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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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mehr Zeit geraubt, als dem Schüler durch das Auswendiglernen, welches in
allen Stücken wörtlich sein mußte. Man hatte daher auch zeitweilig in
manchen Schulen das Amt des Ueberhörens selbst wieder Schülern aufge¬
tragen, den sogenannten Decurionen, die dann ihrerseits selbst wieder dem
Lehrer aussagen mußten und denen es auch oblag, die Aufgaben der Schüler
einzusammeln u. s. w. Die Decurionen -führten überhaupt gleich andern
Schülern, welche in Folge eines zu diesem Zwecke veranstalteten Preisarbei-
tens dazu aufgestellt waren (NiigistiÄtus), ein gewisses Aufsichtsrecht. Außer¬
dem hatten sie bei den zahlreichen Wiederholungen des Erlernten (welche
täglich über das am Tage vorher Durchgegangene, dann allwöchentlich einmal
über das in einer Woche Vorgetragene, und außerdem gewöhnlich am Schluß
eines jeden Semesters stattfanden), den sogenannten RePetitionen, in der
Art zu interveniren, daß sie den Fehlenden verbesserten, oder selbst Antwort
gaben, wenn sie der Gefragte nicht schnell genug zu geben vermochte. So
gestaltete sich die Repetitio zu einer neuen, in den Jesuitenschulen hochge¬
haltenen Uebung, der sogenannten Concertatio. Weil man diese für die
Aneiferung der Jugend wichtig hielt, wurde sie bei jeder Gelegenheit und
auf alle mögliche Weise in allen Classen abgehalten. Alljährlich einmal fand
diese Uebung eine Stunde lang unter Leitung der Lehrer zwischen Schülern
verschiedener Classen auf feierliche Weise statt. Die Concertationen näherten
sich dadurch wieder den besprochenen Academien und Deklamationen, mit
denen sie auch in der Tendenz übereinkämen, durch die Fähigkeiten und Lei¬
stungen der Schüler zu prunken. Mehr als 180 Schultage gab es in den
Jesuitenschulen nirgend; rechnet man von denselben die ausschließlich der
RePetition und Concertation zugewiesenen Samstage ab, so bleiben, ganz
abgesehen von anderen zu ähnlichen Uebungen bestimmten Tagen, abgesehen
ferner von den Tagen und Wochen, welche mit Vorbereitungen auf Acade¬
mien und Comödien vergeudet wurden, im ganzen Jahre höchstens 134 Tage
übrig, welche dem Unterricht im Latein gewidmet werden konnten. Wir
sagen im Latein, denn wie der Unterricht in den andern Fächern in jeder
Beziehung armselig war, so war auch die diesen zugewiesene Stundenzahl
verschwindend klein. Selbst dem Katechismus war auffallender Weise nur
eine ganz kleine Stundenzahl zugewiesen, obwohl natürlich sonst auf die
Religion ein gebührendes Augenmerk verwendet wurde. Hierauf, sowie auf
die Mittel einzugehen, durch welche die Jesuitenschulen die Religiosität zu
fördern suchten, liegt außerhalb des Bereichs dieser Darstellung, die nur die
wissenschaftliche Seite des Gymnasialunterrichts der Jesuiten ins Auge fassen
wollte.




mehr Zeit geraubt, als dem Schüler durch das Auswendiglernen, welches in
allen Stücken wörtlich sein mußte. Man hatte daher auch zeitweilig in
manchen Schulen das Amt des Ueberhörens selbst wieder Schülern aufge¬
tragen, den sogenannten Decurionen, die dann ihrerseits selbst wieder dem
Lehrer aussagen mußten und denen es auch oblag, die Aufgaben der Schüler
einzusammeln u. s. w. Die Decurionen -führten überhaupt gleich andern
Schülern, welche in Folge eines zu diesem Zwecke veranstalteten Preisarbei-
tens dazu aufgestellt waren (NiigistiÄtus), ein gewisses Aufsichtsrecht. Außer¬
dem hatten sie bei den zahlreichen Wiederholungen des Erlernten (welche
täglich über das am Tage vorher Durchgegangene, dann allwöchentlich einmal
über das in einer Woche Vorgetragene, und außerdem gewöhnlich am Schluß
eines jeden Semesters stattfanden), den sogenannten RePetitionen, in der
Art zu interveniren, daß sie den Fehlenden verbesserten, oder selbst Antwort
gaben, wenn sie der Gefragte nicht schnell genug zu geben vermochte. So
gestaltete sich die Repetitio zu einer neuen, in den Jesuitenschulen hochge¬
haltenen Uebung, der sogenannten Concertatio. Weil man diese für die
Aneiferung der Jugend wichtig hielt, wurde sie bei jeder Gelegenheit und
auf alle mögliche Weise in allen Classen abgehalten. Alljährlich einmal fand
diese Uebung eine Stunde lang unter Leitung der Lehrer zwischen Schülern
verschiedener Classen auf feierliche Weise statt. Die Concertationen näherten
sich dadurch wieder den besprochenen Academien und Deklamationen, mit
denen sie auch in der Tendenz übereinkämen, durch die Fähigkeiten und Lei¬
stungen der Schüler zu prunken. Mehr als 180 Schultage gab es in den
Jesuitenschulen nirgend; rechnet man von denselben die ausschließlich der
RePetition und Concertation zugewiesenen Samstage ab, so bleiben, ganz
abgesehen von anderen zu ähnlichen Uebungen bestimmten Tagen, abgesehen
ferner von den Tagen und Wochen, welche mit Vorbereitungen auf Acade¬
mien und Comödien vergeudet wurden, im ganzen Jahre höchstens 134 Tage
übrig, welche dem Unterricht im Latein gewidmet werden konnten. Wir
sagen im Latein, denn wie der Unterricht in den andern Fächern in jeder
Beziehung armselig war, so war auch die diesen zugewiesene Stundenzahl
verschwindend klein. Selbst dem Katechismus war auffallender Weise nur
eine ganz kleine Stundenzahl zugewiesen, obwohl natürlich sonst auf die
Religion ein gebührendes Augenmerk verwendet wurde. Hierauf, sowie auf
die Mittel einzugehen, durch welche die Jesuitenschulen die Religiosität zu
fördern suchten, liegt außerhalb des Bereichs dieser Darstellung, die nur die
wissenschaftliche Seite des Gymnasialunterrichts der Jesuiten ins Auge fassen
wollte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/64>, abgerufen am 15.01.2025.