Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.abzuwarten sein wird. Der Nothstand, der anfangs nur in Finnland, den In England hat sich flach dem Ausscheiden des Grafen Derby und Der Kampf um den Fortbestand der irischen Staatskirche wird, nach Beraniwvrrlichc Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Cckardt. Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hiithel H Segler in Leipzig. abzuwarten sein wird. Der Nothstand, der anfangs nur in Finnland, den In England hat sich flach dem Ausscheiden des Grafen Derby und Der Kampf um den Fortbestand der irischen Staatskirche wird, nach Beraniwvrrlichc Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Cckardt. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiithel H Segler in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117576"/> <p xml:id="ID_151" prev="#ID_150"> abzuwarten sein wird. Der Nothstand, der anfangs nur in Finnland, den<lb/> nördlichen und östlichen Provinzen in größerem Maßstabe auftrat, hat sich<lb/> inzwischen über den größten Theil der Monarchie ausgedehnt und Proportio¬<lb/> nen angenommen, die alles hinter sich lassen, was an Noth und Elend in Ost¬<lb/> preußen erlebt worden. Wie ein Petersburger Journal neulich behauptete,<lb/> ist dieses das hundertdreißigste Nothstandsjahr, welches Rußland in den ächt¬<lb/> em halb Jahrhunderten seiner historischen Existenz getroffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_152"> In England hat sich flach dem Ausscheiden des Grafen Derby und<lb/> der Neugestaltung des von d'Jsraeli geleiteten Cabinets ein parlamentari¬<lb/> scher Kampf vorbereitet, dessen Gegenstände an die vergangenen großen Tage<lb/> der O'Connel und Robert Peel erinnern. Nicht nur, daß John 'Bright eine<lb/> Bill eingebracht hat, welche darauf abzielt, das Loos der irischen Pächter zu<lb/> verbessern und den Besitz derselben stufenweise in volles Eigenthum zu ver¬<lb/> wandeln, Gladstone ist mit einem Antrage hervorgetreten, der den prinzipi¬<lb/> ellen Bruch mit der unter Wilhelm III. eingeschlagenen irischen Politik Alt-<lb/> Englands, die förmliche Abschaffung jener protestantischen Staatskirche Ir¬<lb/> lands fordert, deren Einrichtungen Macaulay schon vor zwanzig Jahren die<lb/> „abgeschmacktesten" nannte, welche die Welt jemals gesehen hat, da „vier<lb/> Erzbischöfe und achtzehn Bischöfe als geistliche Hirten über eine Heerde be¬<lb/> stellt waren, deren Glieder noch nicht den fünften Theil des einen Kirch¬<lb/> sprengels von London ausmachten". Ueber die UnHaltbarkeit der gegen¬<lb/> wärtigen irischen Zustände sind Wighs und Tories unserer Zeit ebenso eimg,<lb/> als sie ihrer Zeit gleich fest vom Gegentheil überzeugt waren, freilich erst,<lb/> nachdem Swifts freches Scherzwort, „daß ein Aufstand der Jrländer gegen<lb/> die Britten ebenso vergeblich sein würde, als eine Verschwörung der Weiber<lb/> und Kinder gegen die Männer", längst zu Schanden geworden ist. D'Jsraeli<lb/> hat die Verwerfung der Gladstones Bill zur Cabinetsfrage gemacht und<lb/> die allgemeine Ueberzeugung von der dringenden Nothwendigkeit ausgedehn¬<lb/> ter Concessionen an Irland, durch den Vorschlag, eine katholische Universität<lb/> zu Dublin zu gründen, zu entwaffnen versucht. Auch die Brightschen Vor¬<lb/> schläge haben bei dem Führer der Toriepartei eine im Grunde entgegen¬<lb/> kommende Aufnahme gefunden.</p><lb/> <p xml:id="ID_153"> Der Kampf um den Fortbestand der irischen Staatskirche wird, nach<lb/> den großen Umwälzungen, welche sich seit dem Jahre 1848 auf dem Continent<lb/> vollzogen haben, nicht mehr auf das gesammte Interesse zu rechnen haben,<lb/> mit welchem unsere Väter den Geschicken der Peelschen Bill zur Emancipa¬<lb/> tion der Katholiken folgten. Immerhin wird dieser Kampf der Aufmerksam¬<lb/> keit derer nicht unwert'h sein, welche ein Verständniß haben für die vielge¬<lb/> rundete Geschichte des Nationalitätsprincips in dem ältesten konstitutionellen<lb/> Staat unseres Welttheils. Daß dieses Princip nur da eine Berechtigung hat,<lb/> wo es zugleich der Träger einer Cultur, nicht bloße Firma für unberechtigte<lb/> Gelüste blinden Nacendünkels, wird uns durch diese verspätete Ausgleichung<lb/> eines nach Jahrhunderten zählenden Unrechts ebenso gelehrt, wie daß der Be¬<lb/> sitz eines konstitutionellen Apparats nur denen von Werth ist, welche ihn in<lb/> maßvoller und cousequenter Weise zu benutzen wissen. Daß sich das auf einem<lb/> katholischen Volke ruhende Joch einer protestantischen Staatskirche gerade in<lb/> England bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten konnte, ist<lb/> nur verständlich, wenn an den obigen Sätzen geschichtlicher Erfahrung festge¬<lb/> halten wird. Diejenigen freilich, welche den Besitz papierner Paragraphen<lb/> für ausreichend glauben zur Begründung ächter Volksfreiheit und Ausgleichung<lb/> aller Machtunterschiede, haben für historische Anomalie überhaupt keine Er-<lb/> klärung nöthig. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Beraniwvrrlichc Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Cckardt.<lb/> Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiithel H Segler in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
abzuwarten sein wird. Der Nothstand, der anfangs nur in Finnland, den
nördlichen und östlichen Provinzen in größerem Maßstabe auftrat, hat sich
inzwischen über den größten Theil der Monarchie ausgedehnt und Proportio¬
nen angenommen, die alles hinter sich lassen, was an Noth und Elend in Ost¬
preußen erlebt worden. Wie ein Petersburger Journal neulich behauptete,
ist dieses das hundertdreißigste Nothstandsjahr, welches Rußland in den ächt¬
em halb Jahrhunderten seiner historischen Existenz getroffen.
In England hat sich flach dem Ausscheiden des Grafen Derby und
der Neugestaltung des von d'Jsraeli geleiteten Cabinets ein parlamentari¬
scher Kampf vorbereitet, dessen Gegenstände an die vergangenen großen Tage
der O'Connel und Robert Peel erinnern. Nicht nur, daß John 'Bright eine
Bill eingebracht hat, welche darauf abzielt, das Loos der irischen Pächter zu
verbessern und den Besitz derselben stufenweise in volles Eigenthum zu ver¬
wandeln, Gladstone ist mit einem Antrage hervorgetreten, der den prinzipi¬
ellen Bruch mit der unter Wilhelm III. eingeschlagenen irischen Politik Alt-
Englands, die förmliche Abschaffung jener protestantischen Staatskirche Ir¬
lands fordert, deren Einrichtungen Macaulay schon vor zwanzig Jahren die
„abgeschmacktesten" nannte, welche die Welt jemals gesehen hat, da „vier
Erzbischöfe und achtzehn Bischöfe als geistliche Hirten über eine Heerde be¬
stellt waren, deren Glieder noch nicht den fünften Theil des einen Kirch¬
sprengels von London ausmachten". Ueber die UnHaltbarkeit der gegen¬
wärtigen irischen Zustände sind Wighs und Tories unserer Zeit ebenso eimg,
als sie ihrer Zeit gleich fest vom Gegentheil überzeugt waren, freilich erst,
nachdem Swifts freches Scherzwort, „daß ein Aufstand der Jrländer gegen
die Britten ebenso vergeblich sein würde, als eine Verschwörung der Weiber
und Kinder gegen die Männer", längst zu Schanden geworden ist. D'Jsraeli
hat die Verwerfung der Gladstones Bill zur Cabinetsfrage gemacht und
die allgemeine Ueberzeugung von der dringenden Nothwendigkeit ausgedehn¬
ter Concessionen an Irland, durch den Vorschlag, eine katholische Universität
zu Dublin zu gründen, zu entwaffnen versucht. Auch die Brightschen Vor¬
schläge haben bei dem Führer der Toriepartei eine im Grunde entgegen¬
kommende Aufnahme gefunden.
Der Kampf um den Fortbestand der irischen Staatskirche wird, nach
den großen Umwälzungen, welche sich seit dem Jahre 1848 auf dem Continent
vollzogen haben, nicht mehr auf das gesammte Interesse zu rechnen haben,
mit welchem unsere Väter den Geschicken der Peelschen Bill zur Emancipa¬
tion der Katholiken folgten. Immerhin wird dieser Kampf der Aufmerksam¬
keit derer nicht unwert'h sein, welche ein Verständniß haben für die vielge¬
rundete Geschichte des Nationalitätsprincips in dem ältesten konstitutionellen
Staat unseres Welttheils. Daß dieses Princip nur da eine Berechtigung hat,
wo es zugleich der Träger einer Cultur, nicht bloße Firma für unberechtigte
Gelüste blinden Nacendünkels, wird uns durch diese verspätete Ausgleichung
eines nach Jahrhunderten zählenden Unrechts ebenso gelehrt, wie daß der Be¬
sitz eines konstitutionellen Apparats nur denen von Werth ist, welche ihn in
maßvoller und cousequenter Weise zu benutzen wissen. Daß sich das auf einem
katholischen Volke ruhende Joch einer protestantischen Staatskirche gerade in
England bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten konnte, ist
nur verständlich, wenn an den obigen Sätzen geschichtlicher Erfahrung festge¬
halten wird. Diejenigen freilich, welche den Besitz papierner Paragraphen
für ausreichend glauben zur Begründung ächter Volksfreiheit und Ausgleichung
aller Machtunterschiede, haben für historische Anomalie überhaupt keine Er-
klärung nöthig.
Beraniwvrrlichc Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Cckardt.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiithel H Segler in Leipzig.
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