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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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den, aber jede Stadt hatte ihre Theaterjahre wieder und wieder gehabt, auf
welche sie mit Stolz zurückblickte, die gern als eine goldene Zeit der Bühne
gerühmt wurden; in den neuen Festräumen kam solche neue Zeit nicht mehr.
Aber noch merkwürdiger war, beliebte alte Stücke gefielen nicht mehr, man
mochte besetzen wie man wollte; werthe Schauspieler, die einheimisch und be¬
liebt waren, wurden auf einmal alt und wirkungslos, lustige Stellen, die
Man immer belacht hatte, gingen spurlos vorüber, empfindsame Momente, bet
denen die Taschentücher seit Menschengedenken unvermeidlich waren, bewegten
keine Wimper, es war im Neubau alles viel schöner geworden, die Beleuch¬
tung festlicher, die Sitze bequemer, die Decorationen wundervoll gemalt, die
Costüme mit historischer Treue geschneidert; auch der Zuschauer erschien in
besserer Toilette und sah mit Befriedigung auf die eigene Festkleidung und
kritisch auf die der anderen, und dennoch wurde auf der Bühne die Kunst
des Schauspielers matt, flau, farblos, zuletzt langweilig, der Abonnenten wur¬
den allmählich weniger statt mehr, die Theaterleitung mußte fremde Virtuosen
auf Gastspiel engagiren, theure Spektakelopern ausstatten, um einmal die
leeren Räume zu füllen und jedes solches Außerordentliche trug wieder dazu
bei, das Interesse am Alltäglichen zu vermindern. Der Pächter verlor sein
Geld oder zog sich arm an Lob zurück, Comite's von Kunstfreunden verwalte¬
ten und verloren Geld, ein schneller Wechsel der Unternehmer, ein noch schnel¬
lerer der Künstler. Es sei zu Ende mit der Kunst, klagten die wenigen
Getreuen, die Schauspieler schlecht, die Tenöre erbärmlich, das Publicum ge-
schmacklos, alles neige bergab. -- Dieselbe Klage an den großen Hofbühnen
für Oper und Schauspiel, nur daß hier durch Subventionen und festere En¬
gagements das Bessere länger conservirt, das neue Leiden weniger fühlbar
und das letzte Unheil, der Bankerott, verhindert wurden. Das ist das
Schicksal fast aller großen Stadtbühnen geworden. Es droht auch das Schick¬
sal der Leipziger Bühne zu werden.

Wenn der unzufriedene Theaterbesuchet den Unstern seiner Bühne
beklagte, so war er natürlich zuerst geneigt, die Theaterleitung anzu¬
klagen. Sehr oft mit gutem Grunde. Dies ist in den letzten Wochen auch
in Leipzig geschehen. Auch hier mit gutem Grunde. Aber nicht die unpas¬
sende Persönlichkeit eines speculirenden Unternehmers allein hat das Mißbe¬
hagen verschuldet, womit viele Leipziger ihr schönes Haus betrachten. Und
wenn noch einmal gesagt wird, was leider ohne Erfolg schon mehrfach erör¬
tert wurde, so möchte dies Blatt nicht, daß man in dem Folgenden einen
Vorwurf gegen unsere Leipziger herausläse. Es ist ihnen nur gegangen, als
sie das neue Theater bauten, wie fast allen großen Stadtgemeinden etwa
seit 1830, sie haben vieles klug bedacht und nur eines vergessen, daß man
ein Theater nicht so groß bauen darf, als die veranschlagte Zahl der Theater-


den, aber jede Stadt hatte ihre Theaterjahre wieder und wieder gehabt, auf
welche sie mit Stolz zurückblickte, die gern als eine goldene Zeit der Bühne
gerühmt wurden; in den neuen Festräumen kam solche neue Zeit nicht mehr.
Aber noch merkwürdiger war, beliebte alte Stücke gefielen nicht mehr, man
mochte besetzen wie man wollte; werthe Schauspieler, die einheimisch und be¬
liebt waren, wurden auf einmal alt und wirkungslos, lustige Stellen, die
Man immer belacht hatte, gingen spurlos vorüber, empfindsame Momente, bet
denen die Taschentücher seit Menschengedenken unvermeidlich waren, bewegten
keine Wimper, es war im Neubau alles viel schöner geworden, die Beleuch¬
tung festlicher, die Sitze bequemer, die Decorationen wundervoll gemalt, die
Costüme mit historischer Treue geschneidert; auch der Zuschauer erschien in
besserer Toilette und sah mit Befriedigung auf die eigene Festkleidung und
kritisch auf die der anderen, und dennoch wurde auf der Bühne die Kunst
des Schauspielers matt, flau, farblos, zuletzt langweilig, der Abonnenten wur¬
den allmählich weniger statt mehr, die Theaterleitung mußte fremde Virtuosen
auf Gastspiel engagiren, theure Spektakelopern ausstatten, um einmal die
leeren Räume zu füllen und jedes solches Außerordentliche trug wieder dazu
bei, das Interesse am Alltäglichen zu vermindern. Der Pächter verlor sein
Geld oder zog sich arm an Lob zurück, Comite's von Kunstfreunden verwalte¬
ten und verloren Geld, ein schneller Wechsel der Unternehmer, ein noch schnel¬
lerer der Künstler. Es sei zu Ende mit der Kunst, klagten die wenigen
Getreuen, die Schauspieler schlecht, die Tenöre erbärmlich, das Publicum ge-
schmacklos, alles neige bergab. — Dieselbe Klage an den großen Hofbühnen
für Oper und Schauspiel, nur daß hier durch Subventionen und festere En¬
gagements das Bessere länger conservirt, das neue Leiden weniger fühlbar
und das letzte Unheil, der Bankerott, verhindert wurden. Das ist das
Schicksal fast aller großen Stadtbühnen geworden. Es droht auch das Schick¬
sal der Leipziger Bühne zu werden.

Wenn der unzufriedene Theaterbesuchet den Unstern seiner Bühne
beklagte, so war er natürlich zuerst geneigt, die Theaterleitung anzu¬
klagen. Sehr oft mit gutem Grunde. Dies ist in den letzten Wochen auch
in Leipzig geschehen. Auch hier mit gutem Grunde. Aber nicht die unpas¬
sende Persönlichkeit eines speculirenden Unternehmers allein hat das Mißbe¬
hagen verschuldet, womit viele Leipziger ihr schönes Haus betrachten. Und
wenn noch einmal gesagt wird, was leider ohne Erfolg schon mehrfach erör¬
tert wurde, so möchte dies Blatt nicht, daß man in dem Folgenden einen
Vorwurf gegen unsere Leipziger herausläse. Es ist ihnen nur gegangen, als
sie das neue Theater bauten, wie fast allen großen Stadtgemeinden etwa
seit 1830, sie haben vieles klug bedacht und nur eines vergessen, daß man
ein Theater nicht so groß bauen darf, als die veranschlagte Zahl der Theater-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/415>, abgerufen am 15.01.2025.