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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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ben; z.B. wurden auch im Alterthum bisweilen falsche Gerüchte, namentlich
an der Getreidebörse, verbreitet, um günstige Preise zu erzielen.

An die Marktbuden der Verkäufer schlössen sich die Werkstätten der
Handwerker. Wir dürfen sie uns, wie sie noch heute im Süden häufig ge¬
sehen werden, als offene Räume, nach der Straße zu gelegen, vorstellen.
Sie gaben oft, wie die Töpfer- und die Kistenmacher-Werkstätten, den Straßen,
in welchen sie sich befanden, den Namen. Auffallend ist es für uns, daß diese
Räume von den spazierengehenden Athenern mit Vorliebe aufgesucht, ja bis¬
weilen zu Versammlungsorten erkoren wurden und zwar geschah dies nicht
nur bei den Buden der Barbiere, Bader, Salbenhändler und Aerzte, sondern
auch bei den Werkstätten der Schuster, Gerber, Walker und Schmiede. Es
fehlte zwar nicht an Gasthäusern und Weinstuben in Athen, doch wurden
solche von angesehenen Bürgern gemieden. Die Wirthe galten für betrüg-
liches Volk und die Gesellschaft bestand meist aus jungen Roues, die hier
Gelegenheit zur Ausschweifung und zum Hazardspiel suchten. So bildeten
die Werkstätten der Handwerker einen Ersatz für die gemiedenen Wirths¬
häuser. Hier kam man zusammen, um Neuigkeiten zu hören und zu ver¬
breiten, Geschäfte zu verabreden und zu Politisiren; ja, es war so zur Sitte
geworden, diese Orte zu besuchen, daß das Vermeiden derselben wohl als
das Zeichen eines verschlossenen Charakters angesehen wurde. Der Süd¬
länder ist zwar im Allgemeinen sehr mäßig im Genuß von Speisen und
Getränken, doch blieb derselbe auch schon im Alterthum nicht nur auf die
im Hause stattfindenden Symposien beschränkt. Da man die Schenken ver¬
mied, so war es ein einfaches Auskunftsmittel, in die Werkstatt, in der man
sich gerade befand, wenn angenehme Gesellschaft zum Genuß aufforderte,
Wein vom nächsten Wirth holen zu lassen.

Bei der Betrachtung der gewerblichen Verhältnisse im alten Athen
drängt sich naturgemäß die Frage auf, ob Vereinigungen von Handwerkern,
ähnlich den Collegien der Römer oder den mittelalterlichen Zünften, existirt
haben. Dies aber muß verneint werden und der Grund hiervon liegt nach
dem Dargestellten auf der Hand. Denn was für ein Band konnte den athe¬
nischen Bürger mit Sclaven und Ausländern so eng verbinden und nach
außen hin abschließen, daß dasselbe Recht für die verschiedenartigen Mit¬
glieder einer solchen Zunft hätte Geltung haben können? Zünfte mit be¬
stimmten Rechten sind aber auch nur bei Staatsschutz zu denken und ein
solcher hat in Griechenland nirgend stattgefunden. Dagegen haben wohl
Arten freierer Vereinigung, wie auch bei den Kaufleuten, existirt, wenigstens
spricht dafür das Zusammenwohnen einzelner Gattungen von Handwerkern
z. B. der Töpfer, der Bildschnitzer und der Kistenmacher, sowie die gemein¬
same Feier religiöser Feste. Es waren dies die "Chalkeia", die zu Ehren


ben; z.B. wurden auch im Alterthum bisweilen falsche Gerüchte, namentlich
an der Getreidebörse, verbreitet, um günstige Preise zu erzielen.

An die Marktbuden der Verkäufer schlössen sich die Werkstätten der
Handwerker. Wir dürfen sie uns, wie sie noch heute im Süden häufig ge¬
sehen werden, als offene Räume, nach der Straße zu gelegen, vorstellen.
Sie gaben oft, wie die Töpfer- und die Kistenmacher-Werkstätten, den Straßen,
in welchen sie sich befanden, den Namen. Auffallend ist es für uns, daß diese
Räume von den spazierengehenden Athenern mit Vorliebe aufgesucht, ja bis¬
weilen zu Versammlungsorten erkoren wurden und zwar geschah dies nicht
nur bei den Buden der Barbiere, Bader, Salbenhändler und Aerzte, sondern
auch bei den Werkstätten der Schuster, Gerber, Walker und Schmiede. Es
fehlte zwar nicht an Gasthäusern und Weinstuben in Athen, doch wurden
solche von angesehenen Bürgern gemieden. Die Wirthe galten für betrüg-
liches Volk und die Gesellschaft bestand meist aus jungen Roues, die hier
Gelegenheit zur Ausschweifung und zum Hazardspiel suchten. So bildeten
die Werkstätten der Handwerker einen Ersatz für die gemiedenen Wirths¬
häuser. Hier kam man zusammen, um Neuigkeiten zu hören und zu ver¬
breiten, Geschäfte zu verabreden und zu Politisiren; ja, es war so zur Sitte
geworden, diese Orte zu besuchen, daß das Vermeiden derselben wohl als
das Zeichen eines verschlossenen Charakters angesehen wurde. Der Süd¬
länder ist zwar im Allgemeinen sehr mäßig im Genuß von Speisen und
Getränken, doch blieb derselbe auch schon im Alterthum nicht nur auf die
im Hause stattfindenden Symposien beschränkt. Da man die Schenken ver¬
mied, so war es ein einfaches Auskunftsmittel, in die Werkstatt, in der man
sich gerade befand, wenn angenehme Gesellschaft zum Genuß aufforderte,
Wein vom nächsten Wirth holen zu lassen.

Bei der Betrachtung der gewerblichen Verhältnisse im alten Athen
drängt sich naturgemäß die Frage auf, ob Vereinigungen von Handwerkern,
ähnlich den Collegien der Römer oder den mittelalterlichen Zünften, existirt
haben. Dies aber muß verneint werden und der Grund hiervon liegt nach
dem Dargestellten auf der Hand. Denn was für ein Band konnte den athe¬
nischen Bürger mit Sclaven und Ausländern so eng verbinden und nach
außen hin abschließen, daß dasselbe Recht für die verschiedenartigen Mit¬
glieder einer solchen Zunft hätte Geltung haben können? Zünfte mit be¬
stimmten Rechten sind aber auch nur bei Staatsschutz zu denken und ein
solcher hat in Griechenland nirgend stattgefunden. Dagegen haben wohl
Arten freierer Vereinigung, wie auch bei den Kaufleuten, existirt, wenigstens
spricht dafür das Zusammenwohnen einzelner Gattungen von Handwerkern
z. B. der Töpfer, der Bildschnitzer und der Kistenmacher, sowie die gemein¬
same Feier religiöser Feste. Es waren dies die „Chalkeia", die zu Ehren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/388>, abgerufen am 16.01.2025.