprechen, daß auf dem platten Lande trotz alle-<lb/> dem der Pfarrer die idealen Interessen am besten vertritt, und wenn er sich<lb/> auch Rechte über den Schullehrer anmaßt, doch die Rechte der Schule gegenüber<lb/> dem Landvolk am kräftigsten vertritt. Hafner hat auch den confessionellen<lb/> Charakter der Volksschule aufrecht erhalten, und von der Mittelschule nicht<lb/> ausgeschlossen, was freilich schlimmer ist, weil es zu Streit Anlaß gibt, als<lb/> wenn er ihn offen ausgesprochen hätte. Das wagte er aber nicht; und darin,<lb/> in der Furcht, auf einer der beiden Seiten anzustoßen, liegt die Hauptschwäche<lb/> der liberalen Schulreform. Es wird nicht lange währen und die in Schul-<lb/> und Kirchenfragen überaus zahlreiche radicale Partei wird neue Klagen über<lb/> Bedrückung und Knechtung der Schule ausstoßen; wenn aber das liberale</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
blicke an, daß Oestreich nicht mehr der Concordatsstaat geschimpft werden
kann, den Beginn einer neuen ruhmreichen Zeit rechnet. Daher auch die
leidenschaftliche Opposition der Bischöfe und ihrer Verbündeten, welchen der
gesetzliche Boden ihrer unbeschränkten Macht entzogen wird. Aber thatsächlich
wird doch nur eine Bestimmung des Concordats verändert, genießt die Wohlthat
des neuen Gesetzes nur ein verhältnißmäßig kleiner Bruchtheil der Bevölkerung,
der Mischehen schließt oder in Ehesachen eine gerichtliche Entscheidung anrufen
muß. Die unbedingte Unterwerfung der ehelichen Verhältnisse unter die
Satzungen der Kirche widersprach den herrschenden Anschauungen, verletzte
da und dort das sittliche Gefühl, den eigentlichen Nothstand bildet aber die
Herrschaft der Kirche in der Schule, ihre absolute Gewalt über ihre unterge¬
ordneten Glieder und Diener. Nichts ist dringender als eine Reform der Schul¬
verfassung, aber auch nichts schwieriger. Bei der jetzt in Oestreich dominiren-
den Stimmung und Strömung wird es Mühe kosten, die radicalen Halb-
wisser unter den Schullehrern, die den einen und den andren Brocken aus
der modernen Wissenschaft aufgegriffen haben, nicht die Kraft besitzen sich
fortzubilden, aber nur desto hochmüthiger auf die Welt herabsehen, bei Seite
zu schieben. Sie werden sich in hellen Haufen herandrängen, um das Ho¬
norar für das unter dem Joche des Concordats erlittene Martyrium zu em¬
pfangen. Das Verhältniß der Lehrer zu den Ortspfarrern war nicht überall
ein herzliches gewesen. Es steht aber zu fürchten, daß dasselbe auf dem Lande
in den entlegenen Provinzen zu den Gemeinderäthen sich nicht viel freund¬
licher gestalten werde. Haben Pfarrer und Kaplan den Lehrer moralisch ge¬
drückt, so wird der Gemeinderath ihn häufig materielle Noth dulden lassen,
nicht in Wien, nicht in Graz und in Brunn, wohl aber in den Districten,
in welchen das Schulgeld als die lästigste und überflüssigste Ausgabe, die ein
ehrlicher Bauer zu zahlen habe, erachtet wird. Der Unterrichtsminister
Hafner ist kein Himmelsstürmer, seine frühere Vorliebe für Hegel machte sich
mehr in seiner Ausdrucksweise als in seinem Denksystem geltend. Er wird
der Behauptung schwerlich widersprechen, daß auf dem platten Lande trotz alle-
dem der Pfarrer die idealen Interessen am besten vertritt, und wenn er sich
auch Rechte über den Schullehrer anmaßt, doch die Rechte der Schule gegenüber
dem Landvolk am kräftigsten vertritt. Hafner hat auch den confessionellen
Charakter der Volksschule aufrecht erhalten, und von der Mittelschule nicht
ausgeschlossen, was freilich schlimmer ist, weil es zu Streit Anlaß gibt, als
wenn er ihn offen ausgesprochen hätte. Das wagte er aber nicht; und darin,
in der Furcht, auf einer der beiden Seiten anzustoßen, liegt die Hauptschwäche
der liberalen Schulreform. Es wird nicht lange währen und die in Schul-
und Kirchenfragen überaus zahlreiche radicale Partei wird neue Klagen über
Bedrückung und Knechtung der Schule ausstoßen; wenn aber das liberale
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