Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Gruß an die Oestreichs.

X Mehr noch als auf anderen Lebensgebieten gilt auf dem politischen
der Satz, daß die Bedeutung der Dinge nicht nur durch ihren Gehalt bedingt
wird, oft ebenso sehr durch die Hoffnungen, welche sich mit ihnen verbinden.
In diesem Sinn ist dem in der letzten Woche vom wiener Reichsrath discutirten
neuen Ehegesetz eine prinzipielle Wichtigkeit zuzuschreiben, welche die directen
Folgen der Emancipation des Eherechts von den Fesseln des Concordats
weit überragt.

Drei Dinge waren es vor allem gewesen, welche die östreichische
Monarchie feit Jahrzehnten dem deutschen Interesse und dem deutschen
Bewußtsein entfremdet hatten: die Stellung der k. k. Regierung zu Italien,
der Anspruch auf die deutsche Hegemonie, welche dem Norden gebührte,
und der Bund mit der römischen Curie. Das feindliche Verhältniß, welches
das Haus Habsburg-Lothringen von Hause aus zu den italienischen Volks¬
wünschen einnahm, die Unterstützung, welche der italienischen Kleinstaaterei
und dem Legitimitätsprinzip leihen mußte, die Unterdrückung jeder na¬
tionalen Entwickelung, welche die Fortdauer seiner italienischen Herrschaft
gefährden konnte, nöthigte das deutsche Volk in die Alternative, entweder
zur Bekämpfung derselben Bestrebungen mitzuwirken, welche es am eigenen
Heerde verfolgte, oder sich feierlich von jeder Gemeinschaft mit der Politik
unberufener und unberechtigter Bevormundung einer zu freier Selbstbestim¬
mung berufenen Nation zu lösen. Damit war zugleich gesagt, daß Deutsch¬
land auch die beanspruchte Oberherrschaft Oestreichs im Bunde auf die Dauer
nicht tragen konnte. Die Ansprüche auf die östreichische Hegemonie waren
zudem nur im dynastischen Interesse consequent gemeint: Deutschland sich
M assimiliren, an die Spitze des deutschen Volks zu treten, war der Kaiser-
stacit außer Stande, seine Lenker begnügten sich damit, die unumschränkte
Herrschaft der kleinen Dynasten zu stützen und für ihre eigenen europäischen
Zwecke auszubeuten. Darin lag zugleich die Schwäche und die Stärke der
s- S- großdeutschen Idee: die Schwäche, -- weil die wahren Freunde der
nationalen Einheit und einer freiheitlichen Entwickelung Gegner Oestreichs


Grenzboten II. 1368.
Ein Gruß an die Oestreichs.

X Mehr noch als auf anderen Lebensgebieten gilt auf dem politischen
der Satz, daß die Bedeutung der Dinge nicht nur durch ihren Gehalt bedingt
wird, oft ebenso sehr durch die Hoffnungen, welche sich mit ihnen verbinden.
In diesem Sinn ist dem in der letzten Woche vom wiener Reichsrath discutirten
neuen Ehegesetz eine prinzipielle Wichtigkeit zuzuschreiben, welche die directen
Folgen der Emancipation des Eherechts von den Fesseln des Concordats
weit überragt.

Drei Dinge waren es vor allem gewesen, welche die östreichische
Monarchie feit Jahrzehnten dem deutschen Interesse und dem deutschen
Bewußtsein entfremdet hatten: die Stellung der k. k. Regierung zu Italien,
der Anspruch auf die deutsche Hegemonie, welche dem Norden gebührte,
und der Bund mit der römischen Curie. Das feindliche Verhältniß, welches
das Haus Habsburg-Lothringen von Hause aus zu den italienischen Volks¬
wünschen einnahm, die Unterstützung, welche der italienischen Kleinstaaterei
und dem Legitimitätsprinzip leihen mußte, die Unterdrückung jeder na¬
tionalen Entwickelung, welche die Fortdauer seiner italienischen Herrschaft
gefährden konnte, nöthigte das deutsche Volk in die Alternative, entweder
zur Bekämpfung derselben Bestrebungen mitzuwirken, welche es am eigenen
Heerde verfolgte, oder sich feierlich von jeder Gemeinschaft mit der Politik
unberufener und unberechtigter Bevormundung einer zu freier Selbstbestim¬
mung berufenen Nation zu lösen. Damit war zugleich gesagt, daß Deutsch¬
land auch die beanspruchte Oberherrschaft Oestreichs im Bunde auf die Dauer
nicht tragen konnte. Die Ansprüche auf die östreichische Hegemonie waren
zudem nur im dynastischen Interesse consequent gemeint: Deutschland sich
M assimiliren, an die Spitze des deutschen Volks zu treten, war der Kaiser-
stacit außer Stande, seine Lenker begnügten sich damit, die unumschränkte
Herrschaft der kleinen Dynasten zu stützen und für ihre eigenen europäischen
Zwecke auszubeuten. Darin lag zugleich die Schwäche und die Stärke der
s- S- großdeutschen Idee: die Schwäche, — weil die wahren Freunde der
nationalen Einheit und einer freiheitlichen Entwickelung Gegner Oestreichs


Grenzboten II. 1368.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0005" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117537"/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Gruß an die Oestreichs.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2"><note type="byline"> X</note> Mehr noch als auf anderen Lebensgebieten gilt auf dem politischen<lb/>
der Satz, daß die Bedeutung der Dinge nicht nur durch ihren Gehalt bedingt<lb/>
wird, oft ebenso sehr durch die Hoffnungen, welche sich mit ihnen verbinden.<lb/>
In diesem Sinn ist dem in der letzten Woche vom wiener Reichsrath discutirten<lb/>
neuen Ehegesetz eine prinzipielle Wichtigkeit zuzuschreiben, welche die directen<lb/>
Folgen der Emancipation des Eherechts von den Fesseln des Concordats<lb/>
weit überragt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3" next="#ID_4"> Drei Dinge waren es vor allem gewesen, welche die östreichische<lb/>
Monarchie feit Jahrzehnten dem deutschen Interesse und dem deutschen<lb/>
Bewußtsein entfremdet hatten: die Stellung der k. k. Regierung zu Italien,<lb/>
der Anspruch auf die deutsche Hegemonie, welche dem Norden gebührte,<lb/>
und der Bund mit der römischen Curie. Das feindliche Verhältniß, welches<lb/>
das Haus Habsburg-Lothringen von Hause aus zu den italienischen Volks¬<lb/>
wünschen einnahm, die Unterstützung, welche der italienischen Kleinstaaterei<lb/>
und dem Legitimitätsprinzip leihen mußte, die Unterdrückung jeder na¬<lb/>
tionalen Entwickelung, welche die Fortdauer seiner italienischen Herrschaft<lb/>
gefährden konnte, nöthigte das deutsche Volk in die Alternative, entweder<lb/>
zur Bekämpfung derselben Bestrebungen mitzuwirken, welche es am eigenen<lb/>
Heerde verfolgte, oder sich feierlich von jeder Gemeinschaft mit der Politik<lb/>
unberufener und unberechtigter Bevormundung einer zu freier Selbstbestim¬<lb/>
mung berufenen Nation zu lösen. Damit war zugleich gesagt, daß Deutsch¬<lb/>
land auch die beanspruchte Oberherrschaft Oestreichs im Bunde auf die Dauer<lb/>
nicht tragen konnte. Die Ansprüche auf die östreichische Hegemonie waren<lb/>
zudem nur im dynastischen Interesse consequent gemeint: Deutschland sich<lb/>
M assimiliren, an die Spitze des deutschen Volks zu treten, war der Kaiser-<lb/>
stacit außer Stande, seine Lenker begnügten sich damit, die unumschränkte<lb/>
Herrschaft der kleinen Dynasten zu stützen und für ihre eigenen europäischen<lb/>
Zwecke auszubeuten. Darin lag zugleich die Schwäche und die Stärke der<lb/>
s- S- großdeutschen Idee: die Schwäche, &#x2014; weil die wahren Freunde der<lb/>
nationalen Einheit und einer freiheitlichen Entwickelung Gegner Oestreichs</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1368.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0005] Ein Gruß an die Oestreichs. X Mehr noch als auf anderen Lebensgebieten gilt auf dem politischen der Satz, daß die Bedeutung der Dinge nicht nur durch ihren Gehalt bedingt wird, oft ebenso sehr durch die Hoffnungen, welche sich mit ihnen verbinden. In diesem Sinn ist dem in der letzten Woche vom wiener Reichsrath discutirten neuen Ehegesetz eine prinzipielle Wichtigkeit zuzuschreiben, welche die directen Folgen der Emancipation des Eherechts von den Fesseln des Concordats weit überragt. Drei Dinge waren es vor allem gewesen, welche die östreichische Monarchie feit Jahrzehnten dem deutschen Interesse und dem deutschen Bewußtsein entfremdet hatten: die Stellung der k. k. Regierung zu Italien, der Anspruch auf die deutsche Hegemonie, welche dem Norden gebührte, und der Bund mit der römischen Curie. Das feindliche Verhältniß, welches das Haus Habsburg-Lothringen von Hause aus zu den italienischen Volks¬ wünschen einnahm, die Unterstützung, welche der italienischen Kleinstaaterei und dem Legitimitätsprinzip leihen mußte, die Unterdrückung jeder na¬ tionalen Entwickelung, welche die Fortdauer seiner italienischen Herrschaft gefährden konnte, nöthigte das deutsche Volk in die Alternative, entweder zur Bekämpfung derselben Bestrebungen mitzuwirken, welche es am eigenen Heerde verfolgte, oder sich feierlich von jeder Gemeinschaft mit der Politik unberufener und unberechtigter Bevormundung einer zu freier Selbstbestim¬ mung berufenen Nation zu lösen. Damit war zugleich gesagt, daß Deutsch¬ land auch die beanspruchte Oberherrschaft Oestreichs im Bunde auf die Dauer nicht tragen konnte. Die Ansprüche auf die östreichische Hegemonie waren zudem nur im dynastischen Interesse consequent gemeint: Deutschland sich M assimiliren, an die Spitze des deutschen Volks zu treten, war der Kaiser- stacit außer Stande, seine Lenker begnügten sich damit, die unumschränkte Herrschaft der kleinen Dynasten zu stützen und für ihre eigenen europäischen Zwecke auszubeuten. Darin lag zugleich die Schwäche und die Stärke der s- S- großdeutschen Idee: die Schwäche, — weil die wahren Freunde der nationalen Einheit und einer freiheitlichen Entwickelung Gegner Oestreichs Grenzboten II. 1368.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/5
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/5>, abgerufen am 15.01.2025.