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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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dens. sie wird das einzig unterscheidende der Nation sein, und auch dazu ist
der Anfang schon bei den letzten Wahlen gemacht worden. Nirgends han¬
delte es sich bei den Candidaten um die Frage: Liberal oder Conservativ?
Schutzzoll oder Freihandel? Einzig das Verhältniß zur nationalen Frage
entschied. Alle würtembergischen Abgeordneten, auch diejenigen, welche in
den speciellen Aufgaben des Parlaments sich rühmen können competent zu
sein, sind nur wegen ihrer politischen Parteistellung gewählt worden. Es
war daher immerhin auffallend, daß gerade sie sich berufen fühlten, so oft
ein politisches Wort fiel, sich zu Obercompetenzräthen der Versammlung aus¬
zuwerfen. Dieselben Abgeordneten, die bei jedem politischen Luftzug rheuma¬
tische Schmerzen verspürten, hatten gar keine andere Legitimation, im Par¬
lament zu sitzen, als eben ihre politische Gesinnung, von welcher sie in den
Candidatenreden ihre Wähler ausschließlich unterhalten hatten. Und in Zu¬
kunft wird es nicht anders sein. Die Verbindung unserer Democratie mit
den Reaetionären und Ultramontanen ist. wie sich schon jetzt zeigt, eine mehr
als vorübergehende. Auch bei den bevorstehenden Landtagswahlen wird der
Kampf wieder um dieselben Schlagworte geführt werden. Dieselben Phra¬
sen werden wir auch fortan im Stuttgarter Beobachter und im Münchner
Volksboden lesen. Auch in Zukunft werden die Namen unserer Freiheitshel¬
den mit den Vertretern des dicksten Bajuvarenthums friedlich gesellt unter
denselben Aktenstücken prangen.

Dabei hat sich die nicht eben überraschende Wahrnehmung ergeben, daß
für die sogenannte Volkspartei kein Raum ist in einem deutschen Parlamente.
Als Volkspartei hat sie gar keine Rolle spielen können, sondern nur als
Theil der süddeutschen Fraction, in welcher sie neben den vorwiegenden re¬
actionären Richtungen eine höchst untergeordnete Stelle eingenommen hat.
Sie ging geradezu auf in eine Fraction, in welcher die Junker und Cleri-
calen die anerkannte Führung hatten. Diese untergeordnete Rolle schienen
sie selbst zu empfinden, kein Mitglied der schwäbischen Volkspartei ergriff im
Parlamente je das Wort. Nur in einer Volksversammlung entwickelte
Oesterlen die bekannten Sätze der Volkspartei, aber auch hier schien der Red¬
ner von dem sonstigen Glauben an seine Partei so sehr verlassen, daß er
einen Hauptsatz der schwäbischen Radicalen förmlich verläugnete und preis-
gab, nämlich den, daß der Anstoß zur Constituirung Deutschlands vom frei¬
heitlichen Süden ausgehen müsse. Die Initiative, meinte er in ungewohn-
ter Bescheidenheit, könne natürlich nicht von dem kleinen Süden ausgehen,
sondern stehe nur dem edlen großen preußischen "Volk" zu.

Auch ein solches Zugeständniß ist bemerkenswerth. Sonst ist freilich
von Bekehrung oder Besserung unserer heimgekehrten Zöllner wenig zu
spüren. Selbst wenn sie erfolgt wäre, würde sie natürlich nicht so unbefan-


dens. sie wird das einzig unterscheidende der Nation sein, und auch dazu ist
der Anfang schon bei den letzten Wahlen gemacht worden. Nirgends han¬
delte es sich bei den Candidaten um die Frage: Liberal oder Conservativ?
Schutzzoll oder Freihandel? Einzig das Verhältniß zur nationalen Frage
entschied. Alle würtembergischen Abgeordneten, auch diejenigen, welche in
den speciellen Aufgaben des Parlaments sich rühmen können competent zu
sein, sind nur wegen ihrer politischen Parteistellung gewählt worden. Es
war daher immerhin auffallend, daß gerade sie sich berufen fühlten, so oft
ein politisches Wort fiel, sich zu Obercompetenzräthen der Versammlung aus¬
zuwerfen. Dieselben Abgeordneten, die bei jedem politischen Luftzug rheuma¬
tische Schmerzen verspürten, hatten gar keine andere Legitimation, im Par¬
lament zu sitzen, als eben ihre politische Gesinnung, von welcher sie in den
Candidatenreden ihre Wähler ausschließlich unterhalten hatten. Und in Zu¬
kunft wird es nicht anders sein. Die Verbindung unserer Democratie mit
den Reaetionären und Ultramontanen ist. wie sich schon jetzt zeigt, eine mehr
als vorübergehende. Auch bei den bevorstehenden Landtagswahlen wird der
Kampf wieder um dieselben Schlagworte geführt werden. Dieselben Phra¬
sen werden wir auch fortan im Stuttgarter Beobachter und im Münchner
Volksboden lesen. Auch in Zukunft werden die Namen unserer Freiheitshel¬
den mit den Vertretern des dicksten Bajuvarenthums friedlich gesellt unter
denselben Aktenstücken prangen.

Dabei hat sich die nicht eben überraschende Wahrnehmung ergeben, daß
für die sogenannte Volkspartei kein Raum ist in einem deutschen Parlamente.
Als Volkspartei hat sie gar keine Rolle spielen können, sondern nur als
Theil der süddeutschen Fraction, in welcher sie neben den vorwiegenden re¬
actionären Richtungen eine höchst untergeordnete Stelle eingenommen hat.
Sie ging geradezu auf in eine Fraction, in welcher die Junker und Cleri-
calen die anerkannte Führung hatten. Diese untergeordnete Rolle schienen
sie selbst zu empfinden, kein Mitglied der schwäbischen Volkspartei ergriff im
Parlamente je das Wort. Nur in einer Volksversammlung entwickelte
Oesterlen die bekannten Sätze der Volkspartei, aber auch hier schien der Red¬
ner von dem sonstigen Glauben an seine Partei so sehr verlassen, daß er
einen Hauptsatz der schwäbischen Radicalen förmlich verläugnete und preis-
gab, nämlich den, daß der Anstoß zur Constituirung Deutschlands vom frei¬
heitlichen Süden ausgehen müsse. Die Initiative, meinte er in ungewohn-
ter Bescheidenheit, könne natürlich nicht von dem kleinen Süden ausgehen,
sondern stehe nur dem edlen großen preußischen „Volk" zu.

Auch ein solches Zugeständniß ist bemerkenswerth. Sonst ist freilich
von Bekehrung oder Besserung unserer heimgekehrten Zöllner wenig zu
spüren. Selbst wenn sie erfolgt wäre, würde sie natürlich nicht so unbefan-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/467>, abgerufen am 15.01.2025.