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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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In der vierten Classe, der Syntax, wurde die LMaxis ornata, zu Ende
geführt und außerdem der Unterricht in der Poesie begonnen, neben welchem
die Lecture Ciceros alö otüeiis und einiger Elegien Ovids einher ging.

Hatte der Schüler diese vier Grammatikalelassen hinter sich, "hatte
er", wie die Reform sagt, "ehevor in se^lo kxiLtMri und Kistorieo seine
Fertigkeit gezeiget", so kam er in die fünfte Classe, die Poetik. In dieser
ersten Humanitätsclasse erhielt der Schüler nach einem unter dem Namen
ars miztriea, bekannten Schulbuche eine Anleitung zum Versemachen, woran
sich endlich in der sechsten Classe, der Rhetorik eine ziemlich dürftige An¬
weisung zur Anfertigung verschiedener prosaischer Aufsätze nach einem Lehr¬
buch unter dem Titel: Oimäiäaws rdetorieae anreihte. In dieser Classe
wurde auch Epistolographie gelehrt; mit welchem Erfolge mag man daraus
ermessen, daß selbst Jesuiten daraus kein Hehl machen, wie absolvirte Gym¬
nasiasten, wenn sie ihren Eltern einen deutschen Brief zu schreiben hatten, zu
irgend einem in der Nähe wohnenden Kaufmannsdiener ihre Zuflucht zu
nehmen pflegten.

Nach Aufhebung des Jesuitenordens 1776 wurden die sechs Gymnasial¬
jahre auf fünf reducirt, von denen drei der Grammatik, zwei der Humanität
zugetheilt waren. Auch wurden gleichzeitig alle Gegenstände aus der gebun¬
denen und ungebundenen Beredtsamkeit so getheilt, daß alle leichteren im
ersten, alle schwereren im zweiten Jahre behandelt wurden, ohne daß man
jedoch die einmal überkommenen Namen Poetik für die fünfte, und Rhetorik
für die sechste Classe änderte.

In der Poetik und Rhetorik mußte der Schüler die Regeln der Kunst
anwenden, und zu diesem Zwecke poetische d. h. versisieirte Ausarbeitungen
anfertigen, ohne daß man darauf Rücksicht nahm, ob der Jüngling dichte¬
rische Anlage besaß oder nicht. Um den Gedanken brauchte er nicht besorgt
zu sein, diesen enthielt das vom Lehrer dictirte Thema -- es handelte sich
nur um Worte, und auch diese fand er, wenn er fleißig nachsuchte, in
jenen eigenthümlichen Werken, welche man <ÄacwZ aä ?Ärng.ssum nannte.
Ob die Worte dem Gedanken entsprachen, war Nebensache, wenn sie nur
die Versfüße repräsentirten, welche man zum Verse brauchte. Daß durch
diesen Verszwang meist Arbeiten entstanden, welche ganz abgesehen von dem
Mangel einigermaßen erträglicher Gedanken selbst an der Sprache Latinas
Hochverrath übten, bekümmerte die Lehrer nicht.

Solche Schülerarbeiten wurden zuweilen gedruckt; die Fama meinte frei¬
lich, daß nicht'die Schüler, sondern die Lehrer die 'Verfasser dieser Dichtun¬
gen seien.

Um griechische Literatur war es natürlich noch viel schlechter bestellt;
alles, was die Gymnasiasten von dieser zu sehen bekamen, beschränkte sich auf


Grenzboten II. 1868. 8

In der vierten Classe, der Syntax, wurde die LMaxis ornata, zu Ende
geführt und außerdem der Unterricht in der Poesie begonnen, neben welchem
die Lecture Ciceros alö otüeiis und einiger Elegien Ovids einher ging.

Hatte der Schüler diese vier Grammatikalelassen hinter sich, „hatte
er", wie die Reform sagt, „ehevor in se^lo kxiLtMri und Kistorieo seine
Fertigkeit gezeiget", so kam er in die fünfte Classe, die Poetik. In dieser
ersten Humanitätsclasse erhielt der Schüler nach einem unter dem Namen
ars miztriea, bekannten Schulbuche eine Anleitung zum Versemachen, woran
sich endlich in der sechsten Classe, der Rhetorik eine ziemlich dürftige An¬
weisung zur Anfertigung verschiedener prosaischer Aufsätze nach einem Lehr¬
buch unter dem Titel: Oimäiäaws rdetorieae anreihte. In dieser Classe
wurde auch Epistolographie gelehrt; mit welchem Erfolge mag man daraus
ermessen, daß selbst Jesuiten daraus kein Hehl machen, wie absolvirte Gym¬
nasiasten, wenn sie ihren Eltern einen deutschen Brief zu schreiben hatten, zu
irgend einem in der Nähe wohnenden Kaufmannsdiener ihre Zuflucht zu
nehmen pflegten.

Nach Aufhebung des Jesuitenordens 1776 wurden die sechs Gymnasial¬
jahre auf fünf reducirt, von denen drei der Grammatik, zwei der Humanität
zugetheilt waren. Auch wurden gleichzeitig alle Gegenstände aus der gebun¬
denen und ungebundenen Beredtsamkeit so getheilt, daß alle leichteren im
ersten, alle schwereren im zweiten Jahre behandelt wurden, ohne daß man
jedoch die einmal überkommenen Namen Poetik für die fünfte, und Rhetorik
für die sechste Classe änderte.

In der Poetik und Rhetorik mußte der Schüler die Regeln der Kunst
anwenden, und zu diesem Zwecke poetische d. h. versisieirte Ausarbeitungen
anfertigen, ohne daß man darauf Rücksicht nahm, ob der Jüngling dichte¬
rische Anlage besaß oder nicht. Um den Gedanken brauchte er nicht besorgt
zu sein, diesen enthielt das vom Lehrer dictirte Thema — es handelte sich
nur um Worte, und auch diese fand er, wenn er fleißig nachsuchte, in
jenen eigenthümlichen Werken, welche man <ÄacwZ aä ?Ärng.ssum nannte.
Ob die Worte dem Gedanken entsprachen, war Nebensache, wenn sie nur
die Versfüße repräsentirten, welche man zum Verse brauchte. Daß durch
diesen Verszwang meist Arbeiten entstanden, welche ganz abgesehen von dem
Mangel einigermaßen erträglicher Gedanken selbst an der Sprache Latinas
Hochverrath übten, bekümmerte die Lehrer nicht.

Solche Schülerarbeiten wurden zuweilen gedruckt; die Fama meinte frei¬
lich, daß nicht'die Schüler, sondern die Lehrer die 'Verfasser dieser Dichtun¬
gen seien.

Um griechische Literatur war es natürlich noch viel schlechter bestellt;
alles, was die Gymnasiasten von dieser zu sehen bekamen, beschränkte sich auf


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[0061] In der vierten Classe, der Syntax, wurde die LMaxis ornata, zu Ende geführt und außerdem der Unterricht in der Poesie begonnen, neben welchem die Lecture Ciceros alö otüeiis und einiger Elegien Ovids einher ging. Hatte der Schüler diese vier Grammatikalelassen hinter sich, „hatte er", wie die Reform sagt, „ehevor in se^lo kxiLtMri und Kistorieo seine Fertigkeit gezeiget", so kam er in die fünfte Classe, die Poetik. In dieser ersten Humanitätsclasse erhielt der Schüler nach einem unter dem Namen ars miztriea, bekannten Schulbuche eine Anleitung zum Versemachen, woran sich endlich in der sechsten Classe, der Rhetorik eine ziemlich dürftige An¬ weisung zur Anfertigung verschiedener prosaischer Aufsätze nach einem Lehr¬ buch unter dem Titel: Oimäiäaws rdetorieae anreihte. In dieser Classe wurde auch Epistolographie gelehrt; mit welchem Erfolge mag man daraus ermessen, daß selbst Jesuiten daraus kein Hehl machen, wie absolvirte Gym¬ nasiasten, wenn sie ihren Eltern einen deutschen Brief zu schreiben hatten, zu irgend einem in der Nähe wohnenden Kaufmannsdiener ihre Zuflucht zu nehmen pflegten. Nach Aufhebung des Jesuitenordens 1776 wurden die sechs Gymnasial¬ jahre auf fünf reducirt, von denen drei der Grammatik, zwei der Humanität zugetheilt waren. Auch wurden gleichzeitig alle Gegenstände aus der gebun¬ denen und ungebundenen Beredtsamkeit so getheilt, daß alle leichteren im ersten, alle schwereren im zweiten Jahre behandelt wurden, ohne daß man jedoch die einmal überkommenen Namen Poetik für die fünfte, und Rhetorik für die sechste Classe änderte. In der Poetik und Rhetorik mußte der Schüler die Regeln der Kunst anwenden, und zu diesem Zwecke poetische d. h. versisieirte Ausarbeitungen anfertigen, ohne daß man darauf Rücksicht nahm, ob der Jüngling dichte¬ rische Anlage besaß oder nicht. Um den Gedanken brauchte er nicht besorgt zu sein, diesen enthielt das vom Lehrer dictirte Thema — es handelte sich nur um Worte, und auch diese fand er, wenn er fleißig nachsuchte, in jenen eigenthümlichen Werken, welche man <ÄacwZ aä ?Ärng.ssum nannte. Ob die Worte dem Gedanken entsprachen, war Nebensache, wenn sie nur die Versfüße repräsentirten, welche man zum Verse brauchte. Daß durch diesen Verszwang meist Arbeiten entstanden, welche ganz abgesehen von dem Mangel einigermaßen erträglicher Gedanken selbst an der Sprache Latinas Hochverrath übten, bekümmerte die Lehrer nicht. Solche Schülerarbeiten wurden zuweilen gedruckt; die Fama meinte frei¬ lich, daß nicht'die Schüler, sondern die Lehrer die 'Verfasser dieser Dichtun¬ gen seien. Um griechische Literatur war es natürlich noch viel schlechter bestellt; alles, was die Gymnasiasten von dieser zu sehen bekamen, beschränkte sich auf Grenzboten II. 1868. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/61>, abgerufen am 15.01.2025.