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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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übrigen wichtigeren Forderungen der Nothwendigkeit Rechnung getragen
werde ohne Rücksicht auf die zu bringenden Opfer. Trotz des festen Zu¬
sammenstehens sämmtlicher zum Herrenhause gehöriger Prälaten, trotz der
verzweifelten Anstrengungen der Leo Thun, Blome, Mensdorff u. s. w. ist die
Majorität, welche auf sofortiger Annahme der Regierungsvorlage bestand, eine
beträchtlichere gewesen, als sich irgend erwarten ließ. Größere praktische
Schwierigkeiten wird es freilich mit dem Unterrichtsgesetz haben, wenn auch
nicht in der Kammer, so doch in der Praxis. Obgleich wir wissen, daß die'
nothwendigen Kräfte zur Uebernahme des Volksunterrichts zur Zeit noch
fehlen, daß sich die Mittel zur Erhaltung derselben für den Fall fortgesetzten
Uebelwollens der katholischen Geistlichen nur sehr schwer beschaffen lassen
werden, haben wir doch die Hoffnung, das neu gekräftigte Selbstvertrauen
der Deutsch-Oestreicher werde den kräftigen Worten, welche die Schmerling,
Auersperg, Giskra u. s. w. gesprochen, auch die entsprechenden opferbereiten
Thaten folgen lassen und dadurch besiegeln, daß die Oestreicher als Deutsche
für ihre idealen Bedürfnisse zu großen Opfern bereit sind.

Wenn Oestreichs innere Entwickelung Fortschritte machte, so sind die¬
selben in der Regel dazu ausgebeutet worden, die preußenfeindliche Agitation
in Deutschland zu schüren und von der Nothwendigkeit der Wiederherstellung
der östreichischen Suprematie zu fabeln. Im vorliegenden Fall wird die
Wiederaufnahme dieses alten Spiels nicht zu fürchten sein. Oestreichs wirk¬
liche und einflußreiche Bundesgenossen im Reich sind nie Freunde des öst¬
reichischen Volkes, sondern nur Anhänger des alten Systems gewesen, an
dessen Spitze die Nothwendigkeit der Unterwerfung unter die Curie ge¬
schrieben war; der Rest bestand aus unklaren Schwärmern und solchen
Leuten, welche ihren Haß gegen Preußen auf irgend einen bekannten
Namen tauften, um die absolute Zuchtlosigkeit ihrer radicalen Gelüste zu
maskiren. Diese letzteren werden allerdings proclamiren, seit Oestreich das
Concordat losgeworden, sei die Wiederherstellung seiner früheren deutschen
Stellung zur heiligsten Pflicht geworden. Aber nicht auf sie, sondern auf die
Kirchenfürsten am Rhein und Jsar, die ultramontanen Heerführer in Bayern
und Baden, hat Oestreichs Einfluß sich gestützt, und diese fühlen sich durch
die Aufkündigung des Pflichtverhältnisses gegen Rom mindestens ebenso
schwer verletzt, wie der Fürstbischof Rauscher und dessen Genossen. Der Ultra¬
montanismus, den wir noch jüngst im Süden des Main eine lange Reihe
von Triumphen feiern sahen, verliert an Oestreich den ältesten und bewähr¬
testen Verbündeten, den festen Platz, in den er sich zurückziehen konnte, wenn
er auf offenem Felde geschlagen wurde. Was an erhöhtem Einfluß auf die
großdeutsche Demokratie östreichischerseits gewonnen worden, ist nach anderer
und wichtigerer Seite verloren worden. Löst sich das Band, welches die


übrigen wichtigeren Forderungen der Nothwendigkeit Rechnung getragen
werde ohne Rücksicht auf die zu bringenden Opfer. Trotz des festen Zu¬
sammenstehens sämmtlicher zum Herrenhause gehöriger Prälaten, trotz der
verzweifelten Anstrengungen der Leo Thun, Blome, Mensdorff u. s. w. ist die
Majorität, welche auf sofortiger Annahme der Regierungsvorlage bestand, eine
beträchtlichere gewesen, als sich irgend erwarten ließ. Größere praktische
Schwierigkeiten wird es freilich mit dem Unterrichtsgesetz haben, wenn auch
nicht in der Kammer, so doch in der Praxis. Obgleich wir wissen, daß die'
nothwendigen Kräfte zur Uebernahme des Volksunterrichts zur Zeit noch
fehlen, daß sich die Mittel zur Erhaltung derselben für den Fall fortgesetzten
Uebelwollens der katholischen Geistlichen nur sehr schwer beschaffen lassen
werden, haben wir doch die Hoffnung, das neu gekräftigte Selbstvertrauen
der Deutsch-Oestreicher werde den kräftigen Worten, welche die Schmerling,
Auersperg, Giskra u. s. w. gesprochen, auch die entsprechenden opferbereiten
Thaten folgen lassen und dadurch besiegeln, daß die Oestreicher als Deutsche
für ihre idealen Bedürfnisse zu großen Opfern bereit sind.

Wenn Oestreichs innere Entwickelung Fortschritte machte, so sind die¬
selben in der Regel dazu ausgebeutet worden, die preußenfeindliche Agitation
in Deutschland zu schüren und von der Nothwendigkeit der Wiederherstellung
der östreichischen Suprematie zu fabeln. Im vorliegenden Fall wird die
Wiederaufnahme dieses alten Spiels nicht zu fürchten sein. Oestreichs wirk¬
liche und einflußreiche Bundesgenossen im Reich sind nie Freunde des öst¬
reichischen Volkes, sondern nur Anhänger des alten Systems gewesen, an
dessen Spitze die Nothwendigkeit der Unterwerfung unter die Curie ge¬
schrieben war; der Rest bestand aus unklaren Schwärmern und solchen
Leuten, welche ihren Haß gegen Preußen auf irgend einen bekannten
Namen tauften, um die absolute Zuchtlosigkeit ihrer radicalen Gelüste zu
maskiren. Diese letzteren werden allerdings proclamiren, seit Oestreich das
Concordat losgeworden, sei die Wiederherstellung seiner früheren deutschen
Stellung zur heiligsten Pflicht geworden. Aber nicht auf sie, sondern auf die
Kirchenfürsten am Rhein und Jsar, die ultramontanen Heerführer in Bayern
und Baden, hat Oestreichs Einfluß sich gestützt, und diese fühlen sich durch
die Aufkündigung des Pflichtverhältnisses gegen Rom mindestens ebenso
schwer verletzt, wie der Fürstbischof Rauscher und dessen Genossen. Der Ultra¬
montanismus, den wir noch jüngst im Süden des Main eine lange Reihe
von Triumphen feiern sahen, verliert an Oestreich den ältesten und bewähr¬
testen Verbündeten, den festen Platz, in den er sich zurückziehen konnte, wenn
er auf offenem Felde geschlagen wurde. Was an erhöhtem Einfluß auf die
großdeutsche Demokratie östreichischerseits gewonnen worden, ist nach anderer
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[0008] übrigen wichtigeren Forderungen der Nothwendigkeit Rechnung getragen werde ohne Rücksicht auf die zu bringenden Opfer. Trotz des festen Zu¬ sammenstehens sämmtlicher zum Herrenhause gehöriger Prälaten, trotz der verzweifelten Anstrengungen der Leo Thun, Blome, Mensdorff u. s. w. ist die Majorität, welche auf sofortiger Annahme der Regierungsvorlage bestand, eine beträchtlichere gewesen, als sich irgend erwarten ließ. Größere praktische Schwierigkeiten wird es freilich mit dem Unterrichtsgesetz haben, wenn auch nicht in der Kammer, so doch in der Praxis. Obgleich wir wissen, daß die' nothwendigen Kräfte zur Uebernahme des Volksunterrichts zur Zeit noch fehlen, daß sich die Mittel zur Erhaltung derselben für den Fall fortgesetzten Uebelwollens der katholischen Geistlichen nur sehr schwer beschaffen lassen werden, haben wir doch die Hoffnung, das neu gekräftigte Selbstvertrauen der Deutsch-Oestreicher werde den kräftigen Worten, welche die Schmerling, Auersperg, Giskra u. s. w. gesprochen, auch die entsprechenden opferbereiten Thaten folgen lassen und dadurch besiegeln, daß die Oestreicher als Deutsche für ihre idealen Bedürfnisse zu großen Opfern bereit sind. Wenn Oestreichs innere Entwickelung Fortschritte machte, so sind die¬ selben in der Regel dazu ausgebeutet worden, die preußenfeindliche Agitation in Deutschland zu schüren und von der Nothwendigkeit der Wiederherstellung der östreichischen Suprematie zu fabeln. Im vorliegenden Fall wird die Wiederaufnahme dieses alten Spiels nicht zu fürchten sein. Oestreichs wirk¬ liche und einflußreiche Bundesgenossen im Reich sind nie Freunde des öst¬ reichischen Volkes, sondern nur Anhänger des alten Systems gewesen, an dessen Spitze die Nothwendigkeit der Unterwerfung unter die Curie ge¬ schrieben war; der Rest bestand aus unklaren Schwärmern und solchen Leuten, welche ihren Haß gegen Preußen auf irgend einen bekannten Namen tauften, um die absolute Zuchtlosigkeit ihrer radicalen Gelüste zu maskiren. Diese letzteren werden allerdings proclamiren, seit Oestreich das Concordat losgeworden, sei die Wiederherstellung seiner früheren deutschen Stellung zur heiligsten Pflicht geworden. Aber nicht auf sie, sondern auf die Kirchenfürsten am Rhein und Jsar, die ultramontanen Heerführer in Bayern und Baden, hat Oestreichs Einfluß sich gestützt, und diese fühlen sich durch die Aufkündigung des Pflichtverhältnisses gegen Rom mindestens ebenso schwer verletzt, wie der Fürstbischof Rauscher und dessen Genossen. Der Ultra¬ montanismus, den wir noch jüngst im Süden des Main eine lange Reihe von Triumphen feiern sahen, verliert an Oestreich den ältesten und bewähr¬ testen Verbündeten, den festen Platz, in den er sich zurückziehen konnte, wenn er auf offenem Felde geschlagen wurde. Was an erhöhtem Einfluß auf die großdeutsche Demokratie östreichischerseits gewonnen worden, ist nach anderer und wichtigerer Seite verloren worden. Löst sich das Band, welches die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/8>, abgerufen am 15.01.2025.