Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.noble Tentamen genannt -- aufhörten, und mit ihnen ein auf Täuschung Nach der ursprünglichen Einrichtung sollten die Schüler der beiden So war alles, was von den Jesuitengymnasien der Oeffentlichkeit gegen¬ Fragen wir darnach, was denn die Gymnasialjugend quantitativ noble Tentamen genannt — aufhörten, und mit ihnen ein auf Täuschung Nach der ursprünglichen Einrichtung sollten die Schüler der beiden So war alles, was von den Jesuitengymnasien der Oeffentlichkeit gegen¬ Fragen wir darnach, was denn die Gymnasialjugend quantitativ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117592"/> <p xml:id="ID_195" prev="#ID_194"> noble Tentamen genannt — aufhörten, und mit ihnen ein auf Täuschung<lb/> und Selbsttäuschung hinauslaufender Unfug, von welchem auch die öffentlichen<lb/> Prüfungen der beiden oberen Classen, die sogenannten Declamationen,<lb/> leider nicht freizusprechen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_196"> Nach der ursprünglichen Einrichtung sollten die Schüler der beiden<lb/> höheren Classen die von ihnen selbst verfaßten rednerischen und dichterischen<lb/> Aufsätze öffentlich declamiren. Bald singen indeß die^Lehrer an, von der ver¬<lb/> derblichen Eitelkeit fortgerissen, durch ihre Schüler zu glänzen, diese Schüler¬<lb/> arbeiten nicht etwa nur durchzusehen, — sondern vollständig zu überarbeiten,<lb/> sodaß dein ein fremdes Werk declamircnden Schüler keine andere Aufgabe<lb/> vorbehalten blieb, als dasselbe herzusagen und mit den gehörigen Geberden<lb/> zu begleiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_197"> So war alles, was von den Jesuitengymnasien der Oeffentlichkeit gegen¬<lb/> über geschah, nicht nur mit einer Comödie verbunden, sondern selbst zur<lb/> Comödie geworden, die keinen offenen Einblick in das gestattete, was<lb/> die Jugend eigentlich gelernt hatte, fondern die Mitwelt darüber geradezu<lb/> täuschte.</p><lb/> <p xml:id="ID_198" next="#ID_199"> Fragen wir darnach, was denn die Gymnasialjugend quantitativ<lb/> und qualitativ eigentlich lernte, so darf selbstverständlich an die Leistungen<lb/> kein moderner Maßstab, sondern nur das Maß der Resultate anderer gleich¬<lb/> zeitiger Lehranstalten angelegt werden. Obenan stand, wie wir wissen, der<lb/> Unterricht im Lateinischen, der unbedingt den Hauptinhalt des ganzen<lb/> Unterrichtes ausmachte und dem in allen Classen die größte Sorgfalt ge¬<lb/> widmet und die größte Stundenzahl zugewiesen war. Bei diesem Unterricht<lb/> war es nicht sowohl auf Kenntniß des classischen Alterthums abgesehen, als<lb/> vielmehr auf Lateinsprechen. Auf diesen Zweck wurde schon in der unter¬<lb/> sten Classe (?Al'va) Rücksicht genommen; in diese traten die Knaben ein,<lb/> wenn sie „sowohl Deutsch als lateinisch schrieben, eine saubere und wenigstens<lb/> einigermaßen correcte Handschrist hatten und die erste Grundregul der Lati-<lb/> nität allschon hinlängliche besitzen und aus diesem Gegenstande wohl exami-<lb/> nirt waren" — sagt die Reform vom Jahre 1763 Ur. 3. Der Knabe<lb/> wurde in den Anfangsgründen der lateinischen Sprache, im Decliniren und<lb/> Conjugiren unterrichtet, lernte einige Vocabeln, wurde im Uebersetzen leichter<lb/> Stücke geübt, und kam nach dieser Vorbereitung in die zweite Classe, die<lb/> I'rjneixie oder unterste Grammatikalclasse. Hier wurde.zunächst das in der<lb/> Parva Erlernte wiederholt, sodann aber auch vervollständigt. Der Schüler<lb/> wurde mit den Regeln der Syntax vertraut gemacht, und erhielt zum ersten-<lb/> Male einen classischen Autor zur Lecture d. h. eine Auswahl aus Cornelius<lb/> Nepo« und den Briefen Ciceros, welche neben einer Auswahl aus Cato und<lb/> Cäsar auch in der dritten Classe, Grammatik genannt — erklärt wurden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
noble Tentamen genannt — aufhörten, und mit ihnen ein auf Täuschung
und Selbsttäuschung hinauslaufender Unfug, von welchem auch die öffentlichen
Prüfungen der beiden oberen Classen, die sogenannten Declamationen,
leider nicht freizusprechen sind.
Nach der ursprünglichen Einrichtung sollten die Schüler der beiden
höheren Classen die von ihnen selbst verfaßten rednerischen und dichterischen
Aufsätze öffentlich declamiren. Bald singen indeß die^Lehrer an, von der ver¬
derblichen Eitelkeit fortgerissen, durch ihre Schüler zu glänzen, diese Schüler¬
arbeiten nicht etwa nur durchzusehen, — sondern vollständig zu überarbeiten,
sodaß dein ein fremdes Werk declamircnden Schüler keine andere Aufgabe
vorbehalten blieb, als dasselbe herzusagen und mit den gehörigen Geberden
zu begleiten.
So war alles, was von den Jesuitengymnasien der Oeffentlichkeit gegen¬
über geschah, nicht nur mit einer Comödie verbunden, sondern selbst zur
Comödie geworden, die keinen offenen Einblick in das gestattete, was
die Jugend eigentlich gelernt hatte, fondern die Mitwelt darüber geradezu
täuschte.
Fragen wir darnach, was denn die Gymnasialjugend quantitativ
und qualitativ eigentlich lernte, so darf selbstverständlich an die Leistungen
kein moderner Maßstab, sondern nur das Maß der Resultate anderer gleich¬
zeitiger Lehranstalten angelegt werden. Obenan stand, wie wir wissen, der
Unterricht im Lateinischen, der unbedingt den Hauptinhalt des ganzen
Unterrichtes ausmachte und dem in allen Classen die größte Sorgfalt ge¬
widmet und die größte Stundenzahl zugewiesen war. Bei diesem Unterricht
war es nicht sowohl auf Kenntniß des classischen Alterthums abgesehen, als
vielmehr auf Lateinsprechen. Auf diesen Zweck wurde schon in der unter¬
sten Classe (?Al'va) Rücksicht genommen; in diese traten die Knaben ein,
wenn sie „sowohl Deutsch als lateinisch schrieben, eine saubere und wenigstens
einigermaßen correcte Handschrist hatten und die erste Grundregul der Lati-
nität allschon hinlängliche besitzen und aus diesem Gegenstande wohl exami-
nirt waren" — sagt die Reform vom Jahre 1763 Ur. 3. Der Knabe
wurde in den Anfangsgründen der lateinischen Sprache, im Decliniren und
Conjugiren unterrichtet, lernte einige Vocabeln, wurde im Uebersetzen leichter
Stücke geübt, und kam nach dieser Vorbereitung in die zweite Classe, die
I'rjneixie oder unterste Grammatikalclasse. Hier wurde.zunächst das in der
Parva Erlernte wiederholt, sodann aber auch vervollständigt. Der Schüler
wurde mit den Regeln der Syntax vertraut gemacht, und erhielt zum ersten-
Male einen classischen Autor zur Lecture d. h. eine Auswahl aus Cornelius
Nepo« und den Briefen Ciceros, welche neben einer Auswahl aus Cato und
Cäsar auch in der dritten Classe, Grammatik genannt — erklärt wurden.
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