Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Denn mit seinem Bühnenraum steht der darstellende Künstler unaufhörlich in
Wechselwirkung, er empfindet sich als im eingefaßten Bilde schaffend und als
verpflichtet, dasselbe durch sein Spiel zu beleben. Der Bühnenraum selbst spielt
in jedem Augenblick mit, der Schauspieler ist sich dessen unablässig bewußt
und bemüht, Herr und Mittelpunkt desselben zu bleiben. Jemehr aber die
Dimensionen des Bühnenraums wachsen, desto unabhängiger wird der Raum
von den Schauspielern, und desto anspruchsvoller drängt er sich neben und über
den Künstlern hervor. Bei den alten Theatern zur Zeit Eckhoffs hatte die
Bühne schwerlich mehr als doppelte Mannshöhe, damals fesselte die Gestalt
des Menschen in dem verhältnißmäßig engen Rahmen Augen uni> Sinn der
Zuschauer so mächtig, daß der Hintergrund und die Seitenwände nur sehr be¬
scheiden mitspielten, ja ganz entbehrt werden konnten. Je kleiner die Menschen¬
gestalt im Verhältniß zum Bühnenrahmen, um so nothwendiger wurde sorg¬
fältige Coulissenmalerei und Decoration der Bühne durch Versetzstücke und Mo-
beim, Teppiche:c. Wenn in dem alten Theater Leipzigs einmal eine Alpenland¬
schaft hinter Czaar und Zimmermann gehangen hätte, das Versehen wäre
auch bemerkt worden, aber es hätte schwerlich mehr als ein tadelndes Lächeln
hervorgerufen, denn dort wurde der Hintergrund noch viel mehr durch die
Personen gedeckt; in dem neuen Hause dagegen haben die Menschen auf
der Bühne ihre Noth, um nicht übersehen zu werden.

Bei den großen Neubauten übersteigt die Bühnenhöhe zuweilen beträcht¬
lich die mittle Durchschnittshöhe stattlicher Wohnräume, und bei Darstellung
von niedrigen Stuben sind besondere Decorationsanstrengungen nöthig, um
die unnütze Höhe des leeren Raumes über den Spielenden zu verdecken. Un¬
tilgbar aber sind hier die übermäßigen Dimensionen der Länge und in der
Regel auch der Tiefe. Sie stören überall, wo ein schnelles Zusammenspiel
oder ein präcises Eingreifen in die Handlung nöthig ist, schwer sind beim
Auftritt und Abgang todte Pausen zu vermeiden, die Dimensionen, welche
der Schauspieler zu durchschreiten hat, um einen Stuhl zu heben, sich von
einer Seite der Bühne auf die andere zu bewegen, sind unleidlich lang, jedes
Zusammentreten und Auflösen einer Gruppe wird umständlicher, und der
rasche Fluß eines Conversationsstücks, die behenden und graziösen Be¬
wegungen zweier Personen gegen einander werden in lästiger Weise er¬
schwert. Wer kleiner Gestalt ist, der lebt in ewigem Kampf mit dem Raume,
auch Schauspieler von guter Mittelgröße stehen traurig darin, wie zurückge¬
bliebene Reisende in der entleerten Halle eines Bahnhofs. Die Folgen liegen
klar vor Augen. Der Schauspieler braucht in seiner Noth zuletzt jedes Ge¬
waltmittel, um die Augen auf sich zu fesseln, die Decorationen haben überall
eine so große Wichtigkeit gewonnen, daß ihr Mitspielen bereits auf den Zet¬
teln annoneirr wird, und trotz dem Poltern und dem Grimassiren schlechter


Denn mit seinem Bühnenraum steht der darstellende Künstler unaufhörlich in
Wechselwirkung, er empfindet sich als im eingefaßten Bilde schaffend und als
verpflichtet, dasselbe durch sein Spiel zu beleben. Der Bühnenraum selbst spielt
in jedem Augenblick mit, der Schauspieler ist sich dessen unablässig bewußt
und bemüht, Herr und Mittelpunkt desselben zu bleiben. Jemehr aber die
Dimensionen des Bühnenraums wachsen, desto unabhängiger wird der Raum
von den Schauspielern, und desto anspruchsvoller drängt er sich neben und über
den Künstlern hervor. Bei den alten Theatern zur Zeit Eckhoffs hatte die
Bühne schwerlich mehr als doppelte Mannshöhe, damals fesselte die Gestalt
des Menschen in dem verhältnißmäßig engen Rahmen Augen uni> Sinn der
Zuschauer so mächtig, daß der Hintergrund und die Seitenwände nur sehr be¬
scheiden mitspielten, ja ganz entbehrt werden konnten. Je kleiner die Menschen¬
gestalt im Verhältniß zum Bühnenrahmen, um so nothwendiger wurde sorg¬
fältige Coulissenmalerei und Decoration der Bühne durch Versetzstücke und Mo-
beim, Teppiche:c. Wenn in dem alten Theater Leipzigs einmal eine Alpenland¬
schaft hinter Czaar und Zimmermann gehangen hätte, das Versehen wäre
auch bemerkt worden, aber es hätte schwerlich mehr als ein tadelndes Lächeln
hervorgerufen, denn dort wurde der Hintergrund noch viel mehr durch die
Personen gedeckt; in dem neuen Hause dagegen haben die Menschen auf
der Bühne ihre Noth, um nicht übersehen zu werden.

Bei den großen Neubauten übersteigt die Bühnenhöhe zuweilen beträcht¬
lich die mittle Durchschnittshöhe stattlicher Wohnräume, und bei Darstellung
von niedrigen Stuben sind besondere Decorationsanstrengungen nöthig, um
die unnütze Höhe des leeren Raumes über den Spielenden zu verdecken. Un¬
tilgbar aber sind hier die übermäßigen Dimensionen der Länge und in der
Regel auch der Tiefe. Sie stören überall, wo ein schnelles Zusammenspiel
oder ein präcises Eingreifen in die Handlung nöthig ist, schwer sind beim
Auftritt und Abgang todte Pausen zu vermeiden, die Dimensionen, welche
der Schauspieler zu durchschreiten hat, um einen Stuhl zu heben, sich von
einer Seite der Bühne auf die andere zu bewegen, sind unleidlich lang, jedes
Zusammentreten und Auflösen einer Gruppe wird umständlicher, und der
rasche Fluß eines Conversationsstücks, die behenden und graziösen Be¬
wegungen zweier Personen gegen einander werden in lästiger Weise er¬
schwert. Wer kleiner Gestalt ist, der lebt in ewigem Kampf mit dem Raume,
auch Schauspieler von guter Mittelgröße stehen traurig darin, wie zurückge¬
bliebene Reisende in der entleerten Halle eines Bahnhofs. Die Folgen liegen
klar vor Augen. Der Schauspieler braucht in seiner Noth zuletzt jedes Ge¬
waltmittel, um die Augen auf sich zu fesseln, die Decorationen haben überall
eine so große Wichtigkeit gewonnen, daß ihr Mitspielen bereits auf den Zet¬
teln annoneirr wird, und trotz dem Poltern und dem Grimassiren schlechter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117952"/>
          <p xml:id="ID_1328" prev="#ID_1327"> Denn mit seinem Bühnenraum steht der darstellende Künstler unaufhörlich in<lb/>
Wechselwirkung, er empfindet sich als im eingefaßten Bilde schaffend und als<lb/>
verpflichtet, dasselbe durch sein Spiel zu beleben. Der Bühnenraum selbst spielt<lb/>
in jedem Augenblick mit, der Schauspieler ist sich dessen unablässig bewußt<lb/>
und bemüht, Herr und Mittelpunkt desselben zu bleiben. Jemehr aber die<lb/>
Dimensionen des Bühnenraums wachsen, desto unabhängiger wird der Raum<lb/>
von den Schauspielern, und desto anspruchsvoller drängt er sich neben und über<lb/>
den Künstlern hervor. Bei den alten Theatern zur Zeit Eckhoffs hatte die<lb/>
Bühne schwerlich mehr als doppelte Mannshöhe, damals fesselte die Gestalt<lb/>
des Menschen in dem verhältnißmäßig engen Rahmen Augen uni&gt; Sinn der<lb/>
Zuschauer so mächtig, daß der Hintergrund und die Seitenwände nur sehr be¬<lb/>
scheiden mitspielten, ja ganz entbehrt werden konnten. Je kleiner die Menschen¬<lb/>
gestalt im Verhältniß zum Bühnenrahmen, um so nothwendiger wurde sorg¬<lb/>
fältige Coulissenmalerei und Decoration der Bühne durch Versetzstücke und Mo-<lb/>
beim, Teppiche:c. Wenn in dem alten Theater Leipzigs einmal eine Alpenland¬<lb/>
schaft hinter Czaar und Zimmermann gehangen hätte, das Versehen wäre<lb/>
auch bemerkt worden, aber es hätte schwerlich mehr als ein tadelndes Lächeln<lb/>
hervorgerufen, denn dort wurde der Hintergrund noch viel mehr durch die<lb/>
Personen gedeckt; in dem neuen Hause dagegen haben die Menschen auf<lb/>
der Bühne ihre Noth, um nicht übersehen zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1329" next="#ID_1330"> Bei den großen Neubauten übersteigt die Bühnenhöhe zuweilen beträcht¬<lb/>
lich die mittle Durchschnittshöhe stattlicher Wohnräume, und bei Darstellung<lb/>
von niedrigen Stuben sind besondere Decorationsanstrengungen nöthig, um<lb/>
die unnütze Höhe des leeren Raumes über den Spielenden zu verdecken. Un¬<lb/>
tilgbar aber sind hier die übermäßigen Dimensionen der Länge und in der<lb/>
Regel auch der Tiefe. Sie stören überall, wo ein schnelles Zusammenspiel<lb/>
oder ein präcises Eingreifen in die Handlung nöthig ist, schwer sind beim<lb/>
Auftritt und Abgang todte Pausen zu vermeiden, die Dimensionen, welche<lb/>
der Schauspieler zu durchschreiten hat, um einen Stuhl zu heben, sich von<lb/>
einer Seite der Bühne auf die andere zu bewegen, sind unleidlich lang, jedes<lb/>
Zusammentreten und Auflösen einer Gruppe wird umständlicher, und der<lb/>
rasche Fluß eines Conversationsstücks, die behenden und graziösen Be¬<lb/>
wegungen zweier Personen gegen einander werden in lästiger Weise er¬<lb/>
schwert. Wer kleiner Gestalt ist, der lebt in ewigem Kampf mit dem Raume,<lb/>
auch Schauspieler von guter Mittelgröße stehen traurig darin, wie zurückge¬<lb/>
bliebene Reisende in der entleerten Halle eines Bahnhofs. Die Folgen liegen<lb/>
klar vor Augen. Der Schauspieler braucht in seiner Noth zuletzt jedes Ge¬<lb/>
waltmittel, um die Augen auf sich zu fesseln, die Decorationen haben überall<lb/>
eine so große Wichtigkeit gewonnen, daß ihr Mitspielen bereits auf den Zet¬<lb/>
teln annoneirr wird, und trotz dem Poltern und dem Grimassiren schlechter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0420] Denn mit seinem Bühnenraum steht der darstellende Künstler unaufhörlich in Wechselwirkung, er empfindet sich als im eingefaßten Bilde schaffend und als verpflichtet, dasselbe durch sein Spiel zu beleben. Der Bühnenraum selbst spielt in jedem Augenblick mit, der Schauspieler ist sich dessen unablässig bewußt und bemüht, Herr und Mittelpunkt desselben zu bleiben. Jemehr aber die Dimensionen des Bühnenraums wachsen, desto unabhängiger wird der Raum von den Schauspielern, und desto anspruchsvoller drängt er sich neben und über den Künstlern hervor. Bei den alten Theatern zur Zeit Eckhoffs hatte die Bühne schwerlich mehr als doppelte Mannshöhe, damals fesselte die Gestalt des Menschen in dem verhältnißmäßig engen Rahmen Augen uni> Sinn der Zuschauer so mächtig, daß der Hintergrund und die Seitenwände nur sehr be¬ scheiden mitspielten, ja ganz entbehrt werden konnten. Je kleiner die Menschen¬ gestalt im Verhältniß zum Bühnenrahmen, um so nothwendiger wurde sorg¬ fältige Coulissenmalerei und Decoration der Bühne durch Versetzstücke und Mo- beim, Teppiche:c. Wenn in dem alten Theater Leipzigs einmal eine Alpenland¬ schaft hinter Czaar und Zimmermann gehangen hätte, das Versehen wäre auch bemerkt worden, aber es hätte schwerlich mehr als ein tadelndes Lächeln hervorgerufen, denn dort wurde der Hintergrund noch viel mehr durch die Personen gedeckt; in dem neuen Hause dagegen haben die Menschen auf der Bühne ihre Noth, um nicht übersehen zu werden. Bei den großen Neubauten übersteigt die Bühnenhöhe zuweilen beträcht¬ lich die mittle Durchschnittshöhe stattlicher Wohnräume, und bei Darstellung von niedrigen Stuben sind besondere Decorationsanstrengungen nöthig, um die unnütze Höhe des leeren Raumes über den Spielenden zu verdecken. Un¬ tilgbar aber sind hier die übermäßigen Dimensionen der Länge und in der Regel auch der Tiefe. Sie stören überall, wo ein schnelles Zusammenspiel oder ein präcises Eingreifen in die Handlung nöthig ist, schwer sind beim Auftritt und Abgang todte Pausen zu vermeiden, die Dimensionen, welche der Schauspieler zu durchschreiten hat, um einen Stuhl zu heben, sich von einer Seite der Bühne auf die andere zu bewegen, sind unleidlich lang, jedes Zusammentreten und Auflösen einer Gruppe wird umständlicher, und der rasche Fluß eines Conversationsstücks, die behenden und graziösen Be¬ wegungen zweier Personen gegen einander werden in lästiger Weise er¬ schwert. Wer kleiner Gestalt ist, der lebt in ewigem Kampf mit dem Raume, auch Schauspieler von guter Mittelgröße stehen traurig darin, wie zurückge¬ bliebene Reisende in der entleerten Halle eines Bahnhofs. Die Folgen liegen klar vor Augen. Der Schauspieler braucht in seiner Noth zuletzt jedes Ge¬ waltmittel, um die Augen auf sich zu fesseln, die Decorationen haben überall eine so große Wichtigkeit gewonnen, daß ihr Mitspielen bereits auf den Zet¬ teln annoneirr wird, und trotz dem Poltern und dem Grimassiren schlechter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/420
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/420>, abgerufen am 15.01.2025.