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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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keit der ersten Session des deutschen Zollparlaments in Frankreich calmirend
gewirkt und den Chauvinismus in die Nothwendigkeit versetzt, a la baisse zu
speculiren. Bei dem besten Willen können die Anhänger des Marschall Niet
keine Argumente für die Wahrscheinlichkeit einer baldigen.Überschreitung der
Mainlinie ausfindig machen, und das Sicherheitsgefühl, welches die Particu-
laristen und Radicalen unseres Südens in dieser Beziehung zur Schau tragen,
hat sich allgemach auch auf das linke Rheinufer fortgepflanzt. Es ist ein
wunderliches Schauspiel, das die Süddeutschen wiederum vor uns aufgeführt
haben, und wer von der Geschichte der letzten Wochen nicht gelernt hat, daß
eine freiwillige oder unfreiwillige Unterordnung des Südens unter die
preußische Führung das einzige auch nur denkbare Mittel zur Einigung Deutsch¬
lands ist, der würde am besten thun, auf eine Betheiligung an den Dingen
des öffentlichen Lebens für immer zu verzichten und sich mit jenem Bürger-
thum in der Idealwelt zufrieden zu geben, auf welches jeder Deutsche einen
angebornen Anspruch besitzt.

AIs die Vertreter der Staaten jenseit des Main im Mai nach Berlin
kamen, war die Furcht vor norddeutsch-preußischer Vergewaltigung das lei¬
tende Prinzip ihres Thuns und Lassens und das Bündniß zwischen konser¬
vativen Particularisten und radicalen Democraten schien für die Ewigkeit
geschlossen zu sein. Aus der Höhle des Löwen einmal mit heiler Haut
herausgekommen, haben die "Führer des süddeutschen Volks" sofort ihre alten
häuslichen Händel wieder aufgenommen und sich gebehrdet, als sei ihr sou-
vercnnes Selbstbestimmungsrecht für alle Zeiten wieder gewährleistet. Die
Rückkehr zu den heimischen Penaten hat bei den Süddeutschen weder zu
einer versöhnlicheren und besonneneren Haltung gegen den Norden geführt, wie
sie von unseren Optimisten gehofft wurde, noch zu einer Verständigung dar¬
über, was der souverain gebliebene Süden mit sich anfangen soll. Daß die
Errichtung eines Südbundes für den Augenblick das einzige Mittel zur Er¬
haltung einer vom Norden gesonderten Existenz und der sogenannten süd¬
deutschen Unabhängigkeit wäre, kann für keinen urtheilsfähigem Particula¬
risten zweifelhaft sein. Und doch sind conservative Altwürtemberger und
Altbaiern seit lange darüber einig, daß die Begründung einer transmainischen
Föderation unmöglich ist. Dieselben Leute, welche von dem mächtigen Preußen
ohne weiteres gefordert haben, daß es sich Oestreich um des lieben Friedens
willen bedingungslos unterordne, sie gerathen in eine sittlich-patriotische Ent¬
rüstung" sobald davon die Rede ist, daß das kleine Würtemberg Baiern den
Vorrang einräume oder daß Baiern auf einen Theil seiner Souverainetäts-
rechte Verzicht leiste.

Angesichts einer so beredten Thatsache wie der der Impotenz und Zer"
fahrenden der südlichen Staaten noch an der Möglichkeit eines Bundes mit


keit der ersten Session des deutschen Zollparlaments in Frankreich calmirend
gewirkt und den Chauvinismus in die Nothwendigkeit versetzt, a la baisse zu
speculiren. Bei dem besten Willen können die Anhänger des Marschall Niet
keine Argumente für die Wahrscheinlichkeit einer baldigen.Überschreitung der
Mainlinie ausfindig machen, und das Sicherheitsgefühl, welches die Particu-
laristen und Radicalen unseres Südens in dieser Beziehung zur Schau tragen,
hat sich allgemach auch auf das linke Rheinufer fortgepflanzt. Es ist ein
wunderliches Schauspiel, das die Süddeutschen wiederum vor uns aufgeführt
haben, und wer von der Geschichte der letzten Wochen nicht gelernt hat, daß
eine freiwillige oder unfreiwillige Unterordnung des Südens unter die
preußische Führung das einzige auch nur denkbare Mittel zur Einigung Deutsch¬
lands ist, der würde am besten thun, auf eine Betheiligung an den Dingen
des öffentlichen Lebens für immer zu verzichten und sich mit jenem Bürger-
thum in der Idealwelt zufrieden zu geben, auf welches jeder Deutsche einen
angebornen Anspruch besitzt.

AIs die Vertreter der Staaten jenseit des Main im Mai nach Berlin
kamen, war die Furcht vor norddeutsch-preußischer Vergewaltigung das lei¬
tende Prinzip ihres Thuns und Lassens und das Bündniß zwischen konser¬
vativen Particularisten und radicalen Democraten schien für die Ewigkeit
geschlossen zu sein. Aus der Höhle des Löwen einmal mit heiler Haut
herausgekommen, haben die „Führer des süddeutschen Volks" sofort ihre alten
häuslichen Händel wieder aufgenommen und sich gebehrdet, als sei ihr sou-
vercnnes Selbstbestimmungsrecht für alle Zeiten wieder gewährleistet. Die
Rückkehr zu den heimischen Penaten hat bei den Süddeutschen weder zu
einer versöhnlicheren und besonneneren Haltung gegen den Norden geführt, wie
sie von unseren Optimisten gehofft wurde, noch zu einer Verständigung dar¬
über, was der souverain gebliebene Süden mit sich anfangen soll. Daß die
Errichtung eines Südbundes für den Augenblick das einzige Mittel zur Er¬
haltung einer vom Norden gesonderten Existenz und der sogenannten süd¬
deutschen Unabhängigkeit wäre, kann für keinen urtheilsfähigem Particula¬
risten zweifelhaft sein. Und doch sind conservative Altwürtemberger und
Altbaiern seit lange darüber einig, daß die Begründung einer transmainischen
Föderation unmöglich ist. Dieselben Leute, welche von dem mächtigen Preußen
ohne weiteres gefordert haben, daß es sich Oestreich um des lieben Friedens
willen bedingungslos unterordne, sie gerathen in eine sittlich-patriotische Ent¬
rüstung» sobald davon die Rede ist, daß das kleine Würtemberg Baiern den
Vorrang einräume oder daß Baiern auf einen Theil seiner Souverainetäts-
rechte Verzicht leiste.

Angesichts einer so beredten Thatsache wie der der Impotenz und Zer«
fahrenden der südlichen Staaten noch an der Möglichkeit eines Bundes mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/516>, abgerufen am 15.01.2025.