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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Ihrer Bedeutung nach sind die Inschriften sehr verschiedenartig. Un¬
mittelbar zum Gefäß gehörig sind die Trinksprüche, welche häufig nach grie-
chischer Sitte dem Gefäß in den Mund gelegt sind: "Sei gegrüßt und trink
mich aus!" "Hier thue einen guten Trunk!" "Trink vor und
setze nicht nieder!" "Dir bringe ichs zu!" Bei Darstellungen von
Gelagen sind solche Zurufe den zechenden Personen in den Mund gelegt.
Frauen, welche sich mit dem Kottabosspiel unterhalten -- bei dem es da>
rauf ankam, mit der Neige aus der Schale ein bestimmtes Ziel zu treffen,
daß es klatschte -- rufen dabei: "Dir zu Ehren, Leagros, ertheilte
ich die Neige." oder "Dir gilts, Euthymides!" Auch andere kleine
Gespräche finden sich aufgezeichnet. Drei Personen begrüßen die erste Schwalbe:
"Sieh da die Schwalbe!" sagt ein Knabe und weist mit dem Finger
hin. "Jawohl, beim Hercules!" antwortet ein Mann, der sich auf den
Ruf umsieht. "Das ist sie," sagt der dritte, "nun ist der Frühling
da." Auf einem anderen sagt ein Mann, der seine Oliven zu ernten im
Begriff ist:


O Bater Zeus! o laß mich reich doch werden!

und auf dem Gegenstück, wo er mit Einmessen des Oeles beschäftigt ist,
ruft er:


Nun ists ja voll! voll bis zum Ueberlaufen!

Bei weitem die meisten Inschriften aber sind bestimmt, die dargestellten Ge¬
genstände und Personen zu erklären, ein einfaches Hilfsmittel, das Verständ¬
niß des Beschauers bei äußerlichen Dingen zu fördern, welches die antike
Kunst nicht blos in anfänglicher Naivetät angewendet, sondern nie aufgege¬
ben hat. Den nachgebornen ist damit eine noch größere Wohlthat erwiesen
und es ist kaum zu sagen, in welchem Maaß die Erklärung der Darstellun¬
gen, nicht blos für den einzelnen Fall, sondern durch Festhalten sicherer Ana¬
logien für andere, durch diese Inschriften gewonnen hat. Freilich läuft man
nur zu oft dabei Gefahr, undankbar zu werden; denn diese Inschriften sind
mit erstaunlicher Ungleichheit vertheilt. Während bekannte, durch alle Um-
stände unzweifelhaft charakterisirte Gestalten, wie Athene. Hermes, Herakles,
immer wieder die überflüssige Inschrift erhalten, fehlt sie bei ganz dunkeln
Figuren, und damit oft der Schlüssel zur Deutung. Mitunter geben gerade
die Inschriften uns auch neue Räthsel auf; andermal ist es klar, daß der
Vasenmaler selbst nicht Bescheid gewußt, richtige Inschriften versetzt, auch
wohl offenbar verkehrte oder frei erfundene hingeschrieben hat. Aber er mußte
doch einen Grund haben, weshalb er sie nicht weglassen wollte.

Ein Theil der Inschriften geht die Maler und Fabrikanten an, die nicht
versäumt haben, ihre Namen daran zu verewigen. Daß sich unter denselben
der ehrwürdige Polygnotos findet, darf nicht irreleiten; es handelt sich


Ihrer Bedeutung nach sind die Inschriften sehr verschiedenartig. Un¬
mittelbar zum Gefäß gehörig sind die Trinksprüche, welche häufig nach grie-
chischer Sitte dem Gefäß in den Mund gelegt sind: „Sei gegrüßt und trink
mich aus!" „Hier thue einen guten Trunk!" „Trink vor und
setze nicht nieder!" „Dir bringe ichs zu!" Bei Darstellungen von
Gelagen sind solche Zurufe den zechenden Personen in den Mund gelegt.
Frauen, welche sich mit dem Kottabosspiel unterhalten — bei dem es da>
rauf ankam, mit der Neige aus der Schale ein bestimmtes Ziel zu treffen,
daß es klatschte — rufen dabei: „Dir zu Ehren, Leagros, ertheilte
ich die Neige." oder „Dir gilts, Euthymides!" Auch andere kleine
Gespräche finden sich aufgezeichnet. Drei Personen begrüßen die erste Schwalbe:
„Sieh da die Schwalbe!" sagt ein Knabe und weist mit dem Finger
hin. „Jawohl, beim Hercules!" antwortet ein Mann, der sich auf den
Ruf umsieht. „Das ist sie," sagt der dritte, „nun ist der Frühling
da." Auf einem anderen sagt ein Mann, der seine Oliven zu ernten im
Begriff ist:


O Bater Zeus! o laß mich reich doch werden!

und auf dem Gegenstück, wo er mit Einmessen des Oeles beschäftigt ist,
ruft er:


Nun ists ja voll! voll bis zum Ueberlaufen!

Bei weitem die meisten Inschriften aber sind bestimmt, die dargestellten Ge¬
genstände und Personen zu erklären, ein einfaches Hilfsmittel, das Verständ¬
niß des Beschauers bei äußerlichen Dingen zu fördern, welches die antike
Kunst nicht blos in anfänglicher Naivetät angewendet, sondern nie aufgege¬
ben hat. Den nachgebornen ist damit eine noch größere Wohlthat erwiesen
und es ist kaum zu sagen, in welchem Maaß die Erklärung der Darstellun¬
gen, nicht blos für den einzelnen Fall, sondern durch Festhalten sicherer Ana¬
logien für andere, durch diese Inschriften gewonnen hat. Freilich läuft man
nur zu oft dabei Gefahr, undankbar zu werden; denn diese Inschriften sind
mit erstaunlicher Ungleichheit vertheilt. Während bekannte, durch alle Um-
stände unzweifelhaft charakterisirte Gestalten, wie Athene. Hermes, Herakles,
immer wieder die überflüssige Inschrift erhalten, fehlt sie bei ganz dunkeln
Figuren, und damit oft der Schlüssel zur Deutung. Mitunter geben gerade
die Inschriften uns auch neue Räthsel auf; andermal ist es klar, daß der
Vasenmaler selbst nicht Bescheid gewußt, richtige Inschriften versetzt, auch
wohl offenbar verkehrte oder frei erfundene hingeschrieben hat. Aber er mußte
doch einen Grund haben, weshalb er sie nicht weglassen wollte.

Ein Theil der Inschriften geht die Maler und Fabrikanten an, die nicht
versäumt haben, ihre Namen daran zu verewigen. Daß sich unter denselben
der ehrwürdige Polygnotos findet, darf nicht irreleiten; es handelt sich


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[0494] Ihrer Bedeutung nach sind die Inschriften sehr verschiedenartig. Un¬ mittelbar zum Gefäß gehörig sind die Trinksprüche, welche häufig nach grie- chischer Sitte dem Gefäß in den Mund gelegt sind: „Sei gegrüßt und trink mich aus!" „Hier thue einen guten Trunk!" „Trink vor und setze nicht nieder!" „Dir bringe ichs zu!" Bei Darstellungen von Gelagen sind solche Zurufe den zechenden Personen in den Mund gelegt. Frauen, welche sich mit dem Kottabosspiel unterhalten — bei dem es da> rauf ankam, mit der Neige aus der Schale ein bestimmtes Ziel zu treffen, daß es klatschte — rufen dabei: „Dir zu Ehren, Leagros, ertheilte ich die Neige." oder „Dir gilts, Euthymides!" Auch andere kleine Gespräche finden sich aufgezeichnet. Drei Personen begrüßen die erste Schwalbe: „Sieh da die Schwalbe!" sagt ein Knabe und weist mit dem Finger hin. „Jawohl, beim Hercules!" antwortet ein Mann, der sich auf den Ruf umsieht. „Das ist sie," sagt der dritte, „nun ist der Frühling da." Auf einem anderen sagt ein Mann, der seine Oliven zu ernten im Begriff ist: O Bater Zeus! o laß mich reich doch werden! und auf dem Gegenstück, wo er mit Einmessen des Oeles beschäftigt ist, ruft er: Nun ists ja voll! voll bis zum Ueberlaufen! Bei weitem die meisten Inschriften aber sind bestimmt, die dargestellten Ge¬ genstände und Personen zu erklären, ein einfaches Hilfsmittel, das Verständ¬ niß des Beschauers bei äußerlichen Dingen zu fördern, welches die antike Kunst nicht blos in anfänglicher Naivetät angewendet, sondern nie aufgege¬ ben hat. Den nachgebornen ist damit eine noch größere Wohlthat erwiesen und es ist kaum zu sagen, in welchem Maaß die Erklärung der Darstellun¬ gen, nicht blos für den einzelnen Fall, sondern durch Festhalten sicherer Ana¬ logien für andere, durch diese Inschriften gewonnen hat. Freilich läuft man nur zu oft dabei Gefahr, undankbar zu werden; denn diese Inschriften sind mit erstaunlicher Ungleichheit vertheilt. Während bekannte, durch alle Um- stände unzweifelhaft charakterisirte Gestalten, wie Athene. Hermes, Herakles, immer wieder die überflüssige Inschrift erhalten, fehlt sie bei ganz dunkeln Figuren, und damit oft der Schlüssel zur Deutung. Mitunter geben gerade die Inschriften uns auch neue Räthsel auf; andermal ist es klar, daß der Vasenmaler selbst nicht Bescheid gewußt, richtige Inschriften versetzt, auch wohl offenbar verkehrte oder frei erfundene hingeschrieben hat. Aber er mußte doch einen Grund haben, weshalb er sie nicht weglassen wollte. Ein Theil der Inschriften geht die Maler und Fabrikanten an, die nicht versäumt haben, ihre Namen daran zu verewigen. Daß sich unter denselben der ehrwürdige Polygnotos findet, darf nicht irreleiten; es handelt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/494>, abgerufen am 15.01.2025.