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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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die Samogitier noch immer in der Sicherheit ihrer Wälder und Sümpfe als
freie Männer, die dem Cultus der alten Götter ihres Stammes treu geblie¬
ben waren und alle Angriffe der eisengepanzerten Feinde,, welche von
Süden her in das Land drangen, siegreich zurückgewiesen hatten. Gelang es
dem einen oder dem anderen Meister auch zeitweise, in den Niemenniederun-
gen festen Fuß zu fassen, immer wieder wußten die Litthauerfürsten ihren
gefährlichen Nachbarn den Aufenthalt auf samojitischer Erde zu vergällen.
Im Jahre 1380 hatten die deutschen Herren sich zum erstenmal in den Be¬
sitz des gesammten samaitischen Landes gesetzt, aber erst 1398 wurde die Land¬
schaft dem Orden förmlich abgetreten, dessen Herrschaft über das gesammte
Ostseegebiet jetzt dauernd gegründet zu sein schien; war doch gleichzeitig die
Insel Gothland dem Piratengeschlecht entrissen worden, welches hier zum
Schrecken aller Ostseefahrer gehaust hatte. Aber dieser Triumph war von
nur kurzer Dauer. So lange die verschiedenen lithauischen Fürstengeschlechter
sich gegenseitig in eifersüchtigen Kampf um die Oberherrschaft zerfleischt hatten,
war es vergeblich gewesen, wenn die Samogitier sich "gleich jungen Wölfen"
gegen ihre Bezwinger erhoben und einzelne der Ordensschlösser, welche auf
das fruchtbare - Land herabsahen, zerstört hatten; anders wurde es als
Jagello und dessen Nachkommen die Oberherrschaft über das gesammte
Litthauen erwarben und dieses Großfürstenthum unzertrennlich mit Polen
verbanden. Im Siegeslauf nahm 1410 ein polnisch-litthauisches Heer seinen
Weg in das Herz der Ordenslande und bei Tannenberg wurde Meister Ul¬
rich von Jungingen aufs Haupt geschlagen; er selbst, vier seiner Gebietiger
und 40,000 Edle und Knechte blieben auf dem Platze. Sein Nachfolger,
Heinrich Reuß von Plauen, vermochte mit heldenhafter Anstrengung aller¬
dings die Marienburg und den Kern des Ordensgebiets zu retten, sano-
gitien aber war verloren und wurde Jagello im Frieden von Thorn (1411)
"auf Lebenszeit" wiedergegeben. Die Händel im Schooß des Ordens, welche
der raschen Erhebung Heinrichs folgten und mit der Absetzung und Einker¬
kerung dieses gewaltigen Mannes endeten, sorgten dafür, daß die vorläufige
Abtretung des wichtigen Grenzlandes schon 1422 eine definitive wurde und bei
dem rasch erbleichenden Glänze der furchtbaren Brüderschaft, welche in den Tagen
ihrer Größe alles Land von der Weichsel bis zur Narowa mit eiserner Faust
umklammert hielt, konnte an die Wiedereroberung Samaitens nicht mehr
gedacht werden.

Eigentliche Wurzel hatte das deutsche Wesen während der Dauer seiner
vierzigjährigen Herrschaft in den Einöden Schmudiens nicht geschlagen.
Zwingburgen und feste Schlösser ließen sich in der kurzen Zeit dieses Besitz-
thums allerdings anlegen, um die Unterworfenen im Zaume zu halten -- die
langsame Eroberung durch Cultureinflüsse war ebensowenig möglich gewesen,


die Samogitier noch immer in der Sicherheit ihrer Wälder und Sümpfe als
freie Männer, die dem Cultus der alten Götter ihres Stammes treu geblie¬
ben waren und alle Angriffe der eisengepanzerten Feinde,, welche von
Süden her in das Land drangen, siegreich zurückgewiesen hatten. Gelang es
dem einen oder dem anderen Meister auch zeitweise, in den Niemenniederun-
gen festen Fuß zu fassen, immer wieder wußten die Litthauerfürsten ihren
gefährlichen Nachbarn den Aufenthalt auf samojitischer Erde zu vergällen.
Im Jahre 1380 hatten die deutschen Herren sich zum erstenmal in den Be¬
sitz des gesammten samaitischen Landes gesetzt, aber erst 1398 wurde die Land¬
schaft dem Orden förmlich abgetreten, dessen Herrschaft über das gesammte
Ostseegebiet jetzt dauernd gegründet zu sein schien; war doch gleichzeitig die
Insel Gothland dem Piratengeschlecht entrissen worden, welches hier zum
Schrecken aller Ostseefahrer gehaust hatte. Aber dieser Triumph war von
nur kurzer Dauer. So lange die verschiedenen lithauischen Fürstengeschlechter
sich gegenseitig in eifersüchtigen Kampf um die Oberherrschaft zerfleischt hatten,
war es vergeblich gewesen, wenn die Samogitier sich „gleich jungen Wölfen"
gegen ihre Bezwinger erhoben und einzelne der Ordensschlösser, welche auf
das fruchtbare - Land herabsahen, zerstört hatten; anders wurde es als
Jagello und dessen Nachkommen die Oberherrschaft über das gesammte
Litthauen erwarben und dieses Großfürstenthum unzertrennlich mit Polen
verbanden. Im Siegeslauf nahm 1410 ein polnisch-litthauisches Heer seinen
Weg in das Herz der Ordenslande und bei Tannenberg wurde Meister Ul¬
rich von Jungingen aufs Haupt geschlagen; er selbst, vier seiner Gebietiger
und 40,000 Edle und Knechte blieben auf dem Platze. Sein Nachfolger,
Heinrich Reuß von Plauen, vermochte mit heldenhafter Anstrengung aller¬
dings die Marienburg und den Kern des Ordensgebiets zu retten, sano-
gitien aber war verloren und wurde Jagello im Frieden von Thorn (1411)
„auf Lebenszeit" wiedergegeben. Die Händel im Schooß des Ordens, welche
der raschen Erhebung Heinrichs folgten und mit der Absetzung und Einker¬
kerung dieses gewaltigen Mannes endeten, sorgten dafür, daß die vorläufige
Abtretung des wichtigen Grenzlandes schon 1422 eine definitive wurde und bei
dem rasch erbleichenden Glänze der furchtbaren Brüderschaft, welche in den Tagen
ihrer Größe alles Land von der Weichsel bis zur Narowa mit eiserner Faust
umklammert hielt, konnte an die Wiedereroberung Samaitens nicht mehr
gedacht werden.

Eigentliche Wurzel hatte das deutsche Wesen während der Dauer seiner
vierzigjährigen Herrschaft in den Einöden Schmudiens nicht geschlagen.
Zwingburgen und feste Schlösser ließen sich in der kurzen Zeit dieses Besitz-
thums allerdings anlegen, um die Unterworfenen im Zaume zu halten — die
langsame Eroberung durch Cultureinflüsse war ebensowenig möglich gewesen,


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[0452] die Samogitier noch immer in der Sicherheit ihrer Wälder und Sümpfe als freie Männer, die dem Cultus der alten Götter ihres Stammes treu geblie¬ ben waren und alle Angriffe der eisengepanzerten Feinde,, welche von Süden her in das Land drangen, siegreich zurückgewiesen hatten. Gelang es dem einen oder dem anderen Meister auch zeitweise, in den Niemenniederun- gen festen Fuß zu fassen, immer wieder wußten die Litthauerfürsten ihren gefährlichen Nachbarn den Aufenthalt auf samojitischer Erde zu vergällen. Im Jahre 1380 hatten die deutschen Herren sich zum erstenmal in den Be¬ sitz des gesammten samaitischen Landes gesetzt, aber erst 1398 wurde die Land¬ schaft dem Orden förmlich abgetreten, dessen Herrschaft über das gesammte Ostseegebiet jetzt dauernd gegründet zu sein schien; war doch gleichzeitig die Insel Gothland dem Piratengeschlecht entrissen worden, welches hier zum Schrecken aller Ostseefahrer gehaust hatte. Aber dieser Triumph war von nur kurzer Dauer. So lange die verschiedenen lithauischen Fürstengeschlechter sich gegenseitig in eifersüchtigen Kampf um die Oberherrschaft zerfleischt hatten, war es vergeblich gewesen, wenn die Samogitier sich „gleich jungen Wölfen" gegen ihre Bezwinger erhoben und einzelne der Ordensschlösser, welche auf das fruchtbare - Land herabsahen, zerstört hatten; anders wurde es als Jagello und dessen Nachkommen die Oberherrschaft über das gesammte Litthauen erwarben und dieses Großfürstenthum unzertrennlich mit Polen verbanden. Im Siegeslauf nahm 1410 ein polnisch-litthauisches Heer seinen Weg in das Herz der Ordenslande und bei Tannenberg wurde Meister Ul¬ rich von Jungingen aufs Haupt geschlagen; er selbst, vier seiner Gebietiger und 40,000 Edle und Knechte blieben auf dem Platze. Sein Nachfolger, Heinrich Reuß von Plauen, vermochte mit heldenhafter Anstrengung aller¬ dings die Marienburg und den Kern des Ordensgebiets zu retten, sano- gitien aber war verloren und wurde Jagello im Frieden von Thorn (1411) „auf Lebenszeit" wiedergegeben. Die Händel im Schooß des Ordens, welche der raschen Erhebung Heinrichs folgten und mit der Absetzung und Einker¬ kerung dieses gewaltigen Mannes endeten, sorgten dafür, daß die vorläufige Abtretung des wichtigen Grenzlandes schon 1422 eine definitive wurde und bei dem rasch erbleichenden Glänze der furchtbaren Brüderschaft, welche in den Tagen ihrer Größe alles Land von der Weichsel bis zur Narowa mit eiserner Faust umklammert hielt, konnte an die Wiedereroberung Samaitens nicht mehr gedacht werden. Eigentliche Wurzel hatte das deutsche Wesen während der Dauer seiner vierzigjährigen Herrschaft in den Einöden Schmudiens nicht geschlagen. Zwingburgen und feste Schlösser ließen sich in der kurzen Zeit dieses Besitz- thums allerdings anlegen, um die Unterworfenen im Zaume zu halten — die langsame Eroberung durch Cultureinflüsse war ebensowenig möglich gewesen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/452>, abgerufen am 15.01.2025.