Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.unter den kurländischen Bauerknechten die trügerische Nachricht aus, die Je weiter man sich von der kurländischen Grenze entfernt, desto mehr unter den kurländischen Bauerknechten die trügerische Nachricht aus, die Je weiter man sich von der kurländischen Grenze entfernt, desto mehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117991"/> <p xml:id="ID_1449" prev="#ID_1448"> unter den kurländischen Bauerknechten die trügerische Nachricht aus, die<lb/> Regierung wolle Jedem, der zur griechisch-orthodoxen Kirche übertrete, unent¬<lb/> geltlichen Grundbesitz im schaulenschen Kreise, anweisen. Einige Dutzend kel¬<lb/> tischer Familien gingen über die Grenze, um sich die Sache näher anzusehen;<lb/> als man ihnen unter dem Vorwande, „für Umschreibung zur rechtgläubigen<lb/> Kirche müßten Gebühren gezahlt werden", Geld abzupressen suchte, wurden<lb/> die Einwanderer stutzig. Wenig später kam die kurländische Landpolizei der<lb/> Sache auf die Spur und allen Beschönigungsversuchen der kownoer Bureau¬<lb/> kratie zum Trotz mußte eingestanden werden, daß es sich um einen Betrug<lb/> der gröbsten Art gehandelt habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1450"> Je weiter man sich von der kurländischen Grenze entfernt, desto mehr<lb/> verschwinden die Spuren deutschen Einflusses — wenigstens auf dem<lb/> flachen Lande. Während im Norden Samogitiens einzelne protestantische<lb/> Kirchen mit ziemlich zahlreichen Gemeinden gefunden werden, nimmt das<lb/> Lar6 nach Süden hin einen ausschließlich katholischen Charakter an. Längs<lb/> der Chaussee, welche Mitau mit Tauroggen verbindet, werden immer zahl¬<lb/> reichere Kirchen. Kapellen, Heiligenbilder und Calvarienberge sichtbar, in<lb/> den Städten und Flecken kommen nur noch katholische Kirchen und Syna¬<lb/> gogen vor. In Samogitien (den zum polnischen Gouv. Augustowo gehörigen<lb/> Süden ausgenommen) ist die Zahl der Glieder der griechisch-orthodoxen und<lb/> der unirten Kirche ungleich geringer, als in den von Litthauern und Wei߬<lb/> russen bewohnten östlichen Provinzen. In diesen Ländern hatte das Christen¬<lb/> thum orientalischen Bekenntnisses bereits Wurzel geschlagen, ehe die Polen<lb/> in's Land kamen, Samogitien ist erst zur Zeit der polnischen Herrschaft<lb/> christianisirr und darum sofort katholisirt worden. Jene Union des Sees-'<lb/> zehnten Jahrhunderts, welche zahlreiche griechische Gemeinden Litthauens und<lb/> Weißrußlands zur Anerkennung der Oberherrschaft des Papstes zwang und,<lb/> später zu den Dissidentenhändeln Veranlassung gab. welche Rußlands Ein¬<lb/> mischung in die polnisch-lithauischen Dinge provocirten, war in Samogitien,<lb/> das trotz des Conversionseifers der deutschen Herren und des Herzogs Wibold bis<lb/> in das 16. Jahrhundert hinein heidnisch geblieben war. überflüssig. Aus diesem<lb/> Grunde hält es Mr die Pioniere der Russification und Demokratisirung<lb/> des wilnaer Generalgouvernements ungleich schwerer, in Samogitien Fuß<lb/> ZU fassen, als in den Gouvernements Wilna oder Witepsk. In diesen Pro¬<lb/> vinzen hat die Fiction, „es handele sich um eine bloße Wiederherstellung des<lb/> ursprünglich russisch-griechischen Charakters der Landschaft" wenigstens einzelne<lb/> historische Reminiscenzen für sich anzuführen, während in Samogitien nie¬<lb/> mals andere wie deutsche oder polnische Culturelemente geherrscht haben und<lb/> von einem historischen Rechte der Russen im Grunde gar nicht die Rede<lb/> sein kann.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0459]
unter den kurländischen Bauerknechten die trügerische Nachricht aus, die
Regierung wolle Jedem, der zur griechisch-orthodoxen Kirche übertrete, unent¬
geltlichen Grundbesitz im schaulenschen Kreise, anweisen. Einige Dutzend kel¬
tischer Familien gingen über die Grenze, um sich die Sache näher anzusehen;
als man ihnen unter dem Vorwande, „für Umschreibung zur rechtgläubigen
Kirche müßten Gebühren gezahlt werden", Geld abzupressen suchte, wurden
die Einwanderer stutzig. Wenig später kam die kurländische Landpolizei der
Sache auf die Spur und allen Beschönigungsversuchen der kownoer Bureau¬
kratie zum Trotz mußte eingestanden werden, daß es sich um einen Betrug
der gröbsten Art gehandelt habe.
Je weiter man sich von der kurländischen Grenze entfernt, desto mehr
verschwinden die Spuren deutschen Einflusses — wenigstens auf dem
flachen Lande. Während im Norden Samogitiens einzelne protestantische
Kirchen mit ziemlich zahlreichen Gemeinden gefunden werden, nimmt das
Lar6 nach Süden hin einen ausschließlich katholischen Charakter an. Längs
der Chaussee, welche Mitau mit Tauroggen verbindet, werden immer zahl¬
reichere Kirchen. Kapellen, Heiligenbilder und Calvarienberge sichtbar, in
den Städten und Flecken kommen nur noch katholische Kirchen und Syna¬
gogen vor. In Samogitien (den zum polnischen Gouv. Augustowo gehörigen
Süden ausgenommen) ist die Zahl der Glieder der griechisch-orthodoxen und
der unirten Kirche ungleich geringer, als in den von Litthauern und Wei߬
russen bewohnten östlichen Provinzen. In diesen Ländern hatte das Christen¬
thum orientalischen Bekenntnisses bereits Wurzel geschlagen, ehe die Polen
in's Land kamen, Samogitien ist erst zur Zeit der polnischen Herrschaft
christianisirr und darum sofort katholisirt worden. Jene Union des Sees-'
zehnten Jahrhunderts, welche zahlreiche griechische Gemeinden Litthauens und
Weißrußlands zur Anerkennung der Oberherrschaft des Papstes zwang und,
später zu den Dissidentenhändeln Veranlassung gab. welche Rußlands Ein¬
mischung in die polnisch-lithauischen Dinge provocirten, war in Samogitien,
das trotz des Conversionseifers der deutschen Herren und des Herzogs Wibold bis
in das 16. Jahrhundert hinein heidnisch geblieben war. überflüssig. Aus diesem
Grunde hält es Mr die Pioniere der Russification und Demokratisirung
des wilnaer Generalgouvernements ungleich schwerer, in Samogitien Fuß
ZU fassen, als in den Gouvernements Wilna oder Witepsk. In diesen Pro¬
vinzen hat die Fiction, „es handele sich um eine bloße Wiederherstellung des
ursprünglich russisch-griechischen Charakters der Landschaft" wenigstens einzelne
historische Reminiscenzen für sich anzuführen, während in Samogitien nie¬
mals andere wie deutsche oder polnische Culturelemente geherrscht haben und
von einem historischen Rechte der Russen im Grunde gar nicht die Rede
sein kann.
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