Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Comödianten und einem ewigen Rollenwechsel und angestrengter Koketterie Es ist lehrreich, mit den großen Häusern, in denen unsere Schauspielkunst ") Er hatte keine starke Stimme und weigerte sich einmal, auf einem neuerbauten Theater !U spielen, das sehr viel kleiner war als die alte Bühne Leipzigs. Grenzboten II. 1868. 53
Comödianten und einem ewigen Rollenwechsel und angestrengter Koketterie Es ist lehrreich, mit den großen Häusern, in denen unsere Schauspielkunst ") Er hatte keine starke Stimme und weigerte sich einmal, auf einem neuerbauten Theater !U spielen, das sehr viel kleiner war als die alte Bühne Leipzigs. Grenzboten II. 1868. 53
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Comödianten und einem ewigen Rollenwechsel und angestrengter Koketterie
gefalllüstiger Damen ist eine große Menge von Situationen und gemüth-
lichen Wirkungen gar nicht mehr zur Geltung zu bringen. Und man meine
nicht, daß die Tragödie besser daran ist. Es gibt in der Tragödie keine
Ensemblewirkung von irgend welchem ästhetischen Werth, welche in den klei¬
neren Häusern der letzten Periode behindert gewesen wäre, und mit Aus¬
nahme der Dioramaeffecte keine, welche in den großen Neubauten nicht er¬
schwert würde.
Es ist lehrreich, mit den großen Häusern, in denen unsere Schauspielkunst
schnell und, wie zu besorgen, unrettbar verdorben wird, die kleinen Räume
zu vergleichen, in denen sie sich im vorigen Jahrhundert zu hoher Blüthe
entwickelte. Ein glücklicher Zufall hat uns aus Schloß Friedenstein in Gotha
den alten Theaterraum bewahrt, welcher von Herzog Ernst II. für Eckhof,
wahrscheinlich nach dessen Angabe, errichtet wurde, für denselben Eckhof, der
die Bewunderung Lessings war und in dem bürgerlichen Schauspiel der erste
Künstler, welchen Deutschland gesehen. Dies ist ein kleiner Saalraum mit
nur einer Gallerie, die Grundfläche des Zuschaüerraums noch ein bürgerliches
Parallelogramm, die Höhe der geöffneten Bühne beträgt wenig mehr als die
doppelte Höhe eines Mannes. Auf einer Bühne wie die des alten Theaters
in Leipzig würde Eckhos nie und unter keinen Umständen aufgetreten sein,
schon dieses Haus wäre ihm wegen seiner Größe als ein Ruin der Schau¬
spieler und der Kunst erschienen*). Jener Zeit der kleinen Häuser verdankt
die Schauspielkunst ihre Blüthe, das sorgfältige, reich detaillirte und lebens¬
wahre Spiel, jene Vorzüge, welche die älteren unter uns noch an den letzten
Ausläufern der Hamburger Schule, an den Lenz, August Wohlbrück u. f. w.,
bewunderten. Wir würden freilich auch aus der höchsten Kunstleistung jener
Zeit keine reine Freude schöpfen, denn zuverlässig kam die vorsichtige Zierlich¬
keit und die schönselige Empfindung jener Periode auch auf dem Theater zur
Geltung. Was aber die Schauspielkunst einst schaffen konnte, erkennen
Wir mit Beschämung, wenn wir die dürftigen Texte damaliger Modestücke
Mit den Berichten über die künstlerischen Wirkungen und die Methode des
damaligen Spiels vergleichen. Von Jffland bis etwa zum Jahr 1830 kam
den Schauspielhäusern die zweite Periode, welcher auch das alte Theater
Leipzigs angehört, als deren gelungenes Prototyp das berliner Schauspielhaus
betrachtet werden kann. Schon in ihr führte die Freude an würdigen Räu¬
men zu übergroßen Anlagen, das Zusammenspiel litt, die Zeit der Virtuosen
begann. Aber noch vermochte die Kunst ihre guten Traditionen zu conserviren
") Er hatte keine starke Stimme und weigerte sich einmal, auf einem neuerbauten Theater
!U spielen, das sehr viel kleiner war als die alte Bühne Leipzigs.
Grenzboten II. 1868. 53
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