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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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schaft zu setzen", sollte ferner nach der Reform in der sechsten Classe "die
Arithmetica ordnungsmäßig tractirt werden". In welch'armseliger, un¬
wissenschaftlicher Weise aber dieses geschah, davon geben uns wieder die
Lehrbücher ein trauriges Zeugniß.

Der Unterricht in der Muttersprache und ihrer Literatur war,
obwohl er durch die Reform vom Jahre 1733, Absatz 9 angeordnet war,
aus dem Gymnasium ebenso verbannt, wie bei der Vorbildung der Lehrer.
Als Unterrichtssprache wurde das Deutsche nur so weit benutzt, als es un¬
umgänglich nöthig war, und der Schüler verließ häufig die Schule nicht nur
mit völliger Unkenntniß, sondern sogar mit Haß gegen seine Nationalliteratur
erfüllt. Er hatte sich nicht einmal eine genügende praktische Kenntniß der
deutschen Sprache erworben und entbehrte so jenes Wissens, welches er im
späteren Leben, er mochte sich welchem Berufe immer zuwenden, jedenfalls
bedürfte. Aber was kümmerte sich der Rector um die Bedürfnisse der außer¬
halb des Ordens Stehenden, was kümmerte er sich um das, was durch das
Interesse des Staates dringend geboten war.

Auch das Studium neuerer Sprachen und ihrer Literaturen wurde
unterdrückt. Der ganze Unterricht ging also eigentlich in einer
Unterweisung in der lateinischen Sprache, verbunden mit einer
in jeder Beziehung armseligen Mittheilung etlicher histori¬
scher Thatsachen, sowie in einer Unterweisung im Katechis¬
mus auf.

In diesen Lehrgegenständen wurden denn auch allein Aeademien, von
denen bereits gehandelt ist, abgehalten. Für sie allein, oft sogar nur sür
die beiden erstgenannten, wurden Preise vertheilt. Eine alte Einrichtung
bestimmte nämlich, daß, abgesehen von Belohnungen, welche fleißige Schüler
Während des Jahres zur Aufmunterung erhalten konnten, alljährlich einmal
in jeder Schule die Schüler, welche in den genannten Fächern die meisten
Fortschritte gemacht hatten, durch Preise öffentlich ausgezeichnet werden soll¬
ten. Um diese tüchtigsten Schüler festzustellen, wurden an bestimmten Tagen
in allen Classen unter strenger Aufsicht aus den genannten Fächern Arbeiten
gefertigt, welche der Lehrer zu corrigiren und nach welchen er die Schüler zu
classifiziren hatte. Das waren die sogenannten Lorixtiones oder ^rgu-
inentg., wohl zu unterscheiden von den schriftlichen Aufgaben, welche die
Schüler aus denselben Fächern zu Hause zu verfertigen hatten. Auch zu
Hause hatte der Schüler Arbeiten zu liefern, die meiste Zeit mußte aber hier
auf Memoriren der Regeln u. s. w. verwendet werden. Trotz der Reform
von 1753, welche davor warnte, "die Jugend mit unnützen auswendig ler¬
nen zu beschweren", spielte dieses im jesuitischen Unterrichtssystem die größte
Rolle. Dem Lehrer wurde durch Abhören des Memorirten beinahe noch


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schaft zu setzen", sollte ferner nach der Reform in der sechsten Classe „die
Arithmetica ordnungsmäßig tractirt werden". In welch'armseliger, un¬
wissenschaftlicher Weise aber dieses geschah, davon geben uns wieder die
Lehrbücher ein trauriges Zeugniß.

Der Unterricht in der Muttersprache und ihrer Literatur war,
obwohl er durch die Reform vom Jahre 1733, Absatz 9 angeordnet war,
aus dem Gymnasium ebenso verbannt, wie bei der Vorbildung der Lehrer.
Als Unterrichtssprache wurde das Deutsche nur so weit benutzt, als es un¬
umgänglich nöthig war, und der Schüler verließ häufig die Schule nicht nur
mit völliger Unkenntniß, sondern sogar mit Haß gegen seine Nationalliteratur
erfüllt. Er hatte sich nicht einmal eine genügende praktische Kenntniß der
deutschen Sprache erworben und entbehrte so jenes Wissens, welches er im
späteren Leben, er mochte sich welchem Berufe immer zuwenden, jedenfalls
bedürfte. Aber was kümmerte sich der Rector um die Bedürfnisse der außer¬
halb des Ordens Stehenden, was kümmerte er sich um das, was durch das
Interesse des Staates dringend geboten war.

Auch das Studium neuerer Sprachen und ihrer Literaturen wurde
unterdrückt. Der ganze Unterricht ging also eigentlich in einer
Unterweisung in der lateinischen Sprache, verbunden mit einer
in jeder Beziehung armseligen Mittheilung etlicher histori¬
scher Thatsachen, sowie in einer Unterweisung im Katechis¬
mus auf.

In diesen Lehrgegenständen wurden denn auch allein Aeademien, von
denen bereits gehandelt ist, abgehalten. Für sie allein, oft sogar nur sür
die beiden erstgenannten, wurden Preise vertheilt. Eine alte Einrichtung
bestimmte nämlich, daß, abgesehen von Belohnungen, welche fleißige Schüler
Während des Jahres zur Aufmunterung erhalten konnten, alljährlich einmal
in jeder Schule die Schüler, welche in den genannten Fächern die meisten
Fortschritte gemacht hatten, durch Preise öffentlich ausgezeichnet werden soll¬
ten. Um diese tüchtigsten Schüler festzustellen, wurden an bestimmten Tagen
in allen Classen unter strenger Aufsicht aus den genannten Fächern Arbeiten
gefertigt, welche der Lehrer zu corrigiren und nach welchen er die Schüler zu
classifiziren hatte. Das waren die sogenannten Lorixtiones oder ^rgu-
inentg., wohl zu unterscheiden von den schriftlichen Aufgaben, welche die
Schüler aus denselben Fächern zu Hause zu verfertigen hatten. Auch zu
Hause hatte der Schüler Arbeiten zu liefern, die meiste Zeit mußte aber hier
auf Memoriren der Regeln u. s. w. verwendet werden. Trotz der Reform
von 1753, welche davor warnte, „die Jugend mit unnützen auswendig ler¬
nen zu beschweren", spielte dieses im jesuitischen Unterrichtssystem die größte
Rolle. Dem Lehrer wurde durch Abhören des Memorirten beinahe noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/63>, abgerufen am 15.01.2025.