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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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die denkbar stärksten Chorwirkungen nicht unterdrückt wird, sondern sogar
noch da übertönt, wo eine Steigerung der Chorwirkungen durch weitere Ver¬
mehrung der singenden Schaaren nicht mehr stattfindet. Von diesen Maxi¬
malgrenzen der Massenwirkung muß die Oper selbstverständlich weit entfernt
bleiben, auch wenn ihre Geldmittel unbegrenzt wären, denn sie hat zu gleicher
Zeit eine vielbewegte Handlung darzustellen, Chöre und Sänger nicht in
fester Stellung zum Dirigenten, sondern in häufigem Wechsel des Ortes auf
und abgehend, zuweilen in heftiger Action. Das erschwert, je größer die
Bühne, um so mehr das feste Zusammenhalten der Einzelwirkungen. Und
für das musikalische Drama ist, so scheint es, das Marimalmaß des cubi-
schen Raumes bei uns z. B. in dem berliner Opernhause fast erreicht. Schon
dort hängt der Erfolg einer Oper von seltener Kraft großer Stimmen ab,
und die Schwierigkeiten der festen musikalischen Direction sind groß. Wer¬
den die Theater noch größer, so treten in der Oper die Erscheinungen ein,
welche einem Deutschen in Italien unleidlich sind, die Totalwirkung geht
verloren, Orchester und Chöre werden vernachlässigt, nur einzelne Kraftstellen
erzwingen sich Aufmerksamkeit, das ganze Interesse concentrirt sich auf die
virtuosen Leistungen einzelner Sänger. Die Componisten wissen das und
richten darnach ihre Effecte ein; auch an dem Verfall der italienischen Musik
haben die ungeheuren Räume wesentlichen Antheil.

Die große Oper verträgt weiteren Raum als das Schauspiel, aber sie
fordert ihn nicht immer, nicht bei Mozart, Beethoven, Weber, sogar nicht
bei Gluck, dagegen bei Spontini, Meyerbeer und den neuen Italienern, deren
Opern entweder auf Massenwirkung der Instrumente oder auf starke Chöre
oder ungewöhnliche Stimmmittel, auf reiche Ausstattung und Maschinen¬
wirkung complicirter Apparate berechnet wurden. Es gehört zu dem Charakter
der Wagnerschen Opern, daß dieselben in der Voraussetzung sehr weiter
Bühnen- und Zuhörerräume geschrieben sind, und doch den Solostimmen die
umfangreichsten und technisch schwierigsten Aufgaben stellen. Immer aber
werden bei der großen Oper die mächtigen Klangwirkungen, welche der weite
Raum möglich macht, durch ein Abdampfen der mimischen Spielwirkungen
erkauft.

Und deshalb fühlt sich die komische und Spieloper in den neuen großen
Häusern sehr unbehaglich. Die schnelleren Uebergänge und feineren Accente
im Gesang, Gesichtsausdruck und Geberde, sowie das behende Zusammen¬
spiel der einzelnen Rollen sind geradezu unmöglich. Diedersdorf wird im
großen Hause ungenießbar, Martha und der Bürgermeister von Saardam
wuselt sich vergebens, Grazie und Gemüth zu erweisen. Das ist allbekannt;
in Paris hat sich die Spieloper schon längst eigenes Haus gefordert.

Die Fertigkeiten, welche wir unter dem Namen Ballet zusammenfassen,


die denkbar stärksten Chorwirkungen nicht unterdrückt wird, sondern sogar
noch da übertönt, wo eine Steigerung der Chorwirkungen durch weitere Ver¬
mehrung der singenden Schaaren nicht mehr stattfindet. Von diesen Maxi¬
malgrenzen der Massenwirkung muß die Oper selbstverständlich weit entfernt
bleiben, auch wenn ihre Geldmittel unbegrenzt wären, denn sie hat zu gleicher
Zeit eine vielbewegte Handlung darzustellen, Chöre und Sänger nicht in
fester Stellung zum Dirigenten, sondern in häufigem Wechsel des Ortes auf
und abgehend, zuweilen in heftiger Action. Das erschwert, je größer die
Bühne, um so mehr das feste Zusammenhalten der Einzelwirkungen. Und
für das musikalische Drama ist, so scheint es, das Marimalmaß des cubi-
schen Raumes bei uns z. B. in dem berliner Opernhause fast erreicht. Schon
dort hängt der Erfolg einer Oper von seltener Kraft großer Stimmen ab,
und die Schwierigkeiten der festen musikalischen Direction sind groß. Wer¬
den die Theater noch größer, so treten in der Oper die Erscheinungen ein,
welche einem Deutschen in Italien unleidlich sind, die Totalwirkung geht
verloren, Orchester und Chöre werden vernachlässigt, nur einzelne Kraftstellen
erzwingen sich Aufmerksamkeit, das ganze Interesse concentrirt sich auf die
virtuosen Leistungen einzelner Sänger. Die Componisten wissen das und
richten darnach ihre Effecte ein; auch an dem Verfall der italienischen Musik
haben die ungeheuren Räume wesentlichen Antheil.

Die große Oper verträgt weiteren Raum als das Schauspiel, aber sie
fordert ihn nicht immer, nicht bei Mozart, Beethoven, Weber, sogar nicht
bei Gluck, dagegen bei Spontini, Meyerbeer und den neuen Italienern, deren
Opern entweder auf Massenwirkung der Instrumente oder auf starke Chöre
oder ungewöhnliche Stimmmittel, auf reiche Ausstattung und Maschinen¬
wirkung complicirter Apparate berechnet wurden. Es gehört zu dem Charakter
der Wagnerschen Opern, daß dieselben in der Voraussetzung sehr weiter
Bühnen- und Zuhörerräume geschrieben sind, und doch den Solostimmen die
umfangreichsten und technisch schwierigsten Aufgaben stellen. Immer aber
werden bei der großen Oper die mächtigen Klangwirkungen, welche der weite
Raum möglich macht, durch ein Abdampfen der mimischen Spielwirkungen
erkauft.

Und deshalb fühlt sich die komische und Spieloper in den neuen großen
Häusern sehr unbehaglich. Die schnelleren Uebergänge und feineren Accente
im Gesang, Gesichtsausdruck und Geberde, sowie das behende Zusammen¬
spiel der einzelnen Rollen sind geradezu unmöglich. Diedersdorf wird im
großen Hause ungenießbar, Martha und der Bürgermeister von Saardam
wuselt sich vergebens, Grazie und Gemüth zu erweisen. Das ist allbekannt;
in Paris hat sich die Spieloper schon längst eigenes Haus gefordert.

Die Fertigkeiten, welche wir unter dem Namen Ballet zusammenfassen,


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[0417] die denkbar stärksten Chorwirkungen nicht unterdrückt wird, sondern sogar noch da übertönt, wo eine Steigerung der Chorwirkungen durch weitere Ver¬ mehrung der singenden Schaaren nicht mehr stattfindet. Von diesen Maxi¬ malgrenzen der Massenwirkung muß die Oper selbstverständlich weit entfernt bleiben, auch wenn ihre Geldmittel unbegrenzt wären, denn sie hat zu gleicher Zeit eine vielbewegte Handlung darzustellen, Chöre und Sänger nicht in fester Stellung zum Dirigenten, sondern in häufigem Wechsel des Ortes auf und abgehend, zuweilen in heftiger Action. Das erschwert, je größer die Bühne, um so mehr das feste Zusammenhalten der Einzelwirkungen. Und für das musikalische Drama ist, so scheint es, das Marimalmaß des cubi- schen Raumes bei uns z. B. in dem berliner Opernhause fast erreicht. Schon dort hängt der Erfolg einer Oper von seltener Kraft großer Stimmen ab, und die Schwierigkeiten der festen musikalischen Direction sind groß. Wer¬ den die Theater noch größer, so treten in der Oper die Erscheinungen ein, welche einem Deutschen in Italien unleidlich sind, die Totalwirkung geht verloren, Orchester und Chöre werden vernachlässigt, nur einzelne Kraftstellen erzwingen sich Aufmerksamkeit, das ganze Interesse concentrirt sich auf die virtuosen Leistungen einzelner Sänger. Die Componisten wissen das und richten darnach ihre Effecte ein; auch an dem Verfall der italienischen Musik haben die ungeheuren Räume wesentlichen Antheil. Die große Oper verträgt weiteren Raum als das Schauspiel, aber sie fordert ihn nicht immer, nicht bei Mozart, Beethoven, Weber, sogar nicht bei Gluck, dagegen bei Spontini, Meyerbeer und den neuen Italienern, deren Opern entweder auf Massenwirkung der Instrumente oder auf starke Chöre oder ungewöhnliche Stimmmittel, auf reiche Ausstattung und Maschinen¬ wirkung complicirter Apparate berechnet wurden. Es gehört zu dem Charakter der Wagnerschen Opern, daß dieselben in der Voraussetzung sehr weiter Bühnen- und Zuhörerräume geschrieben sind, und doch den Solostimmen die umfangreichsten und technisch schwierigsten Aufgaben stellen. Immer aber werden bei der großen Oper die mächtigen Klangwirkungen, welche der weite Raum möglich macht, durch ein Abdampfen der mimischen Spielwirkungen erkauft. Und deshalb fühlt sich die komische und Spieloper in den neuen großen Häusern sehr unbehaglich. Die schnelleren Uebergänge und feineren Accente im Gesang, Gesichtsausdruck und Geberde, sowie das behende Zusammen¬ spiel der einzelnen Rollen sind geradezu unmöglich. Diedersdorf wird im großen Hause ungenießbar, Martha und der Bürgermeister von Saardam wuselt sich vergebens, Grazie und Gemüth zu erweisen. Das ist allbekannt; in Paris hat sich die Spieloper schon längst eigenes Haus gefordert. Die Fertigkeiten, welche wir unter dem Namen Ballet zusammenfassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/417>, abgerufen am 15.01.2025.