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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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zweite Reihe von Beweismitteln wird sodann ins Gefecht geführt, um diesen
Rückzug als militärische Nothwendigkeit darzustellen. Genau genommen be¬
dürfte es dieser Deduction nicht mehr, nachdem einmal festgestellt worden,
daß die nach dem Tage von Fleurus eingetretene Wendung dem östreichi¬
schen Cabinet überraschend gekommen und erwünscht gewesen ist. Dieser
Abschnitt unseres Buchs ist um so lehrreicher, als er beinahe ausschließ-
lich mit bereits bekanntem Material operirt und die bisher nicht bekannt
gewesenen Berichte Caesars vornehmlich dazu benutzt werden, Thatsachen zu
bestätigen, deren Feststellung schon früher möglich war und welche dennoch
Gegenstand falscher Beurtheilung geworden sind.

Anders steht es mit dem Frieden von Basel. Obgleich der Verfasser
sich ausdrücklich gegen jene rücksichtslose Verurtheilung Hardenbergs verwahrt,
welche in der großdeutschen Geschichtsschreibung üblich geworden ist, obgleich
die Schwierigkeiten, mit denen Preußen zufolge der Vorgänge in Polen zu
kämpfen hatte, wiederholt hervorgehoben werden, wird an dem feststehenden
Urtheil der Geschichte nicht geändert, jener Vertrag vielmehr "als kleinmü-
thiges Aufgeben der Sache, zu deren Vertheidigung Preußen verpflichtet war,"
ja als "Hauptquelle der Uebel, an denen Deutschland damals zu Grunde ging"
und "des unermeßlichen Elends langer Jahre" bezeichnet. Von der Auffassung
Sybels (dessen Verdienste um richtigere Beurtheilung dieses Actes dankbar her¬
vorgehoben werden) weicht Hüffer eigentlich nur in Bezug auf die vorausge¬
setzten Motive des preußischen Handelns, nicht in dem Urtheil über dasselbe ab.
Während der Autor der "Geschichte der Revolutionszeit" Oestreichs "verrätheri-
sche Maßnahmen" als Hauptentschuldigungsgründe für den preußischen Seperat-
sneden geltend macht, legt unser Verfasser auf die thatsächlich vollzogene Ent¬
fremdung Preußens vom Reich und auf die inneren Zustände der Monarchie
Friedrichs des Großen besonderen Nachdruck. Preußens Stellung zu dem
gesammten französischen Feldzuge war von Hause aus von der Oestreichs "er-
schieden gewesen, weil es keine directen Interessen zu vertreten gehabt, an der
Erhaltung des linken Rheinufers nicht materiell betheiligt war und eigentlich
nur wegen der aufwallenden dynastischen Gefühle seines Königs das Schwert
gezogen hatte. Deutsches Nationalgefühl war im östreichischen Lager ebenso
wenig zu finden, wie im preußischen, aber es gab für Oestreich ein materiel¬
les Interesse ander Erhaltung der alten Reichsgrenzen, während für Preußen
ein solches nicht bestand. -- Der Annahme Sybels, daß nach dem baseler Frie¬
den verrätherische Verhandlungen stattgefunden hätten, welche Thugut durch
den toskanischen Geschäftsträger Carletti mit Merlin von Douai, Sieyes
und anderen Mitgliedern der französischen Kriegspartei pflegen ließ, um gegen
Beihilfe zur Erwerbung Baierns das ganze linke Rheinufer Frankreich abzu-
zutreten, -- wird dagegen von Hüffer lebhaft widersprochen und damit zugleich


zweite Reihe von Beweismitteln wird sodann ins Gefecht geführt, um diesen
Rückzug als militärische Nothwendigkeit darzustellen. Genau genommen be¬
dürfte es dieser Deduction nicht mehr, nachdem einmal festgestellt worden,
daß die nach dem Tage von Fleurus eingetretene Wendung dem östreichi¬
schen Cabinet überraschend gekommen und erwünscht gewesen ist. Dieser
Abschnitt unseres Buchs ist um so lehrreicher, als er beinahe ausschließ-
lich mit bereits bekanntem Material operirt und die bisher nicht bekannt
gewesenen Berichte Caesars vornehmlich dazu benutzt werden, Thatsachen zu
bestätigen, deren Feststellung schon früher möglich war und welche dennoch
Gegenstand falscher Beurtheilung geworden sind.

Anders steht es mit dem Frieden von Basel. Obgleich der Verfasser
sich ausdrücklich gegen jene rücksichtslose Verurtheilung Hardenbergs verwahrt,
welche in der großdeutschen Geschichtsschreibung üblich geworden ist, obgleich
die Schwierigkeiten, mit denen Preußen zufolge der Vorgänge in Polen zu
kämpfen hatte, wiederholt hervorgehoben werden, wird an dem feststehenden
Urtheil der Geschichte nicht geändert, jener Vertrag vielmehr „als kleinmü-
thiges Aufgeben der Sache, zu deren Vertheidigung Preußen verpflichtet war,"
ja als „Hauptquelle der Uebel, an denen Deutschland damals zu Grunde ging"
und „des unermeßlichen Elends langer Jahre" bezeichnet. Von der Auffassung
Sybels (dessen Verdienste um richtigere Beurtheilung dieses Actes dankbar her¬
vorgehoben werden) weicht Hüffer eigentlich nur in Bezug auf die vorausge¬
setzten Motive des preußischen Handelns, nicht in dem Urtheil über dasselbe ab.
Während der Autor der „Geschichte der Revolutionszeit" Oestreichs „verrätheri-
sche Maßnahmen" als Hauptentschuldigungsgründe für den preußischen Seperat-
sneden geltend macht, legt unser Verfasser auf die thatsächlich vollzogene Ent¬
fremdung Preußens vom Reich und auf die inneren Zustände der Monarchie
Friedrichs des Großen besonderen Nachdruck. Preußens Stellung zu dem
gesammten französischen Feldzuge war von Hause aus von der Oestreichs »er-
schieden gewesen, weil es keine directen Interessen zu vertreten gehabt, an der
Erhaltung des linken Rheinufers nicht materiell betheiligt war und eigentlich
nur wegen der aufwallenden dynastischen Gefühle seines Königs das Schwert
gezogen hatte. Deutsches Nationalgefühl war im östreichischen Lager ebenso
wenig zu finden, wie im preußischen, aber es gab für Oestreich ein materiel¬
les Interesse ander Erhaltung der alten Reichsgrenzen, während für Preußen
ein solches nicht bestand. — Der Annahme Sybels, daß nach dem baseler Frie¬
den verrätherische Verhandlungen stattgefunden hätten, welche Thugut durch
den toskanischen Geschäftsträger Carletti mit Merlin von Douai, Sieyes
und anderen Mitgliedern der französischen Kriegspartei pflegen ließ, um gegen
Beihilfe zur Erwerbung Baierns das ganze linke Rheinufer Frankreich abzu-
zutreten, — wird dagegen von Hüffer lebhaft widersprochen und damit zugleich


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[0506] zweite Reihe von Beweismitteln wird sodann ins Gefecht geführt, um diesen Rückzug als militärische Nothwendigkeit darzustellen. Genau genommen be¬ dürfte es dieser Deduction nicht mehr, nachdem einmal festgestellt worden, daß die nach dem Tage von Fleurus eingetretene Wendung dem östreichi¬ schen Cabinet überraschend gekommen und erwünscht gewesen ist. Dieser Abschnitt unseres Buchs ist um so lehrreicher, als er beinahe ausschließ- lich mit bereits bekanntem Material operirt und die bisher nicht bekannt gewesenen Berichte Caesars vornehmlich dazu benutzt werden, Thatsachen zu bestätigen, deren Feststellung schon früher möglich war und welche dennoch Gegenstand falscher Beurtheilung geworden sind. Anders steht es mit dem Frieden von Basel. Obgleich der Verfasser sich ausdrücklich gegen jene rücksichtslose Verurtheilung Hardenbergs verwahrt, welche in der großdeutschen Geschichtsschreibung üblich geworden ist, obgleich die Schwierigkeiten, mit denen Preußen zufolge der Vorgänge in Polen zu kämpfen hatte, wiederholt hervorgehoben werden, wird an dem feststehenden Urtheil der Geschichte nicht geändert, jener Vertrag vielmehr „als kleinmü- thiges Aufgeben der Sache, zu deren Vertheidigung Preußen verpflichtet war," ja als „Hauptquelle der Uebel, an denen Deutschland damals zu Grunde ging" und „des unermeßlichen Elends langer Jahre" bezeichnet. Von der Auffassung Sybels (dessen Verdienste um richtigere Beurtheilung dieses Actes dankbar her¬ vorgehoben werden) weicht Hüffer eigentlich nur in Bezug auf die vorausge¬ setzten Motive des preußischen Handelns, nicht in dem Urtheil über dasselbe ab. Während der Autor der „Geschichte der Revolutionszeit" Oestreichs „verrätheri- sche Maßnahmen" als Hauptentschuldigungsgründe für den preußischen Seperat- sneden geltend macht, legt unser Verfasser auf die thatsächlich vollzogene Ent¬ fremdung Preußens vom Reich und auf die inneren Zustände der Monarchie Friedrichs des Großen besonderen Nachdruck. Preußens Stellung zu dem gesammten französischen Feldzuge war von Hause aus von der Oestreichs »er- schieden gewesen, weil es keine directen Interessen zu vertreten gehabt, an der Erhaltung des linken Rheinufers nicht materiell betheiligt war und eigentlich nur wegen der aufwallenden dynastischen Gefühle seines Königs das Schwert gezogen hatte. Deutsches Nationalgefühl war im östreichischen Lager ebenso wenig zu finden, wie im preußischen, aber es gab für Oestreich ein materiel¬ les Interesse ander Erhaltung der alten Reichsgrenzen, während für Preußen ein solches nicht bestand. — Der Annahme Sybels, daß nach dem baseler Frie¬ den verrätherische Verhandlungen stattgefunden hätten, welche Thugut durch den toskanischen Geschäftsträger Carletti mit Merlin von Douai, Sieyes und anderen Mitgliedern der französischen Kriegspartei pflegen ließ, um gegen Beihilfe zur Erwerbung Baierns das ganze linke Rheinufer Frankreich abzu- zutreten, — wird dagegen von Hüffer lebhaft widersprochen und damit zugleich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/506>, abgerufen am 15.01.2025.