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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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belegenen Theil Ostpreußens findet sich noch eine Reihe samogitischer Streu¬
stücke, deren Bewohner aber sämmtlich auf den Aussterbeetat gesetzt sind d. h.
mehr und mehr ihren deutschen Nachbarn assimilirt werden, nur bei Heide¬
krug grenzen samogitische Wohnsitze an das Meer. Erkerts "^dias etdno-
MaMyue" entwirft von dieser Erdgegend ein Bild, wie es buntscheckiger
kaum gedacht werden kann. Die Grenzen Samogitiens und des eigentlichen
Lithauens winden sich in so krausem Zickzack durcheinander, daß bei dem
Mangel durchschlagender Unterscheidungszeichen nur mühsam festzustellen ist,
welchem Völkergebiet, der eine oder der andere Punkt angehört. Im Süden
treffen die Samogitier mit den Polen zusammen, die an einzelnen Gegenden
soweit nach Norden vorgerückt sind, daß sie ihren Nachbarn den Besitz
altsamaitischen Landes streitig machen können, von Westen drängen endlich
die deutschen Preußen an. Da die Urbewohner Schmudiens allenthalben
Bauern geblieben sind, kann endlich nicht ausbleiben, daß die Bevölkerung
der Städte von der des flachen Landes verschieden ist. Die uns vorliegende
Erkertsche Karte zeigt Samogitien von zahllosen blauen, rothen und schwarzen
Punkten und Pünktchen gesprenkelt: die ersteren bezeichnen deutsche, die
zweiten polnische, die dritten jüdische Bewohner. Mindestens zehn bis zwölf
Procent der Bevölkerung gehört dem Stamme Israel an, etwa vier Procent
sind Polen, andere vier Procent deutsche; die ersteren sind im Norden und
Westen, die letzteren im Süden besonders zahlreich vertreten, Russen gibt es
(nach des Russen Erkert eigener officieller Angabe) so gut wie gar keine,
der Rest wird von den Ureinwohnern gebildet. Endlich ist die Zahl der
Zigeuner nicht unbedeutend, welche hier in Wald und Feld, in Busch und
Brach ihr unheimliches Wesen treiben und noch ein gutes Stück jener Wild¬
heit zeigen, die ihnen in anderen, civilisirteren Ländern nur noch angedichtet
Kird. Als Pferdehändler, Pferdediebe und Kesselflicker schweifen sie im Lande
umher, von allen Nationen, die ihnen begegnen, gleich verachtet und gehaßt,
häufig mit den zahlreichen Schleichhändlern im Bunde, welche bei Tauroggen,
Georgenburg und Polangen ihr trauriges Gewerbe treiben; im Winter suchen
die widrigen Gesellen in Schenken, Bauerhäusern und Ställen eine elende
Unterkunft, vom März bis zum Oetober campiren sie mit Weib und Kind
unter freiem Himmel, höchstens von den Gefährdten geschützt, aus denen sie
Me Wagenburgen bauen.

Man sieht es den samaitischen Bauern von heute nicht an, daß sie
die Nachkommen eines Volkes sind, das sich einst gegen den Andrang der Or¬
densritter hartnäckiger und erfolgreicher gewehrt hat, als irgend einer der
verwandten Stämme. Als die Deutschherrn Pomerellen, das Sam- und das
Kulmerland bereits feit Jahren unterworfen hatten, als der heilige Hain von
Romove längst unter den Artschlägen christlicher Priester gefallen war, lebten


belegenen Theil Ostpreußens findet sich noch eine Reihe samogitischer Streu¬
stücke, deren Bewohner aber sämmtlich auf den Aussterbeetat gesetzt sind d. h.
mehr und mehr ihren deutschen Nachbarn assimilirt werden, nur bei Heide¬
krug grenzen samogitische Wohnsitze an das Meer. Erkerts „^dias etdno-
MaMyue" entwirft von dieser Erdgegend ein Bild, wie es buntscheckiger
kaum gedacht werden kann. Die Grenzen Samogitiens und des eigentlichen
Lithauens winden sich in so krausem Zickzack durcheinander, daß bei dem
Mangel durchschlagender Unterscheidungszeichen nur mühsam festzustellen ist,
welchem Völkergebiet, der eine oder der andere Punkt angehört. Im Süden
treffen die Samogitier mit den Polen zusammen, die an einzelnen Gegenden
soweit nach Norden vorgerückt sind, daß sie ihren Nachbarn den Besitz
altsamaitischen Landes streitig machen können, von Westen drängen endlich
die deutschen Preußen an. Da die Urbewohner Schmudiens allenthalben
Bauern geblieben sind, kann endlich nicht ausbleiben, daß die Bevölkerung
der Städte von der des flachen Landes verschieden ist. Die uns vorliegende
Erkertsche Karte zeigt Samogitien von zahllosen blauen, rothen und schwarzen
Punkten und Pünktchen gesprenkelt: die ersteren bezeichnen deutsche, die
zweiten polnische, die dritten jüdische Bewohner. Mindestens zehn bis zwölf
Procent der Bevölkerung gehört dem Stamme Israel an, etwa vier Procent
sind Polen, andere vier Procent deutsche; die ersteren sind im Norden und
Westen, die letzteren im Süden besonders zahlreich vertreten, Russen gibt es
(nach des Russen Erkert eigener officieller Angabe) so gut wie gar keine,
der Rest wird von den Ureinwohnern gebildet. Endlich ist die Zahl der
Zigeuner nicht unbedeutend, welche hier in Wald und Feld, in Busch und
Brach ihr unheimliches Wesen treiben und noch ein gutes Stück jener Wild¬
heit zeigen, die ihnen in anderen, civilisirteren Ländern nur noch angedichtet
Kird. Als Pferdehändler, Pferdediebe und Kesselflicker schweifen sie im Lande
umher, von allen Nationen, die ihnen begegnen, gleich verachtet und gehaßt,
häufig mit den zahlreichen Schleichhändlern im Bunde, welche bei Tauroggen,
Georgenburg und Polangen ihr trauriges Gewerbe treiben; im Winter suchen
die widrigen Gesellen in Schenken, Bauerhäusern und Ställen eine elende
Unterkunft, vom März bis zum Oetober campiren sie mit Weib und Kind
unter freiem Himmel, höchstens von den Gefährdten geschützt, aus denen sie
Me Wagenburgen bauen.

Man sieht es den samaitischen Bauern von heute nicht an, daß sie
die Nachkommen eines Volkes sind, das sich einst gegen den Andrang der Or¬
densritter hartnäckiger und erfolgreicher gewehrt hat, als irgend einer der
verwandten Stämme. Als die Deutschherrn Pomerellen, das Sam- und das
Kulmerland bereits feit Jahren unterworfen hatten, als der heilige Hain von
Romove längst unter den Artschlägen christlicher Priester gefallen war, lebten


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[0451] belegenen Theil Ostpreußens findet sich noch eine Reihe samogitischer Streu¬ stücke, deren Bewohner aber sämmtlich auf den Aussterbeetat gesetzt sind d. h. mehr und mehr ihren deutschen Nachbarn assimilirt werden, nur bei Heide¬ krug grenzen samogitische Wohnsitze an das Meer. Erkerts „^dias etdno- MaMyue" entwirft von dieser Erdgegend ein Bild, wie es buntscheckiger kaum gedacht werden kann. Die Grenzen Samogitiens und des eigentlichen Lithauens winden sich in so krausem Zickzack durcheinander, daß bei dem Mangel durchschlagender Unterscheidungszeichen nur mühsam festzustellen ist, welchem Völkergebiet, der eine oder der andere Punkt angehört. Im Süden treffen die Samogitier mit den Polen zusammen, die an einzelnen Gegenden soweit nach Norden vorgerückt sind, daß sie ihren Nachbarn den Besitz altsamaitischen Landes streitig machen können, von Westen drängen endlich die deutschen Preußen an. Da die Urbewohner Schmudiens allenthalben Bauern geblieben sind, kann endlich nicht ausbleiben, daß die Bevölkerung der Städte von der des flachen Landes verschieden ist. Die uns vorliegende Erkertsche Karte zeigt Samogitien von zahllosen blauen, rothen und schwarzen Punkten und Pünktchen gesprenkelt: die ersteren bezeichnen deutsche, die zweiten polnische, die dritten jüdische Bewohner. Mindestens zehn bis zwölf Procent der Bevölkerung gehört dem Stamme Israel an, etwa vier Procent sind Polen, andere vier Procent deutsche; die ersteren sind im Norden und Westen, die letzteren im Süden besonders zahlreich vertreten, Russen gibt es (nach des Russen Erkert eigener officieller Angabe) so gut wie gar keine, der Rest wird von den Ureinwohnern gebildet. Endlich ist die Zahl der Zigeuner nicht unbedeutend, welche hier in Wald und Feld, in Busch und Brach ihr unheimliches Wesen treiben und noch ein gutes Stück jener Wild¬ heit zeigen, die ihnen in anderen, civilisirteren Ländern nur noch angedichtet Kird. Als Pferdehändler, Pferdediebe und Kesselflicker schweifen sie im Lande umher, von allen Nationen, die ihnen begegnen, gleich verachtet und gehaßt, häufig mit den zahlreichen Schleichhändlern im Bunde, welche bei Tauroggen, Georgenburg und Polangen ihr trauriges Gewerbe treiben; im Winter suchen die widrigen Gesellen in Schenken, Bauerhäusern und Ställen eine elende Unterkunft, vom März bis zum Oetober campiren sie mit Weib und Kind unter freiem Himmel, höchstens von den Gefährdten geschützt, aus denen sie Me Wagenburgen bauen. Man sieht es den samaitischen Bauern von heute nicht an, daß sie die Nachkommen eines Volkes sind, das sich einst gegen den Andrang der Or¬ densritter hartnäckiger und erfolgreicher gewehrt hat, als irgend einer der verwandten Stämme. Als die Deutschherrn Pomerellen, das Sam- und das Kulmerland bereits feit Jahren unterworfen hatten, als der heilige Hain von Romove längst unter den Artschlägen christlicher Priester gefallen war, lebten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/451>, abgerufen am 15.01.2025.