Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Elend alle Vergleiche ausschließt. Seit der polnische Adel, der die um¬ Die vor kurzem frei gewordenen und in den vollen Besitz ihrer Pacht¬ Elend alle Vergleiche ausschließt. Seit der polnische Adel, der die um¬ Die vor kurzem frei gewordenen und in den vollen Besitz ihrer Pacht¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117986"/> <p xml:id="ID_1440" prev="#ID_1439"> Elend alle Vergleiche ausschließt. Seit der polnische Adel, der die um¬<lb/> liegenden Schlösser und Höfe bewohnt, zufolge der Ereignisse von 1863 selbst<lb/> an den Bettelstab gebracht ist, erscheint es geradezu unbegreiflich, daß und wo¬<lb/> von die Hausirer und Geschäftsleute dieser Gegend leben, wer ihnen die<lb/> Waaren abkauft, die sie von rigaer und mitauer Kaufleuten oder aus den<lb/> Händen tauroggenscher Schleichhändler erworben haben. Ein großer Theil<lb/> der polnischen Güter ist confiscire oder unter Sequester gestellt, der Rest<lb/> wird von Leuten bewohnt, denen ihre plötzlich zu Grundbesitzern erklärten<lb/> Bauern unter allen möglichen Vorwänden die spärlichen Zinszahlungen, zu<lb/> denen sie verbunden sind, vorenthalten. Die Klöster sind entweder völlig,<lb/> aufgehoben oder auf schmale Kost gesetzt, die katholischen Pfarrer kämpfen<lb/> mit den benachbarten griechischen Geistlichen, .welche -für die „Rechtgläu¬<lb/> bigkeit" eifrig Propaganda machen, um ihre Existenz. Mit dem Wohlstande<lb/> der höheren Classen ist es in Samogitien so rasch rückwärts gegangen, daß eine<lb/> Anzahl von rigaer Wein- und Colonialwaarenhcindlern, welche hauptsächlich<lb/> in diese Gegenden Geschäfte machte, in den Jahren nach Beendigung des<lb/> polnischen Aufstandes wegen plötzlicher Stockung allen Absatzes bankerott<lb/> wurde. Die einzigen Consumenten für Luxusartikel, die seit 1863 übrig<lb/> geblieben, sind die Officiere der ziemlich zahlreichen Cavallerieregimenter,<lb/> welche der niedrigen Futterpreise wegen seit vielen Jahren in den Gouver¬<lb/> nements Wilna und Kowno stehen. Die jungen Männer, welche ihre besten<lb/> Lebensjahre in dieser Einöde verbringen, sind von allem ausgeschlossen, was<lb/> das Leben schmückt und adelt. In wilden Orgien, denen der verschmitzte jü¬<lb/> dische Factor stets neue Nahrung zuzuführen weiß, verprassen sie ihre Kräfte,<lb/> um sich für die Entbehrungen schadlos zu halten, welche durch die Zurück¬<lb/> haltung der polnischen Gesellschaft, die Unbildung und Bettelhaftigkeit der<lb/> übrigen Classen bedingt sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1441" next="#ID_1442"> Die vor kurzem frei gewordenen und in den vollen Besitz ihrer Pacht¬<lb/> grundstücke getretenen Landbewohner befinden sich auf einer zu tiefen Stufe<lb/> der Cultur, um .auch nur von den Vortheilen, die ihnen plötzlich in den<lb/> Schooß gefallen sind, wahren Nutzen zu ziehen. Der Connivenz der, zufolge<lb/> des Belagerungszustandes mit den ausgedehntesten Vollmachten versehenen,<lb/> Militärbeamten sind die lithauischen und samogitischen Bauern im voraus<lb/> gewiß, sobald es sich um Excesse handelt, die gegen polnische Gutsbesitzer<lb/> verübt werden. Verletzung der eng gezogenen Grenzen, welche den großen<lb/> Grundbesitzern übrig geblieben sind, Verwüstung der Wälder kamen seit dem<lb/> Jahre 1863 täglich vor, ohne daß dagegen energisch eingeschritten wurde;<lb/> die Zinszahlungen, welche der Adel für die dem Bauernstande abgetretenen<lb/> Grundstücke erhalten sollte, flössen — wenn sie überhaupt gezahlt wurden<lb/> — in die Staatsrenteien und wurden nur den Gutsbesitzern ausgezahlt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Elend alle Vergleiche ausschließt. Seit der polnische Adel, der die um¬
liegenden Schlösser und Höfe bewohnt, zufolge der Ereignisse von 1863 selbst
an den Bettelstab gebracht ist, erscheint es geradezu unbegreiflich, daß und wo¬
von die Hausirer und Geschäftsleute dieser Gegend leben, wer ihnen die
Waaren abkauft, die sie von rigaer und mitauer Kaufleuten oder aus den
Händen tauroggenscher Schleichhändler erworben haben. Ein großer Theil
der polnischen Güter ist confiscire oder unter Sequester gestellt, der Rest
wird von Leuten bewohnt, denen ihre plötzlich zu Grundbesitzern erklärten
Bauern unter allen möglichen Vorwänden die spärlichen Zinszahlungen, zu
denen sie verbunden sind, vorenthalten. Die Klöster sind entweder völlig,
aufgehoben oder auf schmale Kost gesetzt, die katholischen Pfarrer kämpfen
mit den benachbarten griechischen Geistlichen, .welche -für die „Rechtgläu¬
bigkeit" eifrig Propaganda machen, um ihre Existenz. Mit dem Wohlstande
der höheren Classen ist es in Samogitien so rasch rückwärts gegangen, daß eine
Anzahl von rigaer Wein- und Colonialwaarenhcindlern, welche hauptsächlich
in diese Gegenden Geschäfte machte, in den Jahren nach Beendigung des
polnischen Aufstandes wegen plötzlicher Stockung allen Absatzes bankerott
wurde. Die einzigen Consumenten für Luxusartikel, die seit 1863 übrig
geblieben, sind die Officiere der ziemlich zahlreichen Cavallerieregimenter,
welche der niedrigen Futterpreise wegen seit vielen Jahren in den Gouver¬
nements Wilna und Kowno stehen. Die jungen Männer, welche ihre besten
Lebensjahre in dieser Einöde verbringen, sind von allem ausgeschlossen, was
das Leben schmückt und adelt. In wilden Orgien, denen der verschmitzte jü¬
dische Factor stets neue Nahrung zuzuführen weiß, verprassen sie ihre Kräfte,
um sich für die Entbehrungen schadlos zu halten, welche durch die Zurück¬
haltung der polnischen Gesellschaft, die Unbildung und Bettelhaftigkeit der
übrigen Classen bedingt sind.
Die vor kurzem frei gewordenen und in den vollen Besitz ihrer Pacht¬
grundstücke getretenen Landbewohner befinden sich auf einer zu tiefen Stufe
der Cultur, um .auch nur von den Vortheilen, die ihnen plötzlich in den
Schooß gefallen sind, wahren Nutzen zu ziehen. Der Connivenz der, zufolge
des Belagerungszustandes mit den ausgedehntesten Vollmachten versehenen,
Militärbeamten sind die lithauischen und samogitischen Bauern im voraus
gewiß, sobald es sich um Excesse handelt, die gegen polnische Gutsbesitzer
verübt werden. Verletzung der eng gezogenen Grenzen, welche den großen
Grundbesitzern übrig geblieben sind, Verwüstung der Wälder kamen seit dem
Jahre 1863 täglich vor, ohne daß dagegen energisch eingeschritten wurde;
die Zinszahlungen, welche der Adel für die dem Bauernstande abgetretenen
Grundstücke erhalten sollte, flössen — wenn sie überhaupt gezahlt wurden
— in die Staatsrenteien und wurden nur den Gutsbesitzern ausgezahlt,
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