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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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ganzem Herzen das Beste. Wir wünschen insofern sogar um unsrer selbst
willen sein stetes Beharren und rüstiges Vorwärtsschreiten ausdem Wege
der Befreiung vom römisch-hierarchischen Joche, als darin eine große gewisse
Bürgschaft liegen könnte, daß es in einem etwa drohenden Entscheidungs¬
kampf zwischen Deutschland und Frankreich seine natürliche Stellung an
unserer Seite einzunehmen nicht versäumen werde. Allein wer die mehr¬
hundertjährige Geschichte der Beziehungen zwischen Wien und Nom und die
Macht der klericalen Einflüsse bei Hofe sowohl als in den Massen nicht ver¬
gißt, kann unmöglich wähnen, durch einige papierene Gesetzerlasse und den
mehr vom Kaiser beliebten als vom Volk erzwungenen Liberalismus des
Ministeriums sei ein Rückfall für immer abgeschieden.

Im Gegensatz zu dieser Würdigung der östreichischen Reformen srhielt
Bluntschli auch Gelegenheit, zumal in seinem gewaltig ergreifenden Schlu߬
wort, sich über Preußens Stellung zu den schwebenden Kirchenfragen zu
äußern. Man bemerkte wohl, wie ihn dieses ernste Capitel der Tagespolitik
fortwährend vor der Seele schwebte. Desto tröstlicher klang der hoffnungs¬
volle und zuversichtliche Ton, in welchem er, selbstverständlich nur immer
streifend und andeutungsweise, dasselbe behandelte. Er sprach von Friedrich
dem Großen, der in seiner Art, wenn auch von den überlieferten kirchlichen
Formen völlig abweichend, ein sehr ausgeprägtes Gottesbewußtsein besessen
habe und dessen weltberühmte kirchenrechtliche Maxime den Kanon für die
Stellung des modernen Staats zur Kirche enthalte, -- gerade wie sein re¬
publikanischer Zeitgenosse in der angelsächsischen Welt jenseits des Oceans,
Washington, von Gottesbewußtsein erfüllt gewesen sei, ohne mit dem herr¬
schenden Kirchenwesen besonders übereinzustimmen. Als von der im No¬
vember zu Berlin und Breslau bevorstehenden Jubelfeier Schleiermachers die
Rede war, stellte Bluntschli diesen großen preußischen Theologen neben Lessing
als den hauptsächlichen Vorläufer des Protestantenvereins hin. Eine jetzt ein¬
flußreiche Richtung allerdings wolle die Mitglieder der Protestantenvereine
nicht einmal als rechtmäßige Kinder der evangelischen Kirche anerkennen.
Aber man werde sich durch sie nicht verdrängen lassen; man hege die Ueber¬
zeugung, den wahren Geist des Protestantismus treuer zu bewahren und le¬
bendiger in sich zu tragen als die, welche aus ihm eine Form machten, um
sich mittelst derselben die Herrschaft über die Gewissen zu sichern. Dieser
Geist habe Staat und Kirche in Preußen groß machen helfen: ihn nicht zu
verleugnen, habe Preußen die stärksten, ja wahrhaft furchtbare Motive, welche
in entscheidenden Stunden jeden anderen Beweggrund überwältigen würden.
Nur der entschlossenste kirchliche und politische Liberalismus, aber wahrhaftig
nicht eine hohle Orthodoxie sei im Stande, den Kampf mit jener den Erd¬
ball umspannenden geistlichen Macht aufzunehmen, welche von Rom aus, den


ganzem Herzen das Beste. Wir wünschen insofern sogar um unsrer selbst
willen sein stetes Beharren und rüstiges Vorwärtsschreiten ausdem Wege
der Befreiung vom römisch-hierarchischen Joche, als darin eine große gewisse
Bürgschaft liegen könnte, daß es in einem etwa drohenden Entscheidungs¬
kampf zwischen Deutschland und Frankreich seine natürliche Stellung an
unserer Seite einzunehmen nicht versäumen werde. Allein wer die mehr¬
hundertjährige Geschichte der Beziehungen zwischen Wien und Nom und die
Macht der klericalen Einflüsse bei Hofe sowohl als in den Massen nicht ver¬
gißt, kann unmöglich wähnen, durch einige papierene Gesetzerlasse und den
mehr vom Kaiser beliebten als vom Volk erzwungenen Liberalismus des
Ministeriums sei ein Rückfall für immer abgeschieden.

Im Gegensatz zu dieser Würdigung der östreichischen Reformen srhielt
Bluntschli auch Gelegenheit, zumal in seinem gewaltig ergreifenden Schlu߬
wort, sich über Preußens Stellung zu den schwebenden Kirchenfragen zu
äußern. Man bemerkte wohl, wie ihn dieses ernste Capitel der Tagespolitik
fortwährend vor der Seele schwebte. Desto tröstlicher klang der hoffnungs¬
volle und zuversichtliche Ton, in welchem er, selbstverständlich nur immer
streifend und andeutungsweise, dasselbe behandelte. Er sprach von Friedrich
dem Großen, der in seiner Art, wenn auch von den überlieferten kirchlichen
Formen völlig abweichend, ein sehr ausgeprägtes Gottesbewußtsein besessen
habe und dessen weltberühmte kirchenrechtliche Maxime den Kanon für die
Stellung des modernen Staats zur Kirche enthalte, — gerade wie sein re¬
publikanischer Zeitgenosse in der angelsächsischen Welt jenseits des Oceans,
Washington, von Gottesbewußtsein erfüllt gewesen sei, ohne mit dem herr¬
schenden Kirchenwesen besonders übereinzustimmen. Als von der im No¬
vember zu Berlin und Breslau bevorstehenden Jubelfeier Schleiermachers die
Rede war, stellte Bluntschli diesen großen preußischen Theologen neben Lessing
als den hauptsächlichen Vorläufer des Protestantenvereins hin. Eine jetzt ein¬
flußreiche Richtung allerdings wolle die Mitglieder der Protestantenvereine
nicht einmal als rechtmäßige Kinder der evangelischen Kirche anerkennen.
Aber man werde sich durch sie nicht verdrängen lassen; man hege die Ueber¬
zeugung, den wahren Geist des Protestantismus treuer zu bewahren und le¬
bendiger in sich zu tragen als die, welche aus ihm eine Form machten, um
sich mittelst derselben die Herrschaft über die Gewissen zu sichern. Dieser
Geist habe Staat und Kirche in Preußen groß machen helfen: ihn nicht zu
verleugnen, habe Preußen die stärksten, ja wahrhaft furchtbare Motive, welche
in entscheidenden Stunden jeden anderen Beweggrund überwältigen würden.
Nur der entschlossenste kirchliche und politische Liberalismus, aber wahrhaftig
nicht eine hohle Orthodoxie sei im Stande, den Kampf mit jener den Erd¬
ball umspannenden geistlichen Macht aufzunehmen, welche von Rom aus, den


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[0478] ganzem Herzen das Beste. Wir wünschen insofern sogar um unsrer selbst willen sein stetes Beharren und rüstiges Vorwärtsschreiten ausdem Wege der Befreiung vom römisch-hierarchischen Joche, als darin eine große gewisse Bürgschaft liegen könnte, daß es in einem etwa drohenden Entscheidungs¬ kampf zwischen Deutschland und Frankreich seine natürliche Stellung an unserer Seite einzunehmen nicht versäumen werde. Allein wer die mehr¬ hundertjährige Geschichte der Beziehungen zwischen Wien und Nom und die Macht der klericalen Einflüsse bei Hofe sowohl als in den Massen nicht ver¬ gißt, kann unmöglich wähnen, durch einige papierene Gesetzerlasse und den mehr vom Kaiser beliebten als vom Volk erzwungenen Liberalismus des Ministeriums sei ein Rückfall für immer abgeschieden. Im Gegensatz zu dieser Würdigung der östreichischen Reformen srhielt Bluntschli auch Gelegenheit, zumal in seinem gewaltig ergreifenden Schlu߬ wort, sich über Preußens Stellung zu den schwebenden Kirchenfragen zu äußern. Man bemerkte wohl, wie ihn dieses ernste Capitel der Tagespolitik fortwährend vor der Seele schwebte. Desto tröstlicher klang der hoffnungs¬ volle und zuversichtliche Ton, in welchem er, selbstverständlich nur immer streifend und andeutungsweise, dasselbe behandelte. Er sprach von Friedrich dem Großen, der in seiner Art, wenn auch von den überlieferten kirchlichen Formen völlig abweichend, ein sehr ausgeprägtes Gottesbewußtsein besessen habe und dessen weltberühmte kirchenrechtliche Maxime den Kanon für die Stellung des modernen Staats zur Kirche enthalte, — gerade wie sein re¬ publikanischer Zeitgenosse in der angelsächsischen Welt jenseits des Oceans, Washington, von Gottesbewußtsein erfüllt gewesen sei, ohne mit dem herr¬ schenden Kirchenwesen besonders übereinzustimmen. Als von der im No¬ vember zu Berlin und Breslau bevorstehenden Jubelfeier Schleiermachers die Rede war, stellte Bluntschli diesen großen preußischen Theologen neben Lessing als den hauptsächlichen Vorläufer des Protestantenvereins hin. Eine jetzt ein¬ flußreiche Richtung allerdings wolle die Mitglieder der Protestantenvereine nicht einmal als rechtmäßige Kinder der evangelischen Kirche anerkennen. Aber man werde sich durch sie nicht verdrängen lassen; man hege die Ueber¬ zeugung, den wahren Geist des Protestantismus treuer zu bewahren und le¬ bendiger in sich zu tragen als die, welche aus ihm eine Form machten, um sich mittelst derselben die Herrschaft über die Gewissen zu sichern. Dieser Geist habe Staat und Kirche in Preußen groß machen helfen: ihn nicht zu verleugnen, habe Preußen die stärksten, ja wahrhaft furchtbare Motive, welche in entscheidenden Stunden jeden anderen Beweggrund überwältigen würden. Nur der entschlossenste kirchliche und politische Liberalismus, aber wahrhaftig nicht eine hohle Orthodoxie sei im Stande, den Kampf mit jener den Erd¬ ball umspannenden geistlichen Macht aufzunehmen, welche von Rom aus, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/478>, abgerufen am 15.01.2025.