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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Einfluß der Opposition, während der siegreich durchgeführte Streit um Ent¬
fernung der türkischen Festungsbesatzungen längere Zeit hindurch dem na¬
tionalen Ehrgeiz die nöthige Nahrung vorwarf. Aber schon 1866 begann
eine neue Krisis; die Nationalpartei benutzte den Candiotenaufstand und die
unfreundliche Stellung des Cabinets zu Montenegro, um die Volksleiden¬
schaften aufs neue zu entflammen und trat mit Alexander Karägeorgewitsch,
der inzwischen die Rolle des begeisterten Großserben übernommen hatte, in
Verbindung. Durch das Gesetz über die NichtWählbarkeit der Beamten aus
der bedeutungslos gewordenen Skuptschina verdrängt, beriefen die nationalen
Führer eine großeserbische Versammlung im Sommer 1866 nach Neusatz,
wo die "Omladina Serbska", eine Art Nationalverein zur Herstellung des
großserbischen Reichs, gegründet wurde.

Der Eindruck, den diese Demonstration auf das Gemüth des Fürsten
machte, war so bedeutend, daß derselbe im vorigen Winter einzulenken ver¬
suchte. Garaschanin wurde entlassen, die Armee verstärkt, eine Anzahl aus
der Türkei verbannter Slavenführer nach Belgrad eingeladen, Munition und
artilleristisches Material aufgekauft und der Hoffnung Raum gegeben, Ser¬
bien werde im Frühjahr die längst verkündete große Action antreten und
zum Piemont der Balkanhalbinsel werden.

Diese Schachzüge waren ebenso darauf berechnet, die Aufmerksamkeit des
Volkes zu beschäftigen, als den panslavistischen Agitationen zu begegnen,
welche ihr Wesen auf Unkosten Serbiens unter Bulgaren und Bosnjaken
trieben. Als der entscheidende Augenblick kam, geschah, was längst zu erwar¬
ten gewesen war: der serbische Säbel, mit dem so mannhaft gerasselt worden,
blieb ruhig in der Scheide. "Wartet bis zum nächsten Jahr -- wir sind
noch nicht gehörig gerüstet -- der Zeitpunkt ist nicht günstig" -- lauteten
die jetzt von Belgrad ausgegebenen Schlagworte. Natürlicherweise wußten
Alexander und dessen nationale Bundesgenossen von dieser Enttäuschung
Nutzen zu ziehen und schmolz die wiedergewonnene Popularität Michaels
wie frischer Schnee in der Märzsonne dahin.

Ob und inwieweit die Mordgesellen, welche den Fürsten Michael heim¬
tückisch umbrachten, mit der Nevolutionspartei und den Karägeorgewitsch zu¬
sammenhängen, ist noch nicht gehörig festgestellt: bestätigt sich, daß dieselben
zur Omladina gehören, so erscheint ein im Namen politischer Parteileiden¬
schaft unternommenes Verbrechen mehr wie wahrscheinlich. Der Zweck des¬
selben ist nicht erreicht worden; das Volk hat die unnationale Haltung seines
humanen und Milden Fürsten vergessen und droht den Mördern mit einem
Blutgericht, der Neffe des Ermordeten ist zum Thronfolger designirt worden
und die provisorische Regierung aus Männern des bisherigen Systems.




Einfluß der Opposition, während der siegreich durchgeführte Streit um Ent¬
fernung der türkischen Festungsbesatzungen längere Zeit hindurch dem na¬
tionalen Ehrgeiz die nöthige Nahrung vorwarf. Aber schon 1866 begann
eine neue Krisis; die Nationalpartei benutzte den Candiotenaufstand und die
unfreundliche Stellung des Cabinets zu Montenegro, um die Volksleiden¬
schaften aufs neue zu entflammen und trat mit Alexander Karägeorgewitsch,
der inzwischen die Rolle des begeisterten Großserben übernommen hatte, in
Verbindung. Durch das Gesetz über die NichtWählbarkeit der Beamten aus
der bedeutungslos gewordenen Skuptschina verdrängt, beriefen die nationalen
Führer eine großeserbische Versammlung im Sommer 1866 nach Neusatz,
wo die „Omladina Serbska", eine Art Nationalverein zur Herstellung des
großserbischen Reichs, gegründet wurde.

Der Eindruck, den diese Demonstration auf das Gemüth des Fürsten
machte, war so bedeutend, daß derselbe im vorigen Winter einzulenken ver¬
suchte. Garaschanin wurde entlassen, die Armee verstärkt, eine Anzahl aus
der Türkei verbannter Slavenführer nach Belgrad eingeladen, Munition und
artilleristisches Material aufgekauft und der Hoffnung Raum gegeben, Ser¬
bien werde im Frühjahr die längst verkündete große Action antreten und
zum Piemont der Balkanhalbinsel werden.

Diese Schachzüge waren ebenso darauf berechnet, die Aufmerksamkeit des
Volkes zu beschäftigen, als den panslavistischen Agitationen zu begegnen,
welche ihr Wesen auf Unkosten Serbiens unter Bulgaren und Bosnjaken
trieben. Als der entscheidende Augenblick kam, geschah, was längst zu erwar¬
ten gewesen war: der serbische Säbel, mit dem so mannhaft gerasselt worden,
blieb ruhig in der Scheide. „Wartet bis zum nächsten Jahr — wir sind
noch nicht gehörig gerüstet — der Zeitpunkt ist nicht günstig" — lauteten
die jetzt von Belgrad ausgegebenen Schlagworte. Natürlicherweise wußten
Alexander und dessen nationale Bundesgenossen von dieser Enttäuschung
Nutzen zu ziehen und schmolz die wiedergewonnene Popularität Michaels
wie frischer Schnee in der Märzsonne dahin.

Ob und inwieweit die Mordgesellen, welche den Fürsten Michael heim¬
tückisch umbrachten, mit der Nevolutionspartei und den Karägeorgewitsch zu¬
sammenhängen, ist noch nicht gehörig festgestellt: bestätigt sich, daß dieselben
zur Omladina gehören, so erscheint ein im Namen politischer Parteileiden¬
schaft unternommenes Verbrechen mehr wie wahrscheinlich. Der Zweck des¬
selben ist nicht erreicht worden; das Volk hat die unnationale Haltung seines
humanen und Milden Fürsten vergessen und droht den Mördern mit einem
Blutgericht, der Neffe des Ermordeten ist zum Thronfolger designirt worden
und die provisorische Regierung aus Männern des bisherigen Systems.




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[0448] Einfluß der Opposition, während der siegreich durchgeführte Streit um Ent¬ fernung der türkischen Festungsbesatzungen längere Zeit hindurch dem na¬ tionalen Ehrgeiz die nöthige Nahrung vorwarf. Aber schon 1866 begann eine neue Krisis; die Nationalpartei benutzte den Candiotenaufstand und die unfreundliche Stellung des Cabinets zu Montenegro, um die Volksleiden¬ schaften aufs neue zu entflammen und trat mit Alexander Karägeorgewitsch, der inzwischen die Rolle des begeisterten Großserben übernommen hatte, in Verbindung. Durch das Gesetz über die NichtWählbarkeit der Beamten aus der bedeutungslos gewordenen Skuptschina verdrängt, beriefen die nationalen Führer eine großeserbische Versammlung im Sommer 1866 nach Neusatz, wo die „Omladina Serbska", eine Art Nationalverein zur Herstellung des großserbischen Reichs, gegründet wurde. Der Eindruck, den diese Demonstration auf das Gemüth des Fürsten machte, war so bedeutend, daß derselbe im vorigen Winter einzulenken ver¬ suchte. Garaschanin wurde entlassen, die Armee verstärkt, eine Anzahl aus der Türkei verbannter Slavenführer nach Belgrad eingeladen, Munition und artilleristisches Material aufgekauft und der Hoffnung Raum gegeben, Ser¬ bien werde im Frühjahr die längst verkündete große Action antreten und zum Piemont der Balkanhalbinsel werden. Diese Schachzüge waren ebenso darauf berechnet, die Aufmerksamkeit des Volkes zu beschäftigen, als den panslavistischen Agitationen zu begegnen, welche ihr Wesen auf Unkosten Serbiens unter Bulgaren und Bosnjaken trieben. Als der entscheidende Augenblick kam, geschah, was längst zu erwar¬ ten gewesen war: der serbische Säbel, mit dem so mannhaft gerasselt worden, blieb ruhig in der Scheide. „Wartet bis zum nächsten Jahr — wir sind noch nicht gehörig gerüstet — der Zeitpunkt ist nicht günstig" — lauteten die jetzt von Belgrad ausgegebenen Schlagworte. Natürlicherweise wußten Alexander und dessen nationale Bundesgenossen von dieser Enttäuschung Nutzen zu ziehen und schmolz die wiedergewonnene Popularität Michaels wie frischer Schnee in der Märzsonne dahin. Ob und inwieweit die Mordgesellen, welche den Fürsten Michael heim¬ tückisch umbrachten, mit der Nevolutionspartei und den Karägeorgewitsch zu¬ sammenhängen, ist noch nicht gehörig festgestellt: bestätigt sich, daß dieselben zur Omladina gehören, so erscheint ein im Namen politischer Parteileiden¬ schaft unternommenes Verbrechen mehr wie wahrscheinlich. Der Zweck des¬ selben ist nicht erreicht worden; das Volk hat die unnationale Haltung seines humanen und Milden Fürsten vergessen und droht den Mördern mit einem Blutgericht, der Neffe des Ermordeten ist zum Thronfolger designirt worden und die provisorische Regierung aus Männern des bisherigen Systems.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/448>, abgerufen am 15.01.2025.