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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Ehrgeiz mächtiger Völker und Herrscher für sich ausbeutend, die feste Burg
des Protestantismus im märkischen Sande mit Eroberung und im Gefolge
dessen dann unsere Cultur mit Verödung bedrohe.

Auf dasselbe hochgelegene Feld begab sich von den übrigen Rednern nur
noch Prof. v. Holtzendorff. der besonders die byzantinische Vermischung staat¬
lich-dynastischer'und kirchlicher Tendenzen geißelte. Der Untergang des Kö¬
nigreichs Hannover, in welchem dieser Mißbrauch vom Hofe her besonders
in Schwung gesetzt worden war. lieferte ihm dafür eine zeitlich und örtlich
naheliegende und schlagende Illustration.

Das merkwürdigste geistliche Mitglied des Protestantentages ist ohne
Frage, seitdem Richard Rothe ihm entrissen ist. Prof. Baumgarten aus Ro¬
stock, der kirchliche Leidensgefährte der Gebrüder Wiggers und anderer Mär¬
tyrer des in der Existenz Mecklenburgs conservirten politischen Anachronismus.
Man hat ihn neuerdings, als er sich des verketzerten Pastor Schwalb von
Bremen lebhaft annahm, einer zu absoluter Oppositionssucht, verbitterten
Gesinnung beschuldigen wollen. Wer Baumgarten so auffaßt, thut ihm un¬
recht. Nicht erst die rücksichtslose Verfolgung durch Kliefoth. Krabbe und
Genossen hat ihn in seine heutige kirchliche Stellung gedrängt, wenn
sie auch nothwendiger- und unvermeidlicherweise das ihrige dazu gethan
hat. die Bekennung zu diesem eigenthümlichen Standpunkt stärker auszuprä¬
gen. Aber schon als er von Schleswig nach Rostock berufen wurde, lagen
dicht neben seiner weitgehenden und aufrichtigen Bibelgläubigkeit die Keime
jenes entschiedenen kirchlichen Liberalismus, welcher ihn zu den Kämpfern des
Protestantismus gesellt hat. Ueber eine dahin gehörige Kundgebung seines
wahrhaftigen, unerschrockenen und eifrigen Gemüthes ist er ja auch Zuerst in
Zwiespalt'mit den mecklenburgischen Päpstlein gerathen, denen seine sonstige
biblische Orthodoxie eben recht war. Es ist freilich heutzutage ausnehmend
selten, daß ein Theologe strenge Bibelgläubigkeit verbindet mit der Forde¬
rung der unbedingten Trennung der Kirche vom Staat und mit dem Streben
nach Gleichberechtigung verschiedener Parteien innerhalb der Kirche Baum-
garten macht daher, seine Persönlichkeit hinzugenommen, auch acht den Mn-
druck eines Theologen der Gegenwart. ... -

-^Das kirchlich-religiöse Bewußtsein überschattet bei ihm mehr als bei fast
allen anderen Zeitgenossen die übrige innere Welt. Deswegen vor allen
und weit weniger wegen seiner conservativen dogmatischen Stellung, ist er
dem Protestantentage ein so schätzbarer Mitstreiter. Seine Theilnahme allem
reicht hin. die positive christliche Natur des Protestantentages Zu bezeugen.
Diese Thatsacke wird weder der affectirte Kummer noch der wirkliche ^er-
druß vornehmer officiöser Kirchenblätter umstoßen. Seinem gläubigen Ge¬
wissen genügt, daß die Partei, zu welcher er gestoßen ist. seinen dogmatischen


Ehrgeiz mächtiger Völker und Herrscher für sich ausbeutend, die feste Burg
des Protestantismus im märkischen Sande mit Eroberung und im Gefolge
dessen dann unsere Cultur mit Verödung bedrohe.

Auf dasselbe hochgelegene Feld begab sich von den übrigen Rednern nur
noch Prof. v. Holtzendorff. der besonders die byzantinische Vermischung staat¬
lich-dynastischer'und kirchlicher Tendenzen geißelte. Der Untergang des Kö¬
nigreichs Hannover, in welchem dieser Mißbrauch vom Hofe her besonders
in Schwung gesetzt worden war. lieferte ihm dafür eine zeitlich und örtlich
naheliegende und schlagende Illustration.

Das merkwürdigste geistliche Mitglied des Protestantentages ist ohne
Frage, seitdem Richard Rothe ihm entrissen ist. Prof. Baumgarten aus Ro¬
stock, der kirchliche Leidensgefährte der Gebrüder Wiggers und anderer Mär¬
tyrer des in der Existenz Mecklenburgs conservirten politischen Anachronismus.
Man hat ihn neuerdings, als er sich des verketzerten Pastor Schwalb von
Bremen lebhaft annahm, einer zu absoluter Oppositionssucht, verbitterten
Gesinnung beschuldigen wollen. Wer Baumgarten so auffaßt, thut ihm un¬
recht. Nicht erst die rücksichtslose Verfolgung durch Kliefoth. Krabbe und
Genossen hat ihn in seine heutige kirchliche Stellung gedrängt, wenn
sie auch nothwendiger- und unvermeidlicherweise das ihrige dazu gethan
hat. die Bekennung zu diesem eigenthümlichen Standpunkt stärker auszuprä¬
gen. Aber schon als er von Schleswig nach Rostock berufen wurde, lagen
dicht neben seiner weitgehenden und aufrichtigen Bibelgläubigkeit die Keime
jenes entschiedenen kirchlichen Liberalismus, welcher ihn zu den Kämpfern des
Protestantismus gesellt hat. Ueber eine dahin gehörige Kundgebung seines
wahrhaftigen, unerschrockenen und eifrigen Gemüthes ist er ja auch Zuerst in
Zwiespalt'mit den mecklenburgischen Päpstlein gerathen, denen seine sonstige
biblische Orthodoxie eben recht war. Es ist freilich heutzutage ausnehmend
selten, daß ein Theologe strenge Bibelgläubigkeit verbindet mit der Forde¬
rung der unbedingten Trennung der Kirche vom Staat und mit dem Streben
nach Gleichberechtigung verschiedener Parteien innerhalb der Kirche Baum-
garten macht daher, seine Persönlichkeit hinzugenommen, auch acht den Mn-
druck eines Theologen der Gegenwart. ... -

-^Das kirchlich-religiöse Bewußtsein überschattet bei ihm mehr als bei fast
allen anderen Zeitgenossen die übrige innere Welt. Deswegen vor allen
und weit weniger wegen seiner conservativen dogmatischen Stellung, ist er
dem Protestantentage ein so schätzbarer Mitstreiter. Seine Theilnahme allem
reicht hin. die positive christliche Natur des Protestantentages Zu bezeugen.
Diese Thatsacke wird weder der affectirte Kummer noch der wirkliche ^er-
druß vornehmer officiöser Kirchenblätter umstoßen. Seinem gläubigen Ge¬
wissen genügt, daß die Partei, zu welcher er gestoßen ist. seinen dogmatischen


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[0479] Ehrgeiz mächtiger Völker und Herrscher für sich ausbeutend, die feste Burg des Protestantismus im märkischen Sande mit Eroberung und im Gefolge dessen dann unsere Cultur mit Verödung bedrohe. Auf dasselbe hochgelegene Feld begab sich von den übrigen Rednern nur noch Prof. v. Holtzendorff. der besonders die byzantinische Vermischung staat¬ lich-dynastischer'und kirchlicher Tendenzen geißelte. Der Untergang des Kö¬ nigreichs Hannover, in welchem dieser Mißbrauch vom Hofe her besonders in Schwung gesetzt worden war. lieferte ihm dafür eine zeitlich und örtlich naheliegende und schlagende Illustration. Das merkwürdigste geistliche Mitglied des Protestantentages ist ohne Frage, seitdem Richard Rothe ihm entrissen ist. Prof. Baumgarten aus Ro¬ stock, der kirchliche Leidensgefährte der Gebrüder Wiggers und anderer Mär¬ tyrer des in der Existenz Mecklenburgs conservirten politischen Anachronismus. Man hat ihn neuerdings, als er sich des verketzerten Pastor Schwalb von Bremen lebhaft annahm, einer zu absoluter Oppositionssucht, verbitterten Gesinnung beschuldigen wollen. Wer Baumgarten so auffaßt, thut ihm un¬ recht. Nicht erst die rücksichtslose Verfolgung durch Kliefoth. Krabbe und Genossen hat ihn in seine heutige kirchliche Stellung gedrängt, wenn sie auch nothwendiger- und unvermeidlicherweise das ihrige dazu gethan hat. die Bekennung zu diesem eigenthümlichen Standpunkt stärker auszuprä¬ gen. Aber schon als er von Schleswig nach Rostock berufen wurde, lagen dicht neben seiner weitgehenden und aufrichtigen Bibelgläubigkeit die Keime jenes entschiedenen kirchlichen Liberalismus, welcher ihn zu den Kämpfern des Protestantismus gesellt hat. Ueber eine dahin gehörige Kundgebung seines wahrhaftigen, unerschrockenen und eifrigen Gemüthes ist er ja auch Zuerst in Zwiespalt'mit den mecklenburgischen Päpstlein gerathen, denen seine sonstige biblische Orthodoxie eben recht war. Es ist freilich heutzutage ausnehmend selten, daß ein Theologe strenge Bibelgläubigkeit verbindet mit der Forde¬ rung der unbedingten Trennung der Kirche vom Staat und mit dem Streben nach Gleichberechtigung verschiedener Parteien innerhalb der Kirche Baum- garten macht daher, seine Persönlichkeit hinzugenommen, auch acht den Mn- druck eines Theologen der Gegenwart. ... - -^Das kirchlich-religiöse Bewußtsein überschattet bei ihm mehr als bei fast allen anderen Zeitgenossen die übrige innere Welt. Deswegen vor allen und weit weniger wegen seiner conservativen dogmatischen Stellung, ist er dem Protestantentage ein so schätzbarer Mitstreiter. Seine Theilnahme allem reicht hin. die positive christliche Natur des Protestantentages Zu bezeugen. Diese Thatsacke wird weder der affectirte Kummer noch der wirkliche ^er- druß vornehmer officiöser Kirchenblätter umstoßen. Seinem gläubigen Ge¬ wissen genügt, daß die Partei, zu welcher er gestoßen ist. seinen dogmatischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/479>, abgerufen am 15.01.2025.