Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Nach dem Schluß des Zoüparlaments.*)

Bevor das Zollparlament seine erste Probe bestand, hat man, um seine
Bedeutung ins Licht zu stellen, vielfach daran erinnert, wie noch vor kurzem
eine parlamentarische Reform des Zollvereins überhaupt als das höchste er¬
reichbare Ziel angesehen wurde. Auch jetzt nachdem die erste Session vorüber,
und die Urtheile über den Werth dieser Einrichtung, je nach den Hoffnun¬
gen, die an sie geknüpft waren, schwanken ist es nicht ohne Interesse, sich zu
vergegenwärtigen, was man einst von ihr erwartete, ehe das Jahr 1866 sie
ins Leben rief.

In sehr ausführlicher und zum Theil scharfsinniger Weise ist der Ge¬
danke, mittelst einer parlamentarischen Reform des Zollvereins dem Problem
der deutschen Einheit näher zu rücken, in einer Schrift entwickelt, die im
Jahr 1862 erschien und einen schwäbischen Professor zum Verfasser hattet)
Sie entstand in einer Zeit, da der Gegensatz von Preußen und Oestreich,
von Nord und Süd, von Freihandel und Schutzzoll heftiger als je aufein¬
anderstieß, da die Schlagworte Großdeutsch und Kleindeutsch bereits zu er¬
müden begannen und der schon ältere Gedanke sich wieder aufdrängte, ob
nicht die deutsche Frage auf einem praktischeren Wege, als ihn die bisherigen
Parteiprogramme wiesen, wenn auch vorerst in bescheidener Weise angefaßt
werden könne. Es war nach Frauer der wesentliche Fehler des Gagernschen
Programms, daß es den angestrebten Bundesstaat in kein Verhältniß zum
Zollverein setzte; denn "einen deutschen Bundesstaat gründen zu wollen ohne
den Zollverein als Grundlage und Ausgangspunkt zu benutzen, ist so thö¬
richt, wie wenn man ein Haus auf einem bestimmten Boden bauen wollte,
ohne das Erdgeschoß zu berücksichtigen, das schon auf diesem Platze steht."
Die parlamentarische Verfassung des reformirten Zollvereins dachte sich nun
der Verfasser ganz in derselben Weise, wie sie jetzt eingeführt ist. In Betreff
der Zuständigkeit der Vereinsorgane war seine Meinung, daß dieselben in
bescheidenem Umfang beginnend und zunächst auf das Handels- und Ver-
kehrsleben der Nation beschränkt, sich allmählich über immer weitere Gegen¬
stände ausdehnen sollten, bis sie schließlich die eigentlich politischen Organe
der Nation geworden wären. Als der Anfang erscheint ihm, daß alle Akte
der inneren Gesetzgebung, wie alle Verträge mit dem Ausland, anstatt wie
bisher an die Zustimmung der einzelnen Regierungen und Landstände ge-




") Die Redaktion stellt die beiden folgenden Berichte geehrter Korrespondenten nebenein.
ander, weil sie für die verschiedenartige Beurtheilung des ersten Zollparlaments durch unsere
Freunde in Süddeutschland charakteristisch find.
"
) Die Reform des Zollvereins, und die deutsche Zukunft, zur Versöhnung von Nord
und Süd. Von Dr. L. Frauer. Braunschweig 1862.
ö8*
Nach dem Schluß des Zoüparlaments.*)

Bevor das Zollparlament seine erste Probe bestand, hat man, um seine
Bedeutung ins Licht zu stellen, vielfach daran erinnert, wie noch vor kurzem
eine parlamentarische Reform des Zollvereins überhaupt als das höchste er¬
reichbare Ziel angesehen wurde. Auch jetzt nachdem die erste Session vorüber,
und die Urtheile über den Werth dieser Einrichtung, je nach den Hoffnun¬
gen, die an sie geknüpft waren, schwanken ist es nicht ohne Interesse, sich zu
vergegenwärtigen, was man einst von ihr erwartete, ehe das Jahr 1866 sie
ins Leben rief.

In sehr ausführlicher und zum Theil scharfsinniger Weise ist der Ge¬
danke, mittelst einer parlamentarischen Reform des Zollvereins dem Problem
der deutschen Einheit näher zu rücken, in einer Schrift entwickelt, die im
Jahr 1862 erschien und einen schwäbischen Professor zum Verfasser hattet)
Sie entstand in einer Zeit, da der Gegensatz von Preußen und Oestreich,
von Nord und Süd, von Freihandel und Schutzzoll heftiger als je aufein¬
anderstieß, da die Schlagworte Großdeutsch und Kleindeutsch bereits zu er¬
müden begannen und der schon ältere Gedanke sich wieder aufdrängte, ob
nicht die deutsche Frage auf einem praktischeren Wege, als ihn die bisherigen
Parteiprogramme wiesen, wenn auch vorerst in bescheidener Weise angefaßt
werden könne. Es war nach Frauer der wesentliche Fehler des Gagernschen
Programms, daß es den angestrebten Bundesstaat in kein Verhältniß zum
Zollverein setzte; denn „einen deutschen Bundesstaat gründen zu wollen ohne
den Zollverein als Grundlage und Ausgangspunkt zu benutzen, ist so thö¬
richt, wie wenn man ein Haus auf einem bestimmten Boden bauen wollte,
ohne das Erdgeschoß zu berücksichtigen, das schon auf diesem Platze steht."
Die parlamentarische Verfassung des reformirten Zollvereins dachte sich nun
der Verfasser ganz in derselben Weise, wie sie jetzt eingeführt ist. In Betreff
der Zuständigkeit der Vereinsorgane war seine Meinung, daß dieselben in
bescheidenem Umfang beginnend und zunächst auf das Handels- und Ver-
kehrsleben der Nation beschränkt, sich allmählich über immer weitere Gegen¬
stände ausdehnen sollten, bis sie schließlich die eigentlich politischen Organe
der Nation geworden wären. Als der Anfang erscheint ihm, daß alle Akte
der inneren Gesetzgebung, wie alle Verträge mit dem Ausland, anstatt wie
bisher an die Zustimmung der einzelnen Regierungen und Landstände ge-




") Die Redaktion stellt die beiden folgenden Berichte geehrter Korrespondenten nebenein.
ander, weil sie für die verschiedenartige Beurtheilung des ersten Zollparlaments durch unsere
Freunde in Süddeutschland charakteristisch find.
"
) Die Reform des Zollvereins, und die deutsche Zukunft, zur Versöhnung von Nord
und Süd. Von Dr. L. Frauer. Braunschweig 1862.
ö8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117995"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Nach dem Schluß des Zoüparlaments.*)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1456"> Bevor das Zollparlament seine erste Probe bestand, hat man, um seine<lb/>
Bedeutung ins Licht zu stellen, vielfach daran erinnert, wie noch vor kurzem<lb/>
eine parlamentarische Reform des Zollvereins überhaupt als das höchste er¬<lb/>
reichbare Ziel angesehen wurde. Auch jetzt nachdem die erste Session vorüber,<lb/>
und die Urtheile über den Werth dieser Einrichtung, je nach den Hoffnun¬<lb/>
gen, die an sie geknüpft waren, schwanken ist es nicht ohne Interesse, sich zu<lb/>
vergegenwärtigen, was man einst von ihr erwartete, ehe das Jahr 1866 sie<lb/>
ins Leben rief.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1457" next="#ID_1458"> In sehr ausführlicher und zum Theil scharfsinniger Weise ist der Ge¬<lb/>
danke, mittelst einer parlamentarischen Reform des Zollvereins dem Problem<lb/>
der deutschen Einheit näher zu rücken, in einer Schrift entwickelt, die im<lb/>
Jahr 1862 erschien und einen schwäbischen Professor zum Verfasser hattet)<lb/>
Sie entstand in einer Zeit, da der Gegensatz von Preußen und Oestreich,<lb/>
von Nord und Süd, von Freihandel und Schutzzoll heftiger als je aufein¬<lb/>
anderstieß, da die Schlagworte Großdeutsch und Kleindeutsch bereits zu er¬<lb/>
müden begannen und der schon ältere Gedanke sich wieder aufdrängte, ob<lb/>
nicht die deutsche Frage auf einem praktischeren Wege, als ihn die bisherigen<lb/>
Parteiprogramme wiesen, wenn auch vorerst in bescheidener Weise angefaßt<lb/>
werden könne. Es war nach Frauer der wesentliche Fehler des Gagernschen<lb/>
Programms, daß es den angestrebten Bundesstaat in kein Verhältniß zum<lb/>
Zollverein setzte; denn &#x201E;einen deutschen Bundesstaat gründen zu wollen ohne<lb/>
den Zollverein als Grundlage und Ausgangspunkt zu benutzen, ist so thö¬<lb/>
richt, wie wenn man ein Haus auf einem bestimmten Boden bauen wollte,<lb/>
ohne das Erdgeschoß zu berücksichtigen, das schon auf diesem Platze steht."<lb/>
Die parlamentarische Verfassung des reformirten Zollvereins dachte sich nun<lb/>
der Verfasser ganz in derselben Weise, wie sie jetzt eingeführt ist. In Betreff<lb/>
der Zuständigkeit der Vereinsorgane war seine Meinung, daß dieselben in<lb/>
bescheidenem Umfang beginnend und zunächst auf das Handels- und Ver-<lb/>
kehrsleben der Nation beschränkt, sich allmählich über immer weitere Gegen¬<lb/>
stände ausdehnen sollten, bis sie schließlich die eigentlich politischen Organe<lb/>
der Nation geworden wären. Als der Anfang erscheint ihm, daß alle Akte<lb/>
der inneren Gesetzgebung, wie alle Verträge mit dem Ausland, anstatt wie<lb/>
bisher an die Zustimmung der einzelnen Regierungen und Landstände ge-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_49" place="foot"> ") Die Redaktion stellt die beiden folgenden Berichte geehrter Korrespondenten nebenein.<lb/>
ander, weil sie für die verschiedenartige Beurtheilung des ersten Zollparlaments durch unsere<lb/>
Freunde in Süddeutschland charakteristisch find.<lb/>
"</note><lb/>
          <note xml:id="FID_50" place="foot"> ) Die Reform des Zollvereins, und die deutsche Zukunft, zur Versöhnung von Nord<lb/>
und Süd. Von Dr. L. Frauer. Braunschweig 1862.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> ö8*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Nach dem Schluß des Zoüparlaments.*) Bevor das Zollparlament seine erste Probe bestand, hat man, um seine Bedeutung ins Licht zu stellen, vielfach daran erinnert, wie noch vor kurzem eine parlamentarische Reform des Zollvereins überhaupt als das höchste er¬ reichbare Ziel angesehen wurde. Auch jetzt nachdem die erste Session vorüber, und die Urtheile über den Werth dieser Einrichtung, je nach den Hoffnun¬ gen, die an sie geknüpft waren, schwanken ist es nicht ohne Interesse, sich zu vergegenwärtigen, was man einst von ihr erwartete, ehe das Jahr 1866 sie ins Leben rief. In sehr ausführlicher und zum Theil scharfsinniger Weise ist der Ge¬ danke, mittelst einer parlamentarischen Reform des Zollvereins dem Problem der deutschen Einheit näher zu rücken, in einer Schrift entwickelt, die im Jahr 1862 erschien und einen schwäbischen Professor zum Verfasser hattet) Sie entstand in einer Zeit, da der Gegensatz von Preußen und Oestreich, von Nord und Süd, von Freihandel und Schutzzoll heftiger als je aufein¬ anderstieß, da die Schlagworte Großdeutsch und Kleindeutsch bereits zu er¬ müden begannen und der schon ältere Gedanke sich wieder aufdrängte, ob nicht die deutsche Frage auf einem praktischeren Wege, als ihn die bisherigen Parteiprogramme wiesen, wenn auch vorerst in bescheidener Weise angefaßt werden könne. Es war nach Frauer der wesentliche Fehler des Gagernschen Programms, daß es den angestrebten Bundesstaat in kein Verhältniß zum Zollverein setzte; denn „einen deutschen Bundesstaat gründen zu wollen ohne den Zollverein als Grundlage und Ausgangspunkt zu benutzen, ist so thö¬ richt, wie wenn man ein Haus auf einem bestimmten Boden bauen wollte, ohne das Erdgeschoß zu berücksichtigen, das schon auf diesem Platze steht." Die parlamentarische Verfassung des reformirten Zollvereins dachte sich nun der Verfasser ganz in derselben Weise, wie sie jetzt eingeführt ist. In Betreff der Zuständigkeit der Vereinsorgane war seine Meinung, daß dieselben in bescheidenem Umfang beginnend und zunächst auf das Handels- und Ver- kehrsleben der Nation beschränkt, sich allmählich über immer weitere Gegen¬ stände ausdehnen sollten, bis sie schließlich die eigentlich politischen Organe der Nation geworden wären. Als der Anfang erscheint ihm, daß alle Akte der inneren Gesetzgebung, wie alle Verträge mit dem Ausland, anstatt wie bisher an die Zustimmung der einzelnen Regierungen und Landstände ge- ") Die Redaktion stellt die beiden folgenden Berichte geehrter Korrespondenten nebenein. ander, weil sie für die verschiedenartige Beurtheilung des ersten Zollparlaments durch unsere Freunde in Süddeutschland charakteristisch find. " ) Die Reform des Zollvereins, und die deutsche Zukunft, zur Versöhnung von Nord und Süd. Von Dr. L. Frauer. Braunschweig 1862. ö8*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/463>, abgerufen am 15.01.2025.